Traurig und richtig: Zur Absage der Frühjahrsmesse

Leipziger Lehren aus der Pandemie

29. Januar 2021
Torsten Casimir

Die Buchmesse-Verantwortlichen in Leipzig haben diesmal früh den Stecker gezogen. Auch das Vernünftige kann manchmal niederschmetternd sein. Ein Kommentar von Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir.

Torsten Casimir

Das kleine Team um Leipzigs Buchmessedirektor Oliver Zille fuhr die letzten paar Wochen auf einer Achterbahn der Gefühle: Halten die Pläne für eine physische Buchmesse Ende Mai, oder macht die Pandemie den Sachsen zum zweiten Mal einen Strich durch alle Rechnungen? Kaum hatte man ein Szenario angepasst, machten neue Auflagen es schon zur Makulatur. Die Leipziger planten lange im Modus der Vorläufigkeit – am Ende der Vergeblichkeit. 

Früh, mutig und klar in der Argumentation haben Zille und die Verantwortlichen der Leipziger Messe nun die Achterbahnfahrt beendet. Ihre Absage kommt vier Monate vor dem für Ende Mai terminierten, für die Sichtbarkeit der Bücher so wichtigen Frühjahrstreffen der Branche. Die Messe wird vollständig ausfallen. Digitale Ersatzmaßnahmen sind nicht vorgesehen. Immerhin, Elemente des Festival Leipzig liest wollen die Organisatoren an dezentralen Orten stattfinden lassen, so denn die Covid-Entwicklungen das zulassen. Hier sollen im März konkretere Ansagen folgen. 

Oliver Zille hat aus den international zum Teil erst spät geplatzten Hoffnungen des Buchmessejahres 2020 ein paar Lehren gezogen. Traurige, richtige, vor allem rechtzeitige Lehren. Erstens: Ausstellern sollen keine Kosten entstehen, die man jetzt noch vermeiden kann, im März aber nicht mehr (Hotels, Standbau). Zweitens: Weiteres Planen mit bestenfalls Wochenhaltbarkeit der Vorsätze hat wenig Sinn. Drittens: Die Sicherheit von 100.000 Besuchern lässt sich – mit dem Wissen von heute – nicht gewährleisten. Viertens: An rein digitalen Angeboten gab es von Seiten der Aussteller kaum Interesse, insbesondere nicht an den dafür notwendigen Investitionen. Fünftens: Je früher Klarheit über 2021 geschaffen ist, desto beweglicher wird das Team in seiner langfristigen Arbeit, etwa was die Gastland-Auftritte betrifft. 

Der bewusste Digitalverzicht ist interessant. Für die Leipziger stand am Ende ihrer Analyse ein deutlicher Befund: Messen dieser Größenordnung lassen sich weder digital abbilden noch gar ersetzen. Schon wahr, die Zukunft wird in hybriden Angeboten liegen. Aber die Gegenwart ist von einer anderen Stimmung in der Branche geprägt: Die Buchmenschen wollen sich endlich einmal wieder treffen, an richtigen Orten, so ganz ohne Wonder.me und Clubhouse und Gedöns. „Messe pur“ quasi, so hat es die Tage ein Verleger formuliert. Das ist kein Zurückfallen auf frühere Stufen der Evolution, sondern eine schlichte menschliche Bedürfnislage. 

Die frühe Absage aus Sachsen schafft Klarheit für bisher Unentschlossene. Sie hilft wirtschaftlich den etwa 1000 Ausstellern, die sich bereits angemeldet hatten. Und sie wird, hoffentlich, die Leipziger Messe nicht in den Abgrund stoßen, denn das öffentlich-rechtliche Unternehmen wird von der Stadt Leipzig und vom Freistaat getragen. Das ist zwar keine Garantie für alle Zeiten, aber im Augenblick eine doch beruhigende Konstruktion. Und wenn uns die Pandemie etwas lehrt nach einem Jahr des Umgangs mit ihr: Mit jeder Enttäuschung entsteht neue Hoffnung. 2022 in Leipzig, das wird ein Fest... Und vorher Frankfurt, bitte!