Gastland-Serie: Auf einen Espresso mit … Roberto Saviano

Saviano: "Misstrauen war mir fremd"

20. Oktober 2024
Nicola Bardola

Der unter permanentem Personenschutz stehende Autor Roberto Saviano freut sich über die Offenheit des deutschen Publikums und erklärt im Gespräch, was er durch seine Auseinandersetzung mit Mafia-Jäger Giovanni Falcone für sein eigenes Leben gelernt hat.

Roberto Saviano auf der Frankfurter Buchmesse

"Der italienische Interviewer will wissen, wie der Autor die Welt sieht"

Im Erdgeschoss des Forums der Messe rund um die Literaturbühne herrscht nach dem Auftritt Roberto Savianos eine Atmosphäre wie nach einem Rockkonzert, das Publikum ist begeistert. Der Bestsellerautor bahnt sich mit Security langsam einen Weg zum Backstage-Bereich, gibt geduldig Autogramme und macht Selfies mit den Fans. Den Betreuer:innen ist die Sorge ins Gesicht geschrieben: In diesem Gedränge könnte Unvorhergesehenes passieren. Roberto Savianos neuestes Buch "Falcone" erzählt die Geschichte des Mafia-Jägers Giovanni Falcone, der wusste, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit umgebracht werden würde und trotzdem in seiner Gerechtigkeitsliebe nie nachließ. "In seiner Leidenschaft ist das Publikum in Deutschland dem in Italien ähnlich: Die Lerser:innen wollen dem Autor begegnen, wollen ihn berühren, wollen ihm etwas sagen, etwas zurückgeben. Das hätte ich ganz am Anfang nicht gedacht: Als 2007 'Gomorrha' erschien, hatte ich mich auf ein distanziertes und sehr zurückhaltendes deutsches Publikum gefasst gemacht. Aber so war es nie und ist es bis heute nicht", sagt Saviano. Und doch gebe es Unterschiede, vor allem in den Medien und bei der Literaturkritik.

Italienische Interviewer und Rezensenten konzentrierten sich weniger auf das Buch, sondern mehr auf die Meinungen des Autors. Sie wollten wissen, was der Autor denkt – auch im Allgemeinen. Das seien dann Gespräche besonders über Politik und Kultur. "Der italienische Interviewer will nichts über die Sprache im Buch, über den Stil, über die Schreibarbeit wissen. In Italien ist man darauf fokussiert zu erfahren, wie der Autor die Welt sieht. Bei der immer geringer werdenden Meinungsfreiheit ist das auch verständlich. In Deutschland hingegen konzentriert man sich viel stärker auf die jeweilige Neuerscheinung, auf das aktuelle Buch. Dass der Autor eine Meinung hat, das ist hier eh klar; das muss nicht abgefragt und herausgestellt werden."

"Die Angst, dass der Andere dich verletzen will – die kannte ich nicht"

Liest man Savianos neuesten Roman "Falcone" und blickt auf die eigene Situation des Autors, fällt die Einsamkeit des Mutigen auf. Er habe durch die Beschäftigung mit Richter Falcone versucht, für sein eigenes Leben zu lernen, für sich selbst Neues zu erfahren, erläutert Saviano. "Das Überraschendste bei der Recherche war, dass Falcone unfassbar naiv und treuherzig war. Das ist eigentlich unglaublich, denn Falcones Leben bestand ja hauptsächlich aus Misstrauen, Vorsicht und Zweifeln. Aber diesen belastenden Alltag aus Argwohn und Verdächtigungen musste er kompensieren. Also verhielt er sich auf freundschaftlicher Ebene gutmütig und offen. Er konnte ja nicht immer Nein sagen. Er musste auch bejahend und vertrauensvollsein dürfen." Falcone habe versucht, das Leben zu genießen: essen, trinken, feiern. Für sich selbst hat Saviano damit immer noch Mühe. "Wenn ich jemandem vertraue, wenn ein Mensch da ist, für den ich Freundschaft empfinde, dann sage ich Ja. Aber das war seit meinem ersten Buch und ist bis heute nicht einfach. Ich glaube allerdings nicht, dass das nur an meiner Situation als gefährdeter Autor liegt. Das ist ganz einfach auch meine Veranlagung. Ich neige zur Melancholie und zur Depression. Misstrauen aber war mir fremd. Die Angst, dass der Andere dich verletzen, dich manipulieren will – die kannte ich nicht."

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