Interview zur HOTLIST 2023

"Die Hotlist steht und fällt mit dem Engagement im Sortiment"

12. September 2023
Nils Kahlefendt

Buchhändlerin Sannah Wagner-Göttsch spricht im Interview über ihre Arbeit in der Hotlist-Jury und die Wirksamkeit der heißen Indie-Liste im Buchhandels-Alltag. 

Sannah Wagner-Göttsch

Es gibt hunderte Literaturpreise, vom Göttinger Elch bis zum Glauser, wo die Preissumme auch schon mal in kleinen, gebrauchten Scheinen ausgereicht wurde. Was ist das Alleinstellungsmerkmal der Hotlist? 

Sannah Wagner-Göttsch: Die Hotlist zeichnet aus, dass sie über die Autorinnen und Autoren hinaus die Arbeit der Verlage fokussiert. Und das bis in die Details – von der Herstellung über die Qualität der Übersetzungen bis zum Entdecken neuer Themen. 

Die Hotlist wollte nie ein Deutscher Buchpreis im Bonsai-Format sein. Aber: Wie zeichnet man kulturelle Vielfalt aus? Eigentlich müsste jede der 196 Einreichungen auf die heiße Liste… 

Wagner-Göttsch: Absolut! (lacht) Aber es gibt ja auch jedes Jahr wieder die Möglichkeit, sich zu bewerben. Die Vielfalt wird schon sehr stark gespiegelt, muss ich sagen. Es ist ja auffällig, dass sich Independent-Verlage, zum Teil seit Jahrzehnten, sehr engagiert um kulturelle Räume kümmern, die dann irgendwann im Mainstream ankommen. Auch das zeigt die Hotlist. 

Wie muss man sich die Arbeit der Jury vorstellen? Lassen Sie uns einen Blick in die Werkstatt werfen. 

Wagner-Göttsch: Wir bekommen eine Vorauswahl vom Kuratorium, das sind 30 Bücher. Denen widmet sich jedes Jurymitglied erst einmal separat. Dann haben wir uns Ende August in Frankfurt getroffen, zu einer von Liliane Studer moderierten hybriden Sitzung. 

Wird auch kontrovers diskutiert, geht es auch mal hart zur Sache?

Wagner-Göttsch: Es gibt durchaus konträre Ansichten, ich habe das ein Stück weit genossen. Die Jury ist ja nicht ohne Grund sehr divers zusammengestellt – vom Lyrikblogger über Journalismus bis zur Literaturhausleiterin oder Buchhändlerin. Das sind unterschiedliche Ansätze, wie man Literatur wahrnimmt. 

Wie wichtig ist die Hotlist für Ihre Arbeit als Sortimenterin? 

Wagner-Göttsch: In unserer Buchhandlung bemühen wir uns grundsätzlich um Independent-Verlage, insofern trägt die Hotlist Eulen nach Athen. Wir sind jedoch generell etwas "preisunabhängiger" aufgestellt. Das gilt auch für den Deutschen Buchpreis oder den Preis der Leipziger Buchmesse. Wir befüllen unsere Regale nicht automatisch mit den Titeln der jeweiligen Longlist. 

Aber genau das wollen die großen Preise mit ihrem dramaturgisch ausgezirkelten Prozedere ja erreichen, sie sind immer auch Marketingverstärker Richtung Sortiment… 

Wagner-Göttsch: Als wir die Buchhandlung starteten, haben wir das auch alles brav gemacht. Am Ende ist leider wahnsinnig viel liegen geblieben – auch Titel, bei denen wir schon im Vorfeld dachten: Wer soll die bei uns kaufen? Es ist ja immer die Frage, wofür unsere Kunden brennen, worauf sie Lust haben… Inzwischen schaue ich mir die Nominierten-Listen sehr genau an, immer mit der Frage: Was passt zu uns, unseren Kundinnen und Kunden. Ich kaufe nicht mehr blind ein. 

Und bei der Hotlist? Auch deren Gründerinnen und Gründer wollten ja trommeln… Lässt sich das im Sortiment umsetzen? 

Wagner-Göttsch: Schwer. Ich trommle eher für die Hotlist als solche. Ich finde die Herangehensweise toll, auch Initiativen wie den Indiebookday. Es ist wichtig, ab und an Schlaglichter auf die engagierten Unabhängigen zu werfen. Dass Kunden zu uns kommen, weil sie ein Buch auf der Hotlist gesehen haben – so weit sind wir leider noch nicht. Auch in der Feuilleton-Berichterstattung über die Hotlist ist ja noch Luft nach oben. Insofern steht und fällt vieles mit dem Engagement der Kolleginnen und Kollegen im Sortiment. 

Was würden Sie sich als Buchhändlerin von der Hotlist wünschen? Was ließe sich verbessern? 

Wagner-Göttsch: Wir haben mit 30 Titel gearbeitet, die vom Kuratorium ausgewählt wurden. Ich glaube, es könnte nicht schaden, bei dieser ersten Auswahl auch ein wenig die – wie soll ich sagen? – Zugänglichkeit für den Endkunden im Blick zu haben. Wobei: Die Hotlist will ja gerade die Vielfalt zeigen, nicht den abgesicherten Mainstream. Aber: Indie hat oft den Ruf, artifiziell, hoch literarisch zu sein…

Ist das so? 

Wagner-Göttsch: In meiner Wahrnehmung waren auf der Liste der 196 Einreichungen viele extrem tolle Titel, auf die ich mich mega gefreut habe – viele von denen sind nicht bis zu uns durchgekommen. Was mich am meisten berührt hat: Nicht eine Graphic-Novel hat es in die Auswahl geschafft, die uns dann vorlag. Dafür gefühlt fünf Lyrikbände und eine ganze Reihe von Anthologien. Ich dachte: Echt jetzt? Wie viele spannende Titel sind da über die Klinge gesprungen? Für meinen Geschmack waren überdurchschnittlich viele Übersetzungen und zu wenig deutschsprachige Titel in der Auswahl. Von meinen persönlichen Favoriten unter den Einreichungen kamen nur zwei in den Ausscheid.

 

Sannah Wagner-Göttsch betreibt mit Axel Götsch die Buchhandlung Ein guter Tag in Schwerin. Ihre "literarische Familienbuchhandlung" wurde 2020 mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet.