Messetagebuch IV

"Mein Buch wird zum Passierschein"

18. Oktober 2020
Redaktion Börsenblatt

Wie erlebt ein Schriftsteller diese so ganz andere Messezeit? Das Börsenblatt hat nachgefragt - heute bei dem für den Schweizer Buchpreis nominierten Karl Rühmann ("Der Held").

Ich wurde aufs Blaue Sofa eingeladen. Endlich, so freute ich mich, würde ich erfahren, wie gut es sich darauf sitzen lässt. Aber dann erzwang das Virus einige Möbeltransporte: Zuerst brachte man das Sofa nach Berlin, dann – sehr überraschend - nach Zürich. Unterwegs muss es irgendwo vom Lastwagen gefallen sein, denn im Studio des Schweizer Fernsehens stand nur ein Sessel.

Dann durfte ich doch nach Frankfurt zur Buchmesse: zum Open Books Lesefestival. Da Zürich aber inzwischen zum "Hot Spot" erklärt wurde, durfte ich nur mit einer von der BuchBasel ausgestellten Sonderbewilligung reisen: als Kulturschaffender, der binnen 24 Stunden wieder ausreisen wird. Was für ein Stoff für eine Geschichte! Ich bin ein Reisender auf einer Sondermission, mein Passierschein ist mein Roman, ein Pass, mit der Sonderbewilligung zwischen die Seiten geschoben ... 

Der ebenfalls nominierte Tom Kummer brauchte keine Sondergenehmigung, weil er von Bern kommt und die Stadt kein Risikogebiet ist – plötzlich entscheidet der Wohnort, was man darf oder nicht. Eigentlich hätten wir zu fünft lesen sollen, alle Nominierten; Dorothee Elmiger, Anna Stern und Charles Lewinsky aber hatten von sich aus entschieden, nicht zu kommen.

 

Die Lesung in den Römerhallen: Der Saal voll und doch ohne Publikum. Die Leute sitzen so weit auseinander, dass man sich an die Gäste einzeln wendet. Einerseits ist es so persönlicher, weil ich nun jeden einzelnen Zuhörer wahrnehme, andererseits verstärkt es aber auch den Eindruck von Einsamkeit, weil man auf der Bühne ja sowieso allein ist. Wenn ich eine Geschichte schreibe, versuche ich meist, dass jeder einzelne Leser etwas in dieser Geschichte findet – und während ich im Zug auf dem Rückweg nach Zürich sitze, immer noch meinen Passierschein im Gepäck, merke ich, dass es da eine Parallele gibt: In den Römerhallen hatte sich nicht wie bei früheren Lesungen eine eher konturlose Masse vor mir aufgebaut, sondern ich bin durch den Blick auf den einzelnen Zuhörer jener Erfahrung, die ich beim Schreiben habe, ziemlich nahe gekommen. Ich teile sozusagen etwas von der Intimität, die ich beim Schreiben habe. Eine neue Erfahrung und wieder einmal der Kern einer Geschichte, zu erzählen irgendwann, wenn sich die Leute im Publikum wieder Kommentare über den Lesenden zuflüstern dürfen. Und wenn das Blaue Sofa wieder dort steht, wo es hingehört.