Erstes Anne-Goldmann-Stipendium vergeben
Anja Schwennsen erhält das Anne-Goldmann-Stipendiums des gemeinnützigen Autorinnen-Netzwerks HERland, das eine Autorin bei einem Projekt deutschsprachiger Spannungsliteratur unterstützt.
Anja Schwennsen erhält das Anne-Goldmann-Stipendiums des gemeinnützigen Autorinnen-Netzwerks HERland, das eine Autorin bei einem Projekt deutschsprachiger Spannungsliteratur unterstützt.
Anja Schwennsen wird mit 3.000 Euro bei ihrem Projekt „Glücksvollzug“ unterstützt.
Und so begründet das Netzwerk seine Wahl: „‘Glücksvollzug‘“ erzählt in Ich-Form auf mitreißende, konzentrierte Weise von der Gefängnisinsassin Esther, die wegen Mordes einsitzt, von ihrem Alltag und Umfeld im Frauenknast sowie nach und nach von den Lebensverhältnissen und Motiven, die zu den Straftaten der Frauen geführt haben. Die Leserin erlebt das Erzählte intensiv mit, der Text zieht sofort in Esthers Erleben und Denken hinein, plausibel und packend, eingängig und bildstark, frei von Stereotypen und immer wieder überraschend, scharf beobachtend und Aufmerksamkeit weckend. Die Erzählsprache ist überzeugend subjektiv, rhythmisch und flüssig, mit Ernst (Gefühle, Störungen, Biografien) und Humor (tolle Dialoge, Spitznamen), mit Respekt vor den Menschen und mit aller für guten Realismus nötigen Widersprüchlichkeit. Selten gelingen derart genretypische Milieudarstellungen so klischeefrei, präzise und auf Augenhöhe mit den weniger Privilegierten. ‚Glücksvollzug‘ unterhält spannend und glänzt mit großem Gespür für die Auswirkungen gesellschaftlicher Hierarchien, sowohl im Strafvollzug wie ›draußen‹ in unserer Normalität mit ihren (auch ungeschriebenen) Regelwerken.“
Außerdem hat sich die Jury entschieden, Nicola Anne Mehlhorn für ihr Projekt „Widerstund“ mit einer Anerkennungsprämie von 500 Euro auszuzeichnen.
Mit dem Anne-Goldmann-Stipendium will das Autorinnen-Netzwerk HERland schreibende Frauen rund um Kriminalliteratur zu literarischer und inhaltlicher Courage ermutigen – im Gedenken an die Mitgründerin & Weggefährtin Schriftstellerin Anne Goldmann (1961-2021). Es geht um Texte, die das Genre wertschätzen, aber keine überkommenen Muster und Klischees reproduzieren, sondern Neues wagen, die Sicherheit des Altbewährten verlassen, gesellschaftlich unsichtbare Menschen und Räume und Tätigkeiten in den Blick nehmen, dabei sprachlich überzeugen und erzählerisch packen.
Insgesamt hat das Netzwerk 94 Einsendungen erreicht. Die Jury bestand aus Doris Gercke, Doris Hermanns, Christine Lehmann, Gudrun Lerchbaum und Else Laudan.
Für Interessierte hier noch das Zitat aus dem Jurykommentar:
"»Widerstund«, die Geschichte eines Mordes, beginnt künstlerisch selbstsicher und stilistisch gekonnt mit einer Zumutung, einer krassen Verknüpfung altertümlich reicher Sprache mit hochgradig zeitgenössischer Thematik. Nicht marktkonform, doch die Handlung tatsächlich Krimi, eine Art moderne Agatha-Christie-Replik, spannungsgeladen auf ganz unkrimihafte Weise, belesen und poetisch. Die Erzählperspektive des Einstiegs irritiert und provoziert, weiß dabei ohne wohlfeile Identifikation doch zu fesseln. Dann schließen sich weitere Perspektiven an, jede in ganz eigenem Sprachduktus. Erst die Erzählsprache bringt die an sich unscheinbaren Personen zum Leuchten, zeigt sie in ihrer jeweiligen Realität und Gewordenheit, verleiht ihnen Relevanz. In den stimmig dafür prädestinierten Passagen wird kompromisslos cool gegendert, ohne dass dies dem Fluss je Abbruch täte. »Widerstund« ist kühne, hoch aktuelle Literatur ohne Sicherheitsnetz, raffiniert, sprachstark und wegweisend."