Konrad Pappel ist zu komplex für die Bühne
Bisher brillierte Poetry-Slam-Meister Dalibor Marković mit kurzen Bühnentexten, die von Tempo und Rhythmus leben. Jetzt wechselt er in die Langform: Ende des Jahres erscheint sein Debütroman.
Bisher brillierte Poetry-Slam-Meister Dalibor Marković mit kurzen Bühnentexten, die von Tempo und Rhythmus leben. Jetzt wechselt er in die Langform: Ende des Jahres erscheint sein Debütroman.
Zu Beginn streikt die Technik: Der Videoanruf mit Dalibor Markovic kommt nicht zustande. Eine Stunde später, nach Mails, SMS-Nachrichten und Telefonaten, findet das Gespräch mit dem Börsenblatt doch noch statt. Und je länger die Unterhaltung dauert, desto stärker wird das Gefühl, dass der Poetry-Slammer mit seiner geduldigen Art, seiner Eloquenz, seinem Wortwitz nicht nur ein begnadeter Bühnenkünstler, sondern auch ein inspirierender Mentor für die Teilnehmer*innen seiner Poesie-Workshops an Schulen und Universitäten ist.
Marković hat Philosophie studiert – an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Damals entdeckte er bei einem Musikprojekt als Texter und Sprecher seine Leidenschaft für Beatboxing und das Spoken Word Genre. Poetry-Slam-Texte sind kurz, der Vortrag dauert in der Regel nicht länger als sechs Minuten. Das lässt vermuten, dass wenig Aufwand dahintersteckt. Aber stimmt das eigentlich? Der Schreibprozess, inklusive Vor- und Nachbereitung, wird bei ihm immer länger, wie der Slammer schmunzelnd verrät. Dabei lehnt er sich in seinem Stuhl zurück und schwelgt in Erinnerungen. Als er vor 20 Jahren in die Poetry-Slam-Szene einstieg, bestand seine Vorbereitung darin, einen Tag vorher den Text zu schreiben. Sein damaliges Motto: »Wenn es nicht gut wird, geh ich halt nächsten Monat wieder hin!« Mittlerweile schließt er unter einem Monat Bearbeitungszeit keinen Bühnentext mehr ab.
Neue Texte probiert er vor Publikum aus, um die Reaktionen zu testen. Denn erst während der Auftritte erkennt er, wenn Passagen vom Publikum anders interpretiert werden, als er erwartet hatte. Bei manchen Projekten wird ihm eine Deadline gesetzt. Dann kann Marković sich zwar dazu zwingen, den Text rechtzeitig fertigzustellen, allerdings resultiert aus der Arbeit mit Termin häufig eine gewisse Unzufriedenheit: »Druck«, so seine Erfahrung, »kann sich negativ auf die Qualität auswirken.«
Marković tritt auch gemeinsam mit der Schauspielerin und Lyrikerin Dominique Macri als »Team Scheller« auf. Die Arbeit als Duo sei immer wieder eine Herausforderung, so der Slammer: Man müsse Kompromisse eingehen und Möglichkeiten diskutieren, denn jeder habe seine eigene Art zu schreiben und zu performen. Das Ziel sei, beide Stile zu einem zu verweben. Dann könne etwas Wundervolles entstehen, das eine*r allein nicht zustande gebracht hätte.
https://www.youtube.com/watch?v=h_0uWv_Ux_o
Neben seiner Karriere als Poetry-Slammer bietet Marković seit über 15 Jahren Workshops zum Thema »Poesie verfassen und vortragen« an. Zu Beginn hielt er hauptsächlich eintägige Kurse an Schulen. Mittlerweile wird er auch von kulturellen Vereinen engagiert, bei denen er als Mentor mitwirkt. Dazu gehört das hessische Projekt »Meine Worte! Meine Orte!«, bei dem Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren Kulturorte in der Region entdecken – gemeinsam mit Schriftsteller*innen, Lyriker*innen und Slammer*innen. Da sich die Arbeit über einen längeren Zeitraum erstreckt, konnte Marković die Entwicklung der Teilnehmer*innen beobachten und begleiten. Für ihn eine wertvolle Erfahrung. Momentan finden seine Workshops jedoch ausschließlich digital statt.
Ich möchte keine Erwartungen erfüllen, sondern die Menschen überraschen, indem ich mich immer wieder neu erfinde.
Dalibor Markovic
Die Auswirkungen der Corona-Krise merkt auch der Bühnenkünstler, und das nicht ausschließlich beim Ausprobieren neuer Texte. Allerdings konnte Marković in Stuttgart bereits Erfahrung mit einer alternativen Auftrittsform sammeln: So ist er im vergangenen Sommer in einem Autokino aufgetreten. »Ich komme auf die Bühne und blicke auf 300 Autos. Man hat das Gefühl, auf einem Parkplatz zu stehen, weil man die Gesichter des Publikums nicht sieht – bis sich die Zuschauer durch Scheinwerfer und Hupe bemerkbar machen.« Marković nutzt aber auch die digitalen Möglichkeiten. Normalerweise organisiert und moderiert er alle zwei Monate den Poetry-Slam »Wo ist Hola« in der Jugendkulturkirche Sankt Peter in Frankfurt. Im Februar wurde der Wettbewerb zum ersten Mal live über YouTube gestreamt.
Künstler*innen trifft die lang anhaltende Pandemie besonders hart, da sie nicht auf die Bühne können. Umso wichtiger ist es, über die sozialen Medien sichtbar zu bleiben. Marković fällt es allerdings schwer, sich auf Instagram & Co. selbst darzustellen: »Ich komme mit dem kompletten Konstrukt nicht zurecht, diesem leicht ironischen, sich auf die Schippe nehmenden und mit neumodischen Anglizismen unterfütterten Insta-Talk, den ich selbst teilweise gar nicht verstehe.«
Deshalb gibt es die offizielle Website www.daliborpoesie.com, auf der alle wichtigen Informationen zu seiner Person und seiner Arbeit zu finden sind. Der Künstler postet nur zu besonderen Anlässen etwas in den sozialen Medien. Dazu gehört die Ankündigung seines Debütromans »Pappel. Die Geschichte eines Herumtreibers«, der im Oktober beim Verlag Voland & Quist erscheint.
Drei Jahre lang hat Marković an seinem Buch geschrieben – bei jeder sich bietenden Gelegenheit, sei es im Zug, im Hotel, vor oder nach seinen Auftritten. Zeitweise sei er morgens um vier Uhr aufgestanden, um zwei bis drei Stunden an dem Roman zu arbeiten, bevor sein Sohn zur Schule musste. Warum schreibt ein gefeierter Poetry-Slammer, der bekannt ist für seine kurzen, aber hoch explosiven Texte, nun einen Roman über Hunderte Seiten? Für Marković war das keine klare Entscheidung, sondern ein schleichender Prozess, eine Idee, die nach und nach Gestalt angenommen hat. Der Slammer kam an einen Punkt, an dem seine Geschichten zu lang und komplex für die Bühne wurden. So entstand der Gedanke, den Geschichten und Charakteren eine eigene Bühne in Romanform zu bereiten. Während des Schreibens habe er gemerkt, wie viel Freude ihm das bereite, so Marković – und dass er bereit sei, viel Energie und Zeit dafür aufzuwenden.
Von welchen Geschichten und Figuren wird der Roman denn handeln? Marković macht es spannend, indem er sich bedeckt hält. »Es ist ein wilder Husarenritt durch das vergangene Jahrhundert bis in die heutige Zeit«, verrät der Autor. »Konrad Pappel, der ungewöhnliche Protagonist, unternimmt eine abenteuerliche Reise, um die einzige Stimmaufnahme Franz Kafkas durch die Epochen zu tragen.«
Nach seinem Roman freut er sich nun wieder darauf, Bühnentexte, Gedichte oder etwas Rhythmisches zu schreiben, genau das, was er während der Arbeit am Buch und wegen der Pandemie nicht ausleben konnte.
Dalibor Marković, Jahrgang 1975, lebt in Frankfurt am Main, wo er auch geboren wurde. Der deutsche Poetry-Slammer mit kroatischen Wurzeln ist sowohl auf deutschen als auch auf internationalen Bühnen unterwegs, mit einer ungewöhnliche Mischung aus Lyrik, Rap und Beatboxing. 2014 gewann er zusammen mit Dominique Macri (»Team Scheller«) den Teamwettbewerb der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaft. 2016 erschien sein Gedichtband »Und Sie schreiben auf Deutsch?«. Im Oktober folgt, ebenfalls bei Voland & Quist, sein Debütroman. »Pappel. Die Geschichte eines Herumtreibers«.