Die Kleinstadt Wissen an der Sieg hat sich in den letzten Jahren zu einer Literaturstadt mit überregionaler Ausstrahlung entwickelt. Das zieht Gäste aus ganz Deutschland an.
Hanns-Josef Ortheil in Wissen / Sieg vor seinem Elternhaus
Vor vier Jahren hat der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil im Zentrum der kleinen, westerwäldischen Stadt Wissen an der Sieg ein leerstehendes Ladenlokal gemietet. Er ließ es renovieren und brachte zusammen mit alten Möbeln seiner Eltern und Fotografien der lokalen Familiengeschichte Teile seiner Bibliothek dort unter.
Die Eltern wurden beide in Wissen geboren, hatten den größten Teil ihres Lebens aber in Städten wie Berlin, Köln und Mainz verbracht, bis sie in ihren letzten Jahren wieder zurück in die Heimat gezogen waren. Dort hatten sie ein kleines Haus gebaut, in dem der Schriftsteller nach ihrem Tod heute während längerer Arbeitsphasen an seinen Büchern wohnt. Viele seiner Romane und Erzählungen (wie etwa Hecke, Die Erfindung des Lebens oder Der Stift und das Papier) spielen in Wissen, Ortheil hat die Stadt und ihre ländliche Umgebung einmal als seine „Urheimat“ bezeichnet, mit der er seit seiner Kindheit intensiv verbunden sei.
Das Ladenlokal mit dem italienischen Namen Sala Ortheil ist inzwischen zu einer Anlaufstelle nicht nur für die Einheimischen, sondern auch für Gäste aus ganz Deutschland geworden, die zu literarischen Gesprächsrunden zusammenkommen und sich über ihre eigenen Texte austauschen. 2023 fanden dort mehrere Treffen einer Schreibakademie statt, in deren Verlauf Texte über Wissen entstanden, die den Ort und seine Menschen in Anlehnung an den berühmt gewordenen Kleinstadtzyklus Winesburg, Ohio von Sherwood Anderson porträtieren: Wissen, Sieg.
Seither wird das literarische Leben der Stadt auch durch eine neue Lesereihe (Wissen liest) aktiviert. Ganzjährig finden Lesungen aus aktueller Gegenwartsliteratur statt, die von einer besonderen Verbindung mit der jungen Literatur profitieren. So lädt Hanns-Josef Ortheil Autorinnen und Autoren wie Martin Kordić oder Sabrina Janesch, die an der Universität Hildesheim Literarisches Schreiben studierten, nach Wissen zu Lesung und Austausch ein. In Hildesheim lehrt er zurzeit noch als Seniorprofessor und forscht über Formate des Kreativen Schreibens - eine Lehre, deren Praxis auch den Schreibwilligen seiner Schreibakademie zugutekommt.
Die erstaunliche Entwicklung einer kleinen Stadt zu einer Literaturstadt hat bereits im Jahr 2001 mit dem Start der Westerwälder Literaturtage begonnen. Sie wurden zehn Jahre lang von der Buchhändlerin Maria Bastian und Hanns-Josef Ortheil geleitet und fanden zunächst nur in Wissen statt, bevor sie in eine Veranstaltungsreihe für den ganzen Westerwald unter Leitung von Maria Bastian übergingen. 2009 entstand das Kulturwerk Wissen mit seinen großen Hallen aus dem ehemaligen Wissener Walzwerk und wird seither als Raum für Veranstaltungen genutzt.
Hier haben Literatur, Musik, Theater und Kunst einen Platz gefunden und ziehen das ganze Jahr hindurch viele Besucher an. Mit dem buchladen von Maria Bastian besitzt die Stadt zugleich eine Buchhandlung, die bereits mehrfach mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet wurde. Das alles zusammen bildet ein einzigartiges Ensemble, das aus einer Stadt von kaum mehr als 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern eine immer bedeutsamer werdende Literaturstadt mit starker, überregionaler Ausstrahlung weit über Köln, Siegen und das Rheinland hinaus gemacht hat.
