Ronya Othmann gewinnt Premiere

SWR Bestenliste kürt erstmals ein "Buch des Jahres"

29. November 2024
Redaktion Börsenblatt

"Vierundsiebzig" (Rowohlt) von Ronya Othmann wird als erstes von der SWR Bestenliste als "Buch des Jahres" ausgezeichnet. Ihr erschütternder Roman über den Völkermord an den Jesiden durch den IS, sei "Geschichtsschreibung, teilnehmende Beobachtung und Genozidforschung zugleich", urteilte die Jury.

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Die 30-köpfige Jury der Literaturkritiker:innen der SWR Bestenliste aus dem gesamten deutschsprachigen Raum hat die Schriftstellerin Ronya Othmann und ihren Roman "Vierundsiebzig" (Rowohlt, 2024) ausgezeichnet. Die erstmals vergebene Auszeichnung der SWR Bestenliste ist undotiert und wird nach einem zweistufigen Verfahren von der Jury vergeben.

Der Roman "Vierundsiebzig" der 1993 in München geborenen Schriftstellerin Ronya Othmann konnte sich gegen die anderen Werke der Longlist von Agi Mishol, Clemens Meyer, Wolf Haas, Reinhard Kaiser-Mühlecker, Paul Lynch, George Saunders, Percival Everett, Marlen Haushofer, Marion Poschmann durchsetzen. Voraussetzung für die Wahl auf die Longlist war der Platz auf einer Bestenliste im laufenden Jahr.

Jurybegründung

Die Jury der SWR Bestenliste begründete ihre Entscheidung nicht nur mit der Bedeutung des Romanstoffs, sondern auch mit der literarischen Qualität des Werks: "Das Volk der Jesiden wird seit Jahrhunderten verfolgt. 'Vierundsiebzig' hat Ronya Othmann deshalb ihren Roman genannt, nach dem 74. Völkermord 2014 durch den sogenannten IS. Die Tochter einer Deutschen und eines jesidisch-kurdischen Vaters will Zeugnis ablegen von diesem Menschheitsverbrechen und ringt zugleich damit, Worte zu finden für das Unfassbare. Ihr Roman ist Geschichtsschreibung, teilnehmende Beobachtung und Genozidforschung zugleich. Die Selbstreflexion der Erzählerin, die angesichts der existenziellen Ausweglosigkeit unentwegt relativiert, reflektiert und revidiert, verleiht dem Werk seine brisante Literarizität. Dafür wird 'Vierundsiebzig' als Buch des Jahres der SWR-Bestenliste 2024 ausgezeichnet."

"Vierundsiebzig" ist eine Reise in die Camps und an die Frontlinien, in die Wohnzimmer der Verwandten und von deutschen Gerichtssälen weiter in ein êzîdisches Dorf in der Türkei, in dem heute niemand mehr lebt. In ihrem zweiten Roman will Ronya Othmann eine Form finden für das Unaussprechliche dieses 74. Genozids, verübt 2014 im irakischen Shingal von Kämpfern des IS.

Für "Vierundsiebzig" erhielt Othmann den Düsseldorfer Literaturpreis 2024, stand damit auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2024 und bekommt dafür am kommenden 24. Februar den Erich-Loest-Preis 2025. Ein Auszug aus "Vierundsiebzig" wurde 2019 mit dem Publikumspreis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs ausgezeichnet.

Zur Autorin Ronya Othmann

Ronya Othmann wuchs als Tochter eines kurdisch-jesidischen Vaters und einer deutschen Mutter in Bayern auf. Die Familie ihres Vaters stammt aus der Nähe von Tirbespi im kurdischen Siedlungsgebiet in Syrien. In ihrer Kindheit reiste die Schriftstellerin regelmäßig zu den Verwandten in ein jesidisches Dorf im Norden Syriens, das inzwischen nicht mehr bewohnt ist. Schon in ihrem Debütroman "Die Sommer" hat Othmann die Erfahrungen und Erlebnisse der Familiengeschichte verarbeitet.

Die SWR Bestenliste

Die SWR Bestenliste empfiehlt seit mehr als 40 Jahren jeden Monat zehn lesenswerte Bücher. Nicht die Verkaufszahlen bestimmen dabei die Reihenfolge, sondern eine unabhängige Jury aus 30 namhaften Literaturkritiker:innen. Diese wählen jeweils vier Neuerscheinungen aus, denen sie möglichst viele Leser:innen wünschen; die meistgewählten kommen in die monatliche Liste. 2024 wird erstmals ein "Buch des Jahres" gekürt.

Weitere Informationen und die vollständige Liste der zehn besten Bücher: https://www.swr.de/swrkultur/literatur/bestenliste/index.html