Kritiker des modernen Finanzmarktkapitalismus

Joseph Vogl erhält Günther Anders-Preis 2022

16. Februar 2022
Redaktion Börsenblatt

Der Philosoph, Literatur- und Kulturwissenschaftler Joseph Vogl erhält den mit 20.000 Euro dotierten Günther Anders-Preis für kritisches Denken 2022.

Joseph Vogl ist Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literatur und Kulturwissenschaft in Verbindung mit Medien an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Regular Visiting Professor an der Princeton University. Die Preisverleihung findet am 8. Mai in der Staatsbibliothek zu Berlin statt, das teilt die Internationale Günther Anders-Gesellschaft mit, die den Preis alle zwei Jahre abwechselnd in Wien, München und Berlin verleiht. Finanzieller Träger des Preises ist die C.H.Beck Stiftung in München.

Die Jury, der die Philosophin Petra Gehring, der Publizist Mathias Greffrath und der Kulturwissenschaftler Thomas Macho angehören, zeichne Vogl für sein wissenschaftliches und publizistisches Gesamtwerk, insbesondere für seine jüngeren Arbeiten zur Theorie der Gegenwart und des modernen Finanzkapitalismus aus.

Mit ihrer Entscheidung würdige die Jury einen Autor, dessen kritische Gegenwartsdiagnostik Brücken schlage zwischen den Disziplinen, etwa zwischen Literaturwissenschaft und Wissensgeschichte, so schon in der Dissertation über "Ort der Gewalt. Kafkas literarische Ethik" (1990), aber auch zwischen Philosophie, Kultur- und Medienwissenschaft, vor allem jedoch zwischen Kulturkritik und Ökonomie. Der zuletzt genannten Thematik widme sich Joseph Vogl seit 2002, erst in seinem Werk "Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen" (Diaphanes), danach in drei Büchern zum "Gespenst des Kapitals" (Diaphanes, 2010), zum "Souveränitätseffekt" (Diaphanes, 2015) und jüngst zu "Kapital und Ressentiment" (C.H. Beck, 2021). In seinen Schriften gelinge es Vogl, komplexe Analysen in essayistischer, darstellerisch ebenso anspruchsvoller wie erhellender Form vorzutragen. Dabei arbeite er mit Verweisen und Kommentaren, die den Kanon philosophischer Theoriebildung souverän handhaben, wie auch mit Referenzen zur Literatur, beispielsweise zu Don DeLillos "Cosmopolis".

Joseph Vogl sei ein Wortführer in der Kritik am modernen und gegenwärtigen Finanzmarktkapitalismus. In "Kapital und Ressentiment. Eine kurze Theorie der Gegenwart" rekonstruiere er, wie im digitalen Zeitalter gigantische Internetkonzerne als neue unternehmerische Machtformationen unser vertrautes politisches Universum grundlegend verändern und immer massiver in die Entscheidungsprozesse von Regierungen, Gesellschaften und Volkswirtschaften eingreifen.

Zum Preis

Der Günther Anders-Preis für kritisches Denken wird für herausragende Leistungen im Bereich philosophischer, kulturwissenschaftlicher und politischer Essayistik vergeben. In Erinnerung an den Philosophen und Zeitdiagnostiker Günther Anders (1902–1992) werden vorrangig, aber nicht ausschließlich deutschsprachige Autorinnen und Autoren und deren Werke ausgezeichnet, welche sich in aufklärerischer Tradition mit den Lebensbedingungen unserer gegenwärtigen Welt befassen, insbesondere mit den kulturellen, ökonomischen und technisch-medialen Umwälzungen der Zeit. Prämiert werde innovatives und originelles Denken, das mit besonderer ästhetischer Qualität einhergeht, insbesondere mit der Fähigkeit zur sprachlich klaren Vermittlung komplexer Gedanken. Erstmals vergeben wurde der Preis 2018 in Wien an Dietmar Dath, 2020 erhielt ihn die französische Philosophin Corine Pelluchon.