Diversität im britischen Buchmarkt

Lesepublikum radikal neudenken

30. Juni 2020
Redaktion Börsenblatt

Die erste wissenschaftliche Studie zur Diversität im britischen Buchmarkt ruft dazu auf, Vorstellungen über das Lesepublikum „radikal neu zu denken“ und People of Colour nicht länger zu diskriminieren.

Die Studie unter dem Titel „Rethinking ‚Diversity‘ in Publishing“ ist die erste detaillierte Studie in Großbritannien, die sich mit Diversität im Buchmarkt und Verlagswesen beschäftigt. Und besser könnte sie zur Zeit nicht passen. Ausgelöst durch den Tod von George Floyd durch einen Polizisten und die Black Lives Matter-Bewegung, beschäftigt man sich auf der ganzen Welt mit systematischen Rassismus und damit, alte Muster neuzudenken. Bücher wie „Exit Racism“ (Tupoka Ogette) und „Was weiße Menschen nicht über Raissismus hören wollen: aber sollten“ (Alice Hasters) sind in aller Munde.

Die Studie ist ein Projekt in Kooperation zwischen Goldsmiths, University of London, Spread the Word und dem Branchenmagazin The Bookseller. Der Bericht wurde von Dr. Anamik Saha und der deutschen Dr. Sandra van Lente geschrieben und basiert auf qualitativen Interviews unter 113 Branchenteilnehmern und Repräsentanten aller größeren Verlagshäuser.

Vor allem die Bereiche Akquise, Werbung/PR sowie Vertrieb und Verkauf waren Mittelpunkt der Studie.

Diversität im Buchmarkt – das fand die Studie heraus:

  • Die Annahme, das Lesepublikum sei weiß und aus der Mittelklasse ist vorherrschend und das einzige, an dem die großen Verlage Interesse zeigen
  • Verlage sehen Bücher von Autor*innen of colour als ‚kommerzielles Risiko‘
  • Lesende, die Schwarz, Asiatisch oder Angehörige einer anderen ethischen Minderheit sowie Angehörige der Arbeiterklasse sind, werden von Verlagen nicht wertgeschätzt, sowohl wirtschaftluch als auch kulturell. Dies beeinflusst Akquise, Bewerbung und Verkauf von Büchern von Autor*innen of colour.
  • „Comping“, also der Vergleich von vergleichbar eingeschätzten Büchern, um Verkaufszahlen zu prognostizieren, schafft Hindernisse für neue Stimmen und bevorzugt bereits etablierte Autor*innen

“Unsere Untersuchung zeigt, dass Verlage und Buchhandlungen nicht die Ressourcen, das Knowhow, oder traurigerweise auch keine Lust haben, ein breiteres Publikum anzusprechen. Sie sehen darin keinen wirtschaftlichen oder kulturellen Nutzen“, so Anamik Saha, leitende Wissenschaftlerin von „Rethinking ‚Diversity‘ in Publishing“ in der Pressemitteilung. „Große Verlage und Buchhandlungen müssen ihr Publikum radikal neu denken. Die ganze Branche ist im Prinzip auf weiße, Mittelklasse-Leserinnen und -Leser ausgerichtet. Das zeigt sich an den Büchern, die produziert werden, den Medien, mit denen sie zusammenarbeitet, sogar am Aussehen von Buchläden und dem Bevölkerungsteil, den sie ansprechen. Das muss sich ändern.“

Kritisiert haben die Wissenschaftler auch, dass Online-Verkäufer, die nicht an der Studie teilgenommen haben, transparenter werden müssen. „Ihre Praxis ist oft undurchsichtig und Veränderungen ihrer Parameter können große Auswirkungen auf die Algorithmen und somit Buchtrends und das Lesepublikum haben.“

Verlage müssen den Wert Schwarzer Narrative verstehen – und nicht als kommerziell weniger wichtig abstempeln. Verlage müssen diese Geschichten zu deren eigenen Bedingungen verstehen, als großartige Erzählkunst – und sie so vermarkten und unterstützen, wie sie es verdienen.

Alex Wheatle

„Jetzt, wo wir die Aufmerksamkeit von allen haben, haben wir eine wundervolle Gelegenheit, die Ungleichheit in Verlagswesen und Buchhandel anzusprechen. Wir wollen in Partnerschaften daran arbeiten, alle diese Ungleichheiten sichtbar zu machen und Verlage müssen nun in den Wert Schwarzen Schreibens investieren“, erklärt der Autor Alex Wheatle in der Pressemitteilung. „Verlage müssen den Wert Schwarzer Narrative verstehen – und nicht als kommerziell weniger wichtig abstempeln. Verlage müssen diese Geschichten zu deren eigenen Bedingungen verstehen, als großartige Erzählkunst – und sie so vermarkten und unterstützen, wie sie es verdienen.“

Mehr Vielfalt im Buchmarkt – Diese Verbesserungsvorschläge macht die Studie

  • Verlage, Agenturen und Buchandlungen sollen „ihre Praktiken, ihr Verhalten und kulturelle Voreingenommenheiten reflektieren und infrage stellen“
  • Branchenteilnehmer sollen schwarze, asiatische und Leseschaften anderer ethnischer Minderheiten direkt ansprechen und mit ihnen interargieren und sie zu schätzen lernen
  • Mehr Menschen, die zu marginalisierten Gruppen gehören, sollten angestellt werden, um neue Lesergruppen zu erreichen
  • Branchenteilnehmer sollen strategische Partnerschaften mit Literaturförderinstitutionen und Expert*innen eingehen, um talentierte Autor*innen of colour zu finden und sie bei ihrer Entwicklung zu unterstützen

Die komplette Studie können Sie online einsehen.