Nachruf

Sybil Gräfin Schönfeldt ist tot

15. Dezember 2022
Stefan Hauck

Nach kurzer Krankheit ist die Autorin und Journalistin Sybil Gräfin Schönfeldt am 14. Dezember im Alter von 95 Jahren in Hamburg gestorben. Wenn auf jemanden das Adjektiv "belesen" vollumfänglich passt, dann auf sie – und das Wunderbare daran, dass sie alle um sich herum und ihre Leser:innen jederzeit daran teilhaben ließ.

Sybil Gräfin Schönfeldt

Faxe via Gemüsehändler

Seit 1954 schrieb sie für die "Zeit" Rezensionen und Essays und war Mitbegründerin des "Zeit-Magazins", regelmäßig schrieb sie auch für das Börsenblatt. Ihr Schreibtisch war immer übervoll mit Arbeit, und wenn es dann in den 1990er Jahren mit dem Abgabetermin pressierte – E-Mails gab es noch nicht –, rief sie kurz vorher an und sagte: "Ich bin jetzt gleich fertig mit dem Artikel, ich laufe rasch runter zu meinem Gemüsehändler und faxe Ihnen dann!" Der Gemüsehändler hatte nämlich ein Faxgerät, während Gräfin Schönfeldt mit ihrem alten Telefonanschluss vollauf zufrieden war. Die Texte via Fax (wie auch die per Post) waren stets stilistisch formvollendet, präzise, selten dass eine Nachfrage nötig war, und sie eröffneten Welten. Sybil Gräfin Schönfeldt war das, was man in diesen Zeiten eine Edelfeder nannte. Kaum ein buchaffines Thema, über das sie nicht schreiben konnte; besonders lag ihr die Kinder- und Jugendbuchliteratur am Herzen, die sie nicht nur rezensierte, sondern auch übersetzte. Die Liste der von ihr ins Deutsche übertragenen Bücher ist riesig – sie reicht vom "Dschungelbuch" bis zu "Alice im Wunderland", von Roald Dahl über Edith Nesbit bis zu Joan Aiken.

 

Eine Konstante bei den Buchbesprechungstagen

Sybil Gräfin Schönfeldt war Vorsitzende des Arbeitskreises für Jugendliteratur, sie gründete 1969 das Hamburger Jugendforum, war ab 1974 acht Jahre dessen Vorsitzende und veranstaltete ebenso lange die Hamburger Kinderbuchwoche. Für den Börsenverein Landesverband stellte sie von 1980 an über Jahrzehnte in den Buchbesprechungstagen Buchhändler:innen mit Verve die Novitäten vor. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem mit dem Deutschen Erzählerpreis, dem Deutschen Jugendbuchpreis, dem Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur und vom Börsenverein mit der Plakette „Förderer des deutschen Buches“. 2018 noch hatte sie sich mit Weggefährten aus dem Dürkheimer Kreis des Börsenvereins in Nürnberg getroffen.

Die Grande Dame der Kochkultur

Sie war eine Meisterin der Zeitreisen, als Leser tauchte man mit ihr in unterschiedliche Epochen ein und kam literarischen Geistesgrößen ganz nahe. In ihren Büchern "Bei Thomas Mann zu Tisch", "Gestern aß ich bei Goethe" oder "Wanderungen durch Theodor Fontanes Esslandschaft" zum Beispiel verband sie ungeheuer große Werkkenntnis mit kulinarischen Genüssen. In "Bei Astrid Lindgren zu Tisch" vermittelte sie Lindgrens Kindheit auf dem Land ebenso wie ihre spätere Zeit in der Stadt und zeigte durch viele Zitate aus Lindgrens Werk, welch genaue Beobachterin diese war. Die Titel wurden allesamt zu Bestsellern, ebenso ihr "Knigge für die nächste Generation". Ende der 1990er Jahre entwickelte sie mit Elisabeth Raabe und Regina Vitali die Idee zu einem Küchenkalender mit Zitaten aus der klassischen wie zeitgenössischen internationalen Belletristik über Gerichte, Essensgewohnheiten usw. und dem dazugehörigen Rezept – das sie selbstverständlich vorher ausprobiert hatte. Schönfeldts "Literarischen Küchenkalender 2023" (Edition Momente) hat die Jury des Deutschen Kalenderpreises erst vor zwei Monaten in die Liste der "Zehn besten Kalender für das Jahr 2023" aufgenommen. Sybil Gräfin Schönfeldt war die Grande Dame der Kochkultur.

"Warten Sie mal kurz"

Auch im hohen Alter hatte Gräfin Schönfeldt nichts von ihrer Neugier, von ihrem Wissensdrang, von ihrer Lust auf Austausch verloren. Noch im vergangenen Jahr telefonierten wir über ihren Küchenkalender und ihre Kochbücher für die älteren Alleinstehenden, aber es war völlig klar, dass es bei diesem einen Thema nicht bleiben konnte, denn die Gräfin verstand es immer, Gespräche in korrespondierenden Bögen aufzubauen, und dann waren wir im Nu bei Fridays for Future, bei der Klimaerwärmung, bei ihrer eigenen Jugend und und und. Sie bedauerte ihre zunehmende Immobilität; seit gut 60 Jahren wohnte sie in Hamburg in der Nähe der Alster in einem mehrstöckigen Haus unter dem Dach, was ihre Beweglichkeit eben einschränkte. Von ihrer geistigen Wendigkeit indes hatte sie kein Fitzelchen eingebüßt, und wie in früheren Jahrzehnten sagte sie, typisch: "Warten Sie mal kurz" und hatte, noch während sie weitertelefonierte, kurze Zeit später das Buch mit dem von ihr im Gespräch gesuchten Zitat aus einem Regal gezogen oder einem Stapel gefischt. Ebenso typisch für sie war, dass sie einem en passant immer noch ein paar Lebensweisheiten mit auf den Weg gab, einen Satz, über den man noch länger nachdachte. Wenn auf jemanden das Adjektiv "belesen" vollumfänglich passt, dann auf Sybil Gräfin Schönfeldt – und das Wunderbare daran war, dass sie alle um sich herum und ihre Leser:innen jederzeit daran teilhaben ließ.