Wer sind diese jungen Menschen, von denen mein Onkel derart enttäuscht ist, dass er sich Rat und einen Frustablass von seiner Nichte erwartet? Wahrscheinlich meint er die, die seiner Meinung nach nur noch am Smartphone hängen, Serien bingen, wenig das Haus verlassen und nicht mehr auf Bäume klettern. Das klingt jetzt zynisch. So ist es auch gemeint. Man zeige mir einen Teenager (egal welcher Generation), der nicht gegen die Sitten seiner Eltern rebellierte. Natürlich bedeutet das, eben das peinlich zu finden, wozu die Eltern animieren. Ich bin mir absolut sicher, dass er niemals auf diese idealisierten Bäume geklettert wäre, hätte sein Vater ihm immer davon vorgeschwärmt. Überhaupt, was ist das für ein Gedanke? Was kann denn ein Baum so Besonderes, Wesensformendes?
Die aktuelle, junge Generation hat wirklich größere Probleme. Noch dazu führt sie ein komplett anderes Leben, das sich kaum mit der Jugend eines Mittfünfzigers vergleichen lässt. Diese Generation geht für den globalen Umweltschutz auf die Straßen, muss mit den unmittelbaren Konsequenzen ihrer Vorgänger umgehen lernen, sich durch eine Pandemie kämpfen, mit einer Mehrzahl von Medien umgehen lernen, muss sich selbst individuell entfalten und sowohl nützlich für das Gemeinwohl als auch bescheiden bleiben. Und ganz nebenbei entwickeln sie dabei eine unwahrscheinlich detaillierte Medienkompetenz, indem sie sich in digitalen Räumen so selbstverständlich bewegen wie kaum jemand vor ihnen.
Sie kennen sich häufig mit digitalem Wohlbefinden, mentaler Gesundheit und menschlichen Abgründen besser aus als mein enttäuschter Onkel. Ja, sie vernetzen sich auf TikTok, auf Instagram, auf YouTube. Und dabei kommunizieren sie oftmals ganz bewusst, offensiv und lernen Selbstbewusstsein, Kreativität und umfassenden Input zu verarbeiten. Sie schaffen sich einen eigenen Raum, in dem sie unabhängig von den älteren, den langsameren Erwachsenen digital aufblühen können. Und das ist nur ein kurzer Rundumschlag der vielen positiven Entwicklungen der jungen, vermeintlich lesescheuen Generation.
Warum überhaupt lesescheu? Eher lesefaul, würde der Onkel jetzt einwerfen. Das sehe ich anders. Heutzutage vernetzt man sich, wie oben angedeutet, online. Gerade junge Communities wie BookTok, Bookstagram und BookTube sind exzellente Beispiele dafür, was für eine Rolle das Lesen für viele Jugendliche und junge Erwachsene einnimmt. Sie gründen in exponentiellem Wachstum Online-Buchclubs, veranstalten sogenannte Buddy-Reads mit Freunden oder solchen, die es über Social Media Plattformen rasch werden.
Wir sind schon lange aus dem Zeitalter ausgestiegen, in dem jeder, der sich dort herumtreibt, mit Argwohn betrachtet werden sollte. Im Gegenteil ergibt sich darin eine ganz neue Peer-Group: Junge Leute, die im eigenen Freundeskreis niemanden haben, der genauso gerne liest wie sie selbst, werden online zügig fündig. Hilfreich sind dabei engagierte Buchhändler:innen, die über die eigenen Kanäle ein gemeinsam zu lesendes Buch bestimmen und es unter einem Posting oder in einer Live-Schalte zur Diskussion freigeben. Außerdem eigenständige Leser:innen-Plattformen, wie LovelyBooks. Bloggerinnen und Blogger. Der Online-Feuilleton. Sämtliche Diskussionsangebote und Räumlichkeiten, die heute nicht mehr vor Ort sein müssen – all das ist das Resultat einer begeisterten Leser:innenschaft, einer Community, die sich laut und eifrig für das Buch begeistert.