"Eine moralische Instanz im heutigen Russland"
Am 19. März 2021 wird die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja den mit 50.000 Euro dotierten Siegfried Lenz Preis erhalten.
Am 19. März 2021 wird die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja den mit 50.000 Euro dotierten Siegfried Lenz Preis erhalten.
Die Preisverleihung sowie ein Gespräch mit der Preisträgerin wird am Sonntag, 21. März 2021 um 20 Uhr im Sonntagsstudio von NDR Kultur gesendet. Schauspielerin Katharina Abt liest ausgewählte Passagen aus Ulitzkajas Werken.
Für Ljudmila Ulitzkaja ist die Verleihung des Preises, "der den Namen des herausragenden deutschen Schriftstellers Siegfried Lenz trägt, eine besondere Freude". Sie empfinde es als große Ehre, Lenz als Autor von europäischem Rang dadurch verbunden zu sein. "Seine Bücher werden weltweit geschätzt, und in Russland treffen sie einen besonderen Nerv: Die Themen, die Siegfried Lenz am meisten beschäftigten, spielten und spielen in Russland immer eine große Rolle – insbesondere das Ringen um künstlerische und persönliche Freiheit in totalitären Systemen, die auf bedingungslosem Gehorsam, Angst und Einschüchterung basieren."
Literaturkritikerin Sigrid Löffler lobt Ulitzkaja als "eine der führenden Intellektuellen im heutigen Russland, eine literarische Stimme, die weltweit gehört wird und die Erinnerung an Leiden und Widerstand der Russen im 'Jahrhundert der Wölfe' lebendig erhält, und sie ist eine moralische Instanz, die gegen Putins neostalinistischen und nationalistischen Kurs immer wieder auf Konfrontationskurs geht. ... Dass ihr nun der Hamburger Siegfried Lenz Preis verliehen wird, ist nur würdig und recht."
Schriftsteller Siegfried Lenz hatte 2014 eine Stiftung ins Leben gerufen, zu deren vornehmsten Aufgaben es gehört, alle zwei Jahre einen Siegfried Lenz Preis zu vergeben. Mit ihm sollen internationale Schriftsteller*innen ausgezeichnet werden, die mit ihrem erzählerischen Werk Anerkennung erlangt haben und deren schöpferisches Wirken dem Geist von Siegfried Lenz nah ist. Für die Vergabe hat die Stiftung eine Jury berufen. Ihre Mitglieder sind:
Die Siegfried Lenz Stiftung begründet ihre Wahl der Preisträgerin wie folgt: "Ihre Romane und Erzählungen spiegeln die Tragödie des 20. Jahrhunderts, die Epoche der Gewaltherrschaft und des Genozids. Die vielfältigen und vielschichtigen Figuren ihrer erzählerischen Welt kämpfen ums Durchkommen, ums Überleben. Manche glauben an Gott, andere an sich selbst, und alle hoffen sie auf Menschlichkeit. Ulitzkaja entwickelt aus diesen Schicksalen ein grandioses Gewebe, das Gegenwart und Vergangenheit miteinander verbindet, das Religiöse mit dem Politischen, das Gesellschaftliche mit dem Persönlichen. Ihre weit gespannte Erzählkunst ist multiperspektivisch, sie bezieht reale und fiktive Dokumente ebenso ein wie ihre jüdische Herkunft. Ljudmila Ulitzkajas Bücher sind ermutigende Aufrufe für eine demokratische Zukunft ihres Heimatlandes."
Die bisherigen Preisträger des mit 50.000 Euro dotierten Siegfried Lenz Preises waren der Israeli Amos Oz, der Brite Julian Barnes und der Amerikaner Richard Ford. Für Siegfried Lenz war nicht allein die anglophone Welt von Bedeutung, sondern auch die Welt seiner ostpreußischen Herkunft. Auch deshalb hat die Jury sich dafür entschieden, diesmal eine Autorin aus dem osteuropäischen Kulturraum auszuzeichnen.
Ljudmila Ulitzkaja, 1943 geboren, wuchs in Moskau auf und ist eine der wichtigsten zeitgenössischen Schriftstellerinnen Russlands. Sie schreibt Drehbücher, Hörspiele, Theaterstücke und erzählende Prosa. Auf Deutsch erschienen u.a. im Verlag Volk & Welt, Berlin, Sonetschka: Eine Erzählung (1992), Medea und ihre Kinder (Roman 1997), Ein fröhliches Begräbnis (Roman 1998), Reise in den siebenten Himmel (Roman 2001).
Im Carl Hanser Verlag erschienen Die Lügen der Frauen (Erzählungen 2003), das Kinderbuch Ein glücklicher Zufall (2005), Ergebenst, euer Schurik (Roman 2005), Maschas Glück (Erzählungen 2007), Daniel Stein (Roman 2009), Das grüne Zelt (Roman 2012), Die Kehrseite des Himmels (2015) und Jakobsleiter (Roman 2017). Alle Werke der Autorin wurden von Ganna-Maria Braungardt aus dem Russischen ins Deutsche übertragen.