Networking in The Hof

Virtueller Absacker

16. Oktober 2020
Stefan Hauck

90 Gäste waren gespannt, wie es sich am einzigen deutschsprachigen digitalen Stehtisch in "The Hof" anfühlen würde: Impressionen eines Abends bei Grauburgunder und Apfelwein, mit Ilija Trojanow und anderen Autoren, Verlegern, Agenten ....

In New York ist es gerade Mittag, als Felix Zeltner gestern Abend die Gäste in "The Hof" zu "Grauburgunder meets Ebbelwei" begrüßt. Der Journalist und Mitgründer von Work Awesome moderiert die virtuelle Ausgabe des in der realen Welt etablierten Buchmesse-Treffpunkts Frankfurter Hof, ein virtueller abendlicher Absacker; eingeladen hatte der Börsenverein Landesverband Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland. Den Grauburgunder kennt man in NY nicht, "hier sagen wir Pinot Grigio dazu", merkt Zeltner an. Kontrast-Verlegerin Barbara Jost hat vor der heimischen Bar den Grauburgunder gegen einen roten Spätburgunder getauscht: "Ich bin gespannt, wie es sich am digitalen Stehtisch anfühlt", meint die Vorsitzende des Landesverbands, "vielleicht können wir sogar mehr Menschen als an einem wirklichen Stand ansprechen und etwas über sie erfahren."

Rund 90 Gäste haben sich zum einzigen deutschsprachigen Treffen in "The Hof" eingeloggt, man prostet sich zu den Klängen eines Gitarristen und einer Sängerin zu und, ja, fast alle finden es doch ein bisschen fremd und bekennen, dass sie sich lieber live in die Augen geschaut hätten. Aber man akklimatisiert sich, italienische, brasilianische, griechische Autoren und Verleger sind auch dabei, die meisten jedoch im Landesverband ansässige Verlegerinnen wie Berthold Röth (Worms Verlag), Annette Sievers (Peter Meyer), Sandra Thoms (Verlags-WG) oder Sven Nieder (Eifelbildverlag), befreundete Verlegerinnen wie Reinhilde Ruprecht (Edition Ruprecht), Autorinnen, Betriebsberaterinnen wie Gudula Buzmann, Literaturagentinnen wie Charlotte Larat und und und …. So wie man sich im Frankfurter Hof vielleicht auch getroffen hätte.

Oder doch nicht: Die Lyrikerin und Fotografin Milena Findeis aus Prag meint, dass Zeit und Kosten für die reale Fahrt nach Frankfurt dann oft doch dazu führen, dass man sich gegen den Buchmessen-Besuch entscheidet – "und so ein Treffen über den Bildschirm dagegen geht dann schon ganz leicht." Die Ansicht teilen nicht wenige. Einzig  Buchhändlerinnen haben nicht in die Runde gefunden, vielleicht haben sie um die Uhrzeit noch nicht den Absprung vom Laden geschafft: Mehr als doppelt so viele Gäste haben sich angemeldet, aber digital scheint nicht so verbindlich, das ist auch bei den anderen Treffen in "The Hof" so.

Unter den Gästen ist die Vorsteherin, die ja auch Mainzer Verlegerin ist und gerade aus einer Videokonferenz mit Friedenspreisträger Amartya Sen kommt: "Es macht mich sehr traurig, ihn nicht am Sonntag in der Paulskirche zu sehen", sagt Karin Schmidt-Friderichs, die mit ihrem Mann Bertram vorm Monitor sitzt. Ebenfalls dabei ist Schriftsteller Ilija Trojanow, der seine Verbindung nach Hessen offenbart: "Ich bin Fan von Eintracht Frankfurt …". Und nach Rheinland-Pfalz?, fragt Felix Zeltner. "Ich war 2007 Stadtschreiber von Mainz und hab' auch dort in der Stadtschreiberwohnung im Gutenberg-Museum gewohnt." Trojanow berichtet von seinen Erfahrungen, den Buchmarkt in der Pandemie betreffend: "Große Buchhandlungen – große Krisen, die kleinen Buchhandlungen haben es besser geschafft, da läuft es." Er habe von vielen Kindern gehört, die viel gelesen, von Menschen, die Unmengen von Büchern gekauft hätten: "Es sind ganz unterschiedliche Geschichten, auch Geschichten von Hoffnungen." Generell seien große Strukturen problematisch, bei kleineren sei viel mehr Flexibilität und Kreativität möglich: "Small is beautiful …" Kultur und Literatur, findet der Schriftsteller, "ist Allgemeinwohl, ist Allmende – ich hätte niemals über sieben Jahre lang einen Roman wie den 'Weltensammler' schreiben können ohne Förderungen." Auch eine reichhaltige Kulturszene sei ungemein wichtig und werde von vielen Lesern so erfahren: "Aah, zum ersten Mal seit dem Lockdown bin ich wieder draußen, das ist so schön", habe er oft bei den Lesungen gehört. Die englische Redewendung "Count your blessings" sei hier angebracht: "Wir können dankbar sein für das, was wir haben – und dafür kämpfen."

Unterbrochen von kleinen Gitarre- und Gesangstücken treffen sich je fünf, sechs Gäste in virtuellen Räumen; die anfängliche Schüchternheit, wer denn nun mit dem Reden anfangen soll, wird bald überwunden, alle tasten sich an ein Gesprächsthema heran, es werden Gemeinsamkeiten entdeckt: Hier finden Fotografen zueinander, dort wird das fehlende Messefeeling thematisiert. Oder ein mexikanischer Autor bekennt, eigentlich nicht gut deutsch zu sprechen, aber die deutschsprachige Lyrik mit ihrem Rhythmus so zu mögen und rezitiert dann aus dem Gedächtnis ein Rilke-Gedicht, dass den anderen der Mund offen stehen bleibt: Momente, wo Wortklänge sehr, sehr fühlbar verbinden.

Dann geht es schon wieder zurück in den großen Saal mit allen, dann wieder in einen kleinen Raum mit sechs anderen Gästen, und im Nu ist die Stunde mit Grauburgunder und Apfelwein herum und viele prosten und posten noch einmal, dass sie ja gar nicht gewusst hätten, was auf sie in "The Hof" zukommt, aber dass sie jetzt positiv überrascht sind, viele Eindrücke haben und ihnen eigentlich gar nichts gefehlt hat. Oder doch: Hat jemand auf den Bildschirmen ein geripptes Apfelweinglas entdeckt? Oder war der Grauburgunder in der Überzahl?