"Verrückt – jedes Treffen beginnt PÜNKTLICH!!"
Wie erlebt die Buchbranche diese so ganz andere Messezeit? Das Börsenblatt hat nachgefragt - heute bei Literaturagentin Paula Peretti. Und Illustratorin Jutta Bauer hat dazu gezeichnet.
Wie erlebt die Buchbranche diese so ganz andere Messezeit? Das Börsenblatt hat nachgefragt - heute bei Literaturagentin Paula Peretti. Und Illustratorin Jutta Bauer hat dazu gezeichnet.
Start der digitalen Buchmesse. Hm, alles anders. Kein: ICE Köln-Frankfurt, schon im Messe-outfit und Köfferchen, um in Sachsenhausen die Stadt zu begrüßen – meist bei strahlender Herbstsonne –, in Vorfreude auf fünf intensive Tage und lange Abende. Kein: vom Schweizer Platz zu Fuß zum Agenten-Empfang bei Fischer, wo es so schön international brodelt, sehen und gesehen werden. Danach keine Warterei aufs Taxi …
Kein endlich doch anbrausendes Taxi, aus dem ein bekanntes Gesicht aussteigt, sodass ich damit zur nächsten Einladung düsen kann, um Freunde und Weggefährten der Kinder- und Jugendliteratur zu treffen. Nichts davon.
Diesmal sind wir es, die den Jetlag haben. Unsere Auslandsklienten in USA und Kanada haben uns im Vorfeld die neuen Titel vorgestellt, zu Uhrzeiten, die bei ihnen gut passten, bei uns in der Nacht lagen. Bei allen dieselbe Wehmut auch überm großen Teich: "Such a pity that we are not coming to Frankfurt!"
Für die Autor*innen und Illustrator*innen hierzulande, auch alles anders. Die Deadline "Buchmesse" zieht nicht mehr, ist aufgeweicht, Projekte werden viel zu spät fertig. Und da sie nicht nach Frankfurt kommen können, um ihrerseits an der Messe mitzuwirken und aufzutreten, soll die Agentur alles auffangen … Dank Nachtschichten des ganzen Teams stehen die Angebotslisten rechtzeitig, uff. Leider auch keine Zeit, mich noch schnell bei Frankfurt Rights oder dPictus oder oder einzuarbeiten … neue spannende Wege und Foren, die sich anbieten und bald immer wichtiger werden.
"Messecalls!" Haben wir vor Corona doch nie benutzt, dieses Wort? In den vergangenen Wochen habe ich diesen Begriff beherzt in die Betreffzeile gesetzt, um Termine auszumachen. Hat funktioniert, fanden alle normal. "Schick mal den Link", hieß es, damit war der Messetermin besiegelt.
Ab 9.30 geht es los … Verrückt – jedes Treffen beginnt PÜNKTLICH!! "Ihr Gesprächspartner wartet" steht im Zoom-Fenster, ich lasse ihn eintreten. Ein ganz neues Erlebnis, dass alle "um Punkt" da sind. Kein Gehetze durch die Gänge. Prima? Weiß nicht, denn: kein herzliches Hallo, wenn man Leute wiedersieht, die man nur in Frankfurt auf der Messe trifft, kein kurzes Stehenbleiben, um die neuesten News auszutauschen, die netten Stand-Empfänge. Keine spontanen Inspirationen, Entdeckungen wunderschöner Bücher etcpp, bin echt wehmütig.
OMG, hatte gerade mein technisch schrecklichstes Gespräch … Glücklicherweise hatte Frau X 1 Stunde eingeplant, damit wir von skype business zu skype, zu zoom (wo sie nicht den Haken gefunden hat, bei dem man anderen das Teilen erlauben kann), wieder zurück zu skype springen konnten … mit eingefrorenem Bildschirm, miesester Tonqualität etc.
Trotzdem: am Ende ist Frau X ganz guter Dinge, was das neue Programm angeht. Sie suchen Pappbilderbuch, Bilderbuch, Vorlesebuch … für die Feinheiten war die Qualität des Telefonats zu schlecht.
Aber, wiederum gut: Die "Messe" streckt sich über mehrere Wochen. Wir können immer wieder innehalten, über die gerade gelaufenen Gespräche beraten, Vergessenes raussuchen, die Strategie zwischendurch verbessern. Trotzdem, ich vermisse den Messetrubel. "Messe im Büro" heißt auch: Adrenalin-Knopf an und wieder aus – ich muss mich immer wieder hochfahren. Normalerweise war man fünf Tage durchgehend im Messe-Modus, danach tot, aber egal. Man zehrt davon ein halbes Jahr, dann kam zum Glück Bologna. Kam. Wie lange dauert dieser Entzug noch?
"Sind Sie heute im Verlag?" – "Ja, hier sehen Sie mein Regal" (ich sehe es nicht, liegt außerhalb des Ausschnitts, egal). Jeder Call beginnt mit Smalltalk über die technische Verbindung oder über Corona. Meist sitzt mein Gegenüber im Homeoffice, vor neutralen Wänden, die Wäschespinne ist weggeräumt. Also gut, packen wir es bei den Hörnern! Wenigstens haben wir diese digitalen Möglichkeiten, und es ist wirklich viel netter, sich zu sehen, als sich nur zu hören. Adrenalin-Taste: ON? Oberkörper-Outfit: OK? Gut, das Gespräch läuft sich warm; manche haben nur die 30 Minuten, aber andere schauen nicht auf die Uhr. Digitale Messe, das heißt auch: sich mehr Zeit lassen können, Aspekte vertiefen – kein: "Mein nächster Termin wartet schon, tut mir leid!".
Der Zoom-Reminder klingelt 2 Stunden und nochmal 10 Minuten vor dem nächsten Termin.
Aber heute ist um 17.30 Uhr Schluss! Denn dann heißt es: Rechner mit Cinema-Display ins Wohnzimmer stellen und den Deutschen Jugendliteraturpreis einschalten, "live" aus dem Grips Theater in Berlin. Daumen drücken für Anne Becker! Werde ich wohl allein anschauen. In Köln soll gerade niemand aus dem Haus gehen, der nicht muss …
Paula Peretti Literarische Agentur, Köln
Illustrationen: © Jutta Bauer