PISA 2022-Studie vorgestellt

"Die PISA-Ergebnisse sind besorgniserregend"

5. Dezember 2023
von Börsenblatt

Die schulischen Leistungen der 15-Jährigen in Deutschland sind in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften merklich gesunken – eine Ursache sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Sie liegen aber noch (leicht) über dem OECD-Schnitt. Das zeigt die aktuelle PISA-Studie.

Die Ergebnisse der PISA 2022-Studie wurden am 5. Dezember auf der Bundespresskonferenz vorgestellt – und in einer mit "Stärkung der Basiskompetenzen dringend notwendig" betitelten Presseinformation zusammengefasst. Laut Studie sind die schulischen Leistungen der 15-Jährigen in Deutschland in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften merklich gesunken. Allerdings: Dieser Rückgang zeige sich für Mathematik und Lesen auch in den meisten anderen OECD-Staaten. Auffallend ist, dass in Deutschland die Gruppe der leistungsschwachen Schüler:innen (die Probleme haben, einfache Aufgaben zu lösen) im Vergleich zu 2018 um 8 Prozentpunkte zugenommen hat und nun mit 30 Prozent sehr hoch ist. Die Zahl der leistungsstarken Schüler:innen hingegen ist auf 9 Prozent geschrumpft – 2018 waren es noch 13 Prozent, 2012 sogar 17 Prozent.

Punktverluste für Deutschland

Durch die vergleichsweise stärkeren Einbußen in Mathematik und Lesen im internationalen Kontext verliere Deutschland seinen bisherigen Vorsprung im OECD-Vergleich und liegt nun auf durchschnittlichem Niveau. In den Naturwissenschaften steht Deutschland nach wie vor über dem OECD-Durchschnitt.

  • Der Rückgang in Mathematik im Vergleich zu 2018 beträgt minus 25 Punkte (OECD minus 17),
  • in Lesen minus 18 Punkte (OECD minus 11)
  • und in Naturwissenschaften minus 11 Punkte (OECD minus 2).

Mögliche Gründe:

Die langen Einschränkungen des Schulbetriebs in Deutschland sowie weitere pandemiebedingte Einschränkungen hätten zu den negativen Entwicklungen beigetragen. Zudem sei die Schülerschaft heterogener geworden und der Anteil von Schülerinnen und Schülern aus Familien mit sozialen Risikolagen habe in den letzten Jahren stark zugenommen. Der Zusammenhang zwischen sozialem Hintergrund und Bildungserfolg sei in Deutschland nach wie vor stark ausgeprägt.

"Es kommt auf die Stärkung der Basiskompetenzen an"

"Die Ergebnisse der PISA-Studie 2022 sind besorgniserregend, sie bestätigen die Befunde der IGLU-Studie sowie der IQB-Bildungstrends 2021 und 2022", erklärte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, Katharina Günther-Wünsch. "Eine zunehmend heterogene Schülerschaft stellt das Schulsystem und auch die Lehrkräfte vor enorme Herausforderungen."

Man stehe vor der Herausforderung, sicherzustellen, dass jede Schule die notwendigen Mittel erhält, um eine hochwertige Bildung zu gewährleisten. Dies umfasse nicht nur finanzielle Ressourcen, sondern auch die Unterstützung durch qualifizierte Lehrkräfte und zeitgemäße Lehrmaterialien. "Alle sind sich einig, dass es jetzt vor allem auf die Stärkung der Basiskompetenzen ankommt, und das möglichst frühzeitig." Die KMK schärfe derzeit ihre Empfehlungen für die Grundschulen und bereite eine deutliche Stärkung des Deutsch- und Mathematikunterrichts vor. Zudem brauche man vor allem eine gezielte Sprachförderung, die in der Frühen Bildung ansetzt und die Lernenden länger begleite. Zudem würden Jugendliche mit Zuwanderungshintergrund, die selbst zugewandert sind, besondere Unterstützung benötigen. "Nicht zuletzt um ihnen einen Übergang in die berufliche Ausbildung, die soziale Teilhabe und gesellschaftliche Integration zu ermöglichen."

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung Jens Brandenburg spricht ebenfalls von "besorgniserregenden Befunden" und ergänzt: "Wir brauchen dringend eine Trendwende und müssen die Anstrengungen erhöhen, um die Grundkompetenzen aller Schülerinnen und Schüler zu stärken. Und wir brauchen dringend eine gezielte Förderung für die sozial benachteiligten Kinder und Jugendlichen. Als Bundesbildungsministerium stehen wir bereit, die zuständigen Länder hierbei zu unterstützen."

Er führt das Startchancen-Programm an, mit dem etwa 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler besonders gestärkt werden sollen. "Bis zum Ende der Programmlaufzeit wollen wir den Anteil derjenigen, die an den Startchancen-Schulen die Mindeststandards in Lesen, Schreiben und Rechnen verfehlen, halbieren", so Brandenburg. Bund und Länder investieren insgesamt 20 Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren. 

Wir brauchen dringend eine Trendwende und müssen die Anstrengungen erhöhen, um die Grundkompetenzen aller Schülerinnen und Schüler zu stärken.

Jens Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung

Die wichtigsten Ergebnisse von PISA 2022 im Überblick:

  • Die mittleren Kompetenzen 15-Jähriger in Deutschland liegen in Mathematik bei 475 Punkten (OECD 472), in Lesen bei 480 Punkten (OECD 476) und in den Naturwissenschaften bei 492 Punkten (OECD 485).
  • Damit liegen die Jugendlichen in Deutschland in Mathematik und Lesen im OECD-Durchschnitt; in den Naturwissenschaften liegt Deutschland nach wie vor über dem OECD-Durchschnitt.
  • Bei Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften sind deutliche Kompetenzverluste im Vergleich zur letzten Erhebung 2018 zu verzeichnen: Mathematik minus 25 Punkte; Lesen minus 18 Punkte und Naturwissenschaften minus 11 Punkte. Der OECD-Durchschnitt verringerte sich ebenfalls, aber weniger stark als in Deutschland.
  • Nach zwischenzeitlichem Anstieg der Kompetenzen in Mathematik und Naturwissenschaften bis 2012 und in Lesen bis 2015 sind seitdem Leistungsrückgänge zu verzeichnen. Das aktuelle Ergebnis in Mathematik (475 Punkte) liegt unter dem Wert von 2003 (503 Punkte).
  • In Mathematik gelten 30 Prozent (OECD 31 Prozent) als leistungsschwach (unter Kompetenzstufe 2), in Lesen 26 Prozent (OECD 26 Prozent) und in den Naturwissenschaften 23 Prozent (OECD 25 Prozent). Die Anteile sind im Vergleich zu 2018 national und auf OECD-Ebene in allen drei Domänen gestiegen.
  • In Mathematik gelten 9 Prozent (OECD 9 Prozent) als leistungsstark (Kompetenzstufe 5 oder 6), in Lesen 8 Prozent (OECD 7 Prozent) und in den Naturwissenschaften 10 Prozent (OECD 8Prozent). In Mathematik und Lesen haben die Anteile seit 2018 abgenommen; in den Naturwissenschaften sind sie weitgehend unverändert.

Weitere Ergebnisse:

  • Herkunftsbezogene Ungleichheiten zeigen sich in allen OECD-Mitgliedsstaaten. Im internationalen Vergleich sind diese für Deutschland stark ausgeprägt und weiterhin hoch. Sozioökonomisch begünstigte Jugendliche in Deutschland übertreffen benachteiligte Schülerinnen und Schüler in Mathematik erheblich und stärker als im OECD-Durchschnitt um.
  • In fast allen europäischen Staaten zeigt sich eine geringere mathematische Kompetenz bei Jugendlichen aus zugewanderten Familien im Vergleich zu Jugendlichen ohne Zuwanderungshintergrund. Besonders starke Disparitäten zeigen sich in Deutschland.
  • Vor allem zugewanderte Jugendliche der ersten Generation, die selbst nach Deutschland zugewandert sind, weisen im Durchschnitt eine deutlich niedrigere mathematische Kompetenz auf. Allerdings haben sich auch Jugendliche ohne Zuwanderungshintergrund verschlechtert, über Schulformen und Leistungsniveaus hinweg.
  • Für die zweite Generation der zugewanderten Jugendlichen, deren Eltern im Ausland geboren sind, sind 2022 Kompetenzrückstände zu großen Teilen auf sozio-ökonomische Aspekte und den häuslichen Sprachgebrauch zurückzuführen.
  • Nur noch knapp über die Hälfte der Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund sprechen zu Hause Deutsch (2012: 72 Prozent) und in der Teilgruppe der Jugendlichen der ersten Generation sind es nur 13 Prozent (2012: 36 Prozent).
  • Es ist wichtig, sozio-ökonomische und zuwanderungsspezifische Effekte im Zusammenhang zu betrachten. Eltern von Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund weisen in Deutschland (sowie in nahezu allen anderen europäischen Staaten) tendenziell einen niedrigeren sozioökonomischen beruflichen Status auf als die Eltern Jugendlicher ohne Zuwanderungshintergrund.
  • Jungen schnitten in Mathematik um 11 Punkte besser ab als Mädchen (OECD 9). Die Mädchen schnitten im Lesen um 20 Punkte besser ab als die Jungen (OECD 24). In den Naturwissenschaften zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen.
  • Auf der Systemebene betrachtet hielten die pandemiebedingten Einschränkungen im Schulbetrieb in Deutschland länger an als im OECD-Durchschnitt.

Was Schüler:innen im Bereich Lesekompetenz wissen und können:

  • Im Bereich Lesekompetenz erreichten etwa 75 Prozent der Schüler:innen in Deutschland mindestens Stufe 2 (OECD-Durchschnitt: 74 Prozent). Diese Schüler:innen sind zumindest in der Lage, die Hauptaussage eines mittellangen Textes zu erfassen, sie können expliziten, z. T. aber auch komplexen Kriterien entsprechende Informationen finden und nach ausdrücklicher Anweisung über die Funktion und die Form von Texten reflektieren. Der Anteil der 15-jährigen Schüler:innen, die das Mindestkompetenzniveau in Lesekompetenz (mindestens Stufe 2) erreichten, variierte zwischen 89 Prozent in Singapur und 8 Prozent in Kambodscha.
  • In Deutschland erreichten 8 Prozent der Schüler:innen im Bereich Lesekompetenz Stufe 5 oder höher (OECD-Durchschnitt: 7 Prozent). Diese Schüler:innen können längere Texte verstehen, mit abstrakten und kontraintuitiven Konzepten umgehen und aufgrund von impliziten Hinweisen in Bezug auf Inhalt oder Informationsquelle zwischen Fakten und Meinungen unterscheiden.

Hintergrund

Die Programme for International Student Assessment (PISA) Studie ist eine international vergleichende Schulleistungsuntersuchung. In PISA 2022 ist Mathematik Schwerpunktfach.

PISA ist ein zweistündiger Test am Computer in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Außerdem werden von Schülerinnen und Schülern, Eltern, Lehrkräften und Schulleitungen Fragebögen zu Hintergrundmerkmalen und Lehr-/Lernbedingungen ausgefüllt. Zusätzlich wurde in PISA 2022 ein ergänzendes Fragebogenmodul zum Lernen und Lehren während der Corona-Pandemie eingesetzt. Erstmals 2022 wurden zusätzlich Fähigkeiten im "kreativen Denken" getestet. Diese Ergebnisse werden 2024 veröffentlicht.

Deutschland beteiligt sich seit Beginn der Erhebung im Jahr 2000 zum achten Mal. PISA wird alle drei Jahre erhoben.

Die PISA 2021-Studie wurde aufgrund der Schulschließungen durch die Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben. Auch die PISA 2022 Erhebung war von der Pandemie geprägt und fand unter teils sehr herausfordernden Bedingungen statt.

PISA wird von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verantwortet. Die nationalen Erhebungen werden vom Zentrum für Internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) koordiniert und ausgewertet.

Weltweit beteiligten sich rund 690.000 Schülerinnen und Schüler an PISA 2022, repräsentativ für 29 Millionen 15-Jährige in 81 Staaten und Volkswirtschaften. In Deutschland haben 6.116 Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 Jahren in 257 Schulen den PISA-Test absolviert.

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