Zum ersten Mal traf ich Vito 1991 bei einer Führung durch den Eichborn-Verlag in der Hanauer Landstraße während meiner Zeit auf der Buchhändlerschule. Der Rundgang mit meiner Berufschulklasse (ich machte eine Ausbildung zur Buchhändlerin) fand am späten Nachmittag statt, und da saß er: die Tür seines Büros sperrangelweit offen, er telefonierte, rauchte und um ihn herum lagen Berge von Papier, Büchern und Krempel. Henning Boetius stand im Flur neben dem Kopierer, an dem ein Mitarbeiter sein Manuskript kopierte.
"Hier will ich hin!", dachte ich schon während der Führung und bewarb mich nach meiner Lehre für ein Herstellung-Praktikum … aus 3 Monaten wurden 11 Jahre. Ich blieb. Auch während meines Studiums und danach. Herstellung, Werbung, "Messebau" und schließlich Umschläge. Was ein Glück.
Ich werd’ mich immer an Vitos Lachen erinnern, wenn er sich diebisch freute oder anderer Meinung war, oder wenn er einen (mich) in Verantwortung geschubst hat, mir Aufgaben zugetraut hat, die ich mir selbst nicht zutraute. Weggelacht hat er die Bedenken. Ausprobieren, rausfinden. Er wirkte so angstfrei. Wenn er sich für etwas begeistern konnte, dann gab es kein Entkommen. Das war für mich eine unglaublich wichtige, prägende und glückliche Zeit. Dank ihm, hab ich viele tolle Menschen kennengelernt, mit ihnen arbeiten dürfen, hab so viel gelernt und gelesen, aber noch wichtiger: einige Freunde fürs Leben gefunden.
Danke lieber Vito!!
Moni Port
Erste Begegnung Henning Boetius mit Vito von Eichborn. Passage aus "Der Insulaner" btb, 2017. S.908/909 nach der "jährlichen Inthronisierung des Stadtschreibers von Bergen-Enkheim", 1984:
"In meiner Nähe stand, mit einem Bierhumpen in der Hand, ein blonder, schlaksiger Typ, der mir gefiel, vielleicht weil er Steve McQueen ähnlich sah und einen ähnlich entschlossenen Gesichtsausdruck hatte wie jemand, der in einem Showdown "Zieh, Hund!" sagt. Ich fragte ihn, ob er eine Möglichkeit wüsste, noch nach Darmstadt zu kommen. Er musterte mich prüfend. Dann sagte er: "Wer bist du?" Ich nannte meinen Namen. "Sagt mir nichts", meinte er. "Und wer bist Du?" fragte ich. "Vito von Eichborn." Ich meinte, einen gewissen Stolz aus seiner Stimme zu hören. "Sagt mir nichts", antwortete ich ehrlicherweise. Er schien verblüfft über meine Unkenntnis zu sein und lächelte mitleidig. "Und was machst du so?" Ich überlegte nicht lange. Spontan trat eine Antwort über meine Lippen, die mein Leben verändern sollte. "Ich bin zwar nur Hausmann. Aber ich habe einen Schatz aus der geistigen Karibik." Die Formulierung schien ihm zu gefallen. Er fragte nach, um was es sich denn dabei handeln würde. "Dreihundert ungedruckte Gedichte von Clemens Brentano. Sie, ich meine ihre Kopien, sind in einer Seekiste in meiner Wohnung." Ich erzählte ihm von meiner Vergangenheit als Editionsfachmann und meinem Rausschmiss." "Hast du morgen abend Zeit" fragte er. "Ja. Natürlich. Ich habe immer Zeit. Leider."....
Am nächsten Abend klingelte es, und der Verleger Vito von Eichborn stand in der Tür. Später wurde mir erzählt, er habe so eine Spontanaktion noch nie gemacht. Wir saßen in meiner simulierten Schiffskajüte mit dem Meer in der Klappbadewanne. Der Verleger musste Teepunsch trinken. Dann öffnete ich die Kiste mit der Meerjungfrau und zeigte ihm einige Handschriften. Ich redete und redete und ließ Vito von Eichborn kaum zu Wort kommen. Plötzlich zog er ein Papier aus seiner Aktenmappe. Es war ein Vertrag. "Sind dreitausend okay?" Ich starrte ihn an. Er meint offenbar den Vorschuss. Dann unterschrieb ich mit zittriger Hand. "Du musst die interessantesten Texte aussuchen und möglichst bissig kommentieren. Wir machen einen Literaturskandal daraus. Außerdem müssen alle Unis der Welt unser Buch kaufen, weil es Erstdrucke sind. Es kann also nichts schiefgehen.. Du brauchst auch keine Angst vor gerichtlichen Konsequenzen zu haben. Ich werde dich freistellen....".... Vito von Eichborn behielt recht. Das Buch verkaufte sich für ein Sachbuch nicht schlecht. Aber es trug mir auch das Image des Nestbeschmutzers ein....Auch Vitos Ruf, ein Provokateur zu sein, trug dazu bei, dass ich für die Feuilletons ein schwarzes Schaf war und fortan blieb. Mich scherte das nicht. Ich trug gerne schwarze Wolle, und Vito war es zufrieden.
Zum 80. Geburtstag 2019 hielt Vito bei einer Hommage im Literaturhaus Kiel für Henning eine bewegende Rede auf ihn. Für Henning war Vito eine Spielart von Vati: Die beiden Männer, die ihm das Leben geschenkt hatten. Henning starb im vergangenen März. Wenn es keine fromme Lüge ist, werden Vito und er sich "da oben" wieder begegnen.
Christa Hein