Neue Kolumne von Hermann Eckel

Innovation hat Methode

26. September 2024
Hermann Eckel

Damit neue Ideen in Unternehmen nicht einfach verpuffen, sollten sie methodisch angegangen werden und die firmeneigenen Ressourcen zielgerichtet eingesetzt werden. In seiner neuen Kolumne stellt Hermann Eckel Werkzeuge zur Innovationsentwicklung vor.

Kennen Sie das? Jemand im Unternehmen äußert nebenbei eine etwas wilde, aber irgendwie faszinierende Produkt-Idee. Doch entweder wird sie von den Anwesenden nur belächelt und verschwindet gleich wieder in der Versenkung. Oder sie wird positiv aufgegriffen und im nächsten Team-Meeting oder in einer anderen Runde formal präsentiert. Wird sie dann nicht an diesem Punkt abgebügelt, heißt es schnell: "Cool, schreib‘ doch mal ein Konzept!"

Daraufhin müht sich die Ideengeberin damit ab, ein Konzept und vielleicht sogar eine halbwegs plausible Kalkulation zu erstellen – auf der Basis von lauter Annahmen und für ein Produkt, das allenfalls in vagen Umrissen im eigenen Kopf existiert. Das Ganze wird dann verschiedenen Gremien präsentiert, um – Überraschung! – nach diversen Runden doch noch von der Geschäftsführung abgelehnt zu werden. Bis dahin wurden unglaublich viel Zeit und Energie in diesen "Misserfolg" investiert – was vom Management wiederum als Beleg dafür gesehen wird, dass die Teams ihre wertvolle Arbeitszeit lieber nicht mit solch unsinnigen neuen Ideen verplempern sollten. Mit potentiellen Kunden hat bis zu diesem Zeitpunkt allerdings noch niemand gesprochen. Entsprechend häufig fällt in den Diskussionen die Formulierung: "Ich glaube …", oder eben "Ich glaube nicht, dass …" Denn ob die Idee aus Sicht der Kunden möglicherweise genial ist, weiß eben niemand.

Klingt alles ziemlich irre, oder? Habe ich aber exakt so schon live erlebt. Und damit bin ich nicht alleine, sondern landauf, landab läuft dieser Prozess so oder so ähnlich in vielen, vielen Unternehmen ab. Sollte man also lieber die Finger von neuen Produktideen lassen? Natürlich nicht! Aber man sollte sie als Unternehmen methodisch angehen und die firmeneigenen Ressourcen zielgerichtet einsetzen.

Werkzeuge zur Innovationsentwicklung

An methodischen Werkzeugen zur Innovationsentwicklung mangelt es schließlich nicht. Die beiden bekanntesten sind dabei sicher:

Mittlerweile gibt es ein weltumspannendes Netzwerk von Bildungseinrichtungen, die Design Thinking-Studiengänge und -weiterbildungen anbieten (www.gdta.org), und der Erfolg der großen Tech-Konzerne beruht ganz maßgeblich auf diesem Ansatz. Stefanie Quade und Okke Schlüter haben ihn für die Medienbranche adaptiert und dazu vor Kurzem die zweite Ausgabe ihres sehr empfehlenswerten, praxisorientierten Handbuchs unter dem Titel Innovation und Transformation mit DesignAgility (https://designagility.de) herausgebracht.

Es ist zu hoffen, dass der Band dazu beiträgt, systematisches Innovieren auch in der Buchbranche weiter zu verbreiten, denn das ist leider noch längst nicht Standard. Ob es daran liegt, dass Design Thinking – ähnlich wie Agiles Arbeiten oder Lean Management – nicht nur eine rein praktische Methode darstellt, sondern eigentlich eine Philosophie, die auf Werten wie Eigenverantwortung, Vertrauen und einer offenen Feedback-Kultur beruht?

InnovationsCheck

Wie auch immer, wer sich scheut, gleich ein umfassendes Rahmenwerk zur Innovationsentwicklung einzuführen, sollte zumindest damit anfangen, all die Teeküchen-Ideen systematisch zu sammeln und wenigstens kurz auf ihre Tauglichkeit zu prüfen. Die Peergroup Business Development der IG Digital im Börsenverein hat hierzu einen InnovationsCheck entwickelt, der deutlich (!) weniger Zeit in Anspruch nimmt als ein ausgewachsener Businessplan. Er enthält insgesamt 18 Einzelfragen zu den drei Kernfragestellungen:

  • Wie attraktiv ist die Idee aus Kundensicht? (Welches Kundenbedürfnis oder -problem wird damit adressiert?)
  • Wie attraktiv ist die Idee aus Unternehmenssicht? (Welches Potenzial hat sie, Umsätze zu steigern oder Kosten zu senken? Wie passt sie zur Firmenstrategie?)
  • Wie attraktiv ist die Idee mit Blick auf ihre Umsetzung? (Wie aufwändig ist sie? Ist das nötige Know-how im Unternehmen vorhanden?)

Im Digitalen Wissenshub des Börsenvereins steht der Schnellcheck für Produktideen als kostenloser Download bereit: https://www.boersenverein.de/digitaler-wissens-hub/alle-beitraege/detail-seite/innovationscheck-wie-schaetze-ich-das-potenzial-von-innovationsideen-ein/.

Nicht zufällig setzt auch der Schnellcheck zuerst bei den Kundenbedürfnissen an. Denn wie beim früheren Fokus-Herausgeber Helmut Markwort heißt die oberste Maxime in der Innovationsentwicklung: "Immer an den Kunden denken!" Was treibt ihn um? Was nervt ihn? Welche Bedürfnisse hat er (oder sie), die bisher noch niemand befriedigend erfüllt hat?

Wenn man sich intensiv diese Fragen stellt und zunächst einen Prototyp herstellt und diesen mit realen Kunden verprobt, ist das schon die halbe Miete. Die kalifornische Design- und Beratungsagentur Ideo, Miterfinderin des Design Thinking, hat dies immer wieder bewiesen: ob mit Apples erster Computermaus, einer Kinderzahnbürste mit extra dickem Griff oder dem ersten Insulin-Stift, der bei betroffenen Diabetikern wahrlich einen "Pain Point“ trifft.

Innovation auch bei kleinen Unternehmen

Kundenorientiert neue Produkte oder Services zu entwickeln, ist dabei nicht nur den Großen vorbehalten, sondern das können auch kleine, unabhängige Unternehmen. Ein schönes Beispiel dafür ist meine Buxtehuder Lieblingsbuchhandlung Schwarz auf Weiß, die schon seit über 20 Jahren – und damit wahrscheinlich als erste deutsche Buchhandlung überhaupt – Gruppen die Möglichkeit bietet, in der Buchhandlung zu übernachten (https://buchhandlung-schwarzaufweiss.de/uebernachtungen/). Außerdem hat sie seit letztem Jahr ein Bücher-Abo im Programm, das ich prompt von meiner Frau geschenkt bekommen habe: Jeden Monat suchen die Kolleginnen für mich persönlich (!) ein Buch aus, das ich mir dann im Laden abhole. Für die Buchhandlung bedeutet das Abo eine stetige Erlösquelle und einen garantierten Kundenkontakt pro Monat. Und für mich löst es das drängendste Problem eines Viellesers: "Was lese ich nur als Nächstes?"

UNSER KOLUMNIST

Foto Herrmann Eckel

Nach dem Lehramtsstudium der Germanistik und Geschichte durchlief Hermann Eckel verschiedene Vertriebs­stationen beim Bärenreiter-Verlag und bei Oxford University Press und war von 2010 bis 2016 Managing Director beim Musikverlag Peters. Im Dezember 2017 übernahm er die Geschäfts­leitung bei tolino media und war dort v.a. für den Ausbau der Selfpublishing-Plattform verantwortlich. Seit September 2024 ist Hermann Eckel Chief Digital Officer bei ArchiTangle, einem unabhängigem Buchverlag mit angeschlossenem Tech-Startup. Als Partner des Beraternetzwerks Heinold & Friends begleitet er Unternehmen der Buch- und Druckbranche bei den vielfältigen Aspekten der digitalen, organisatorischen und kulturellen Transformation. Daneben engagiert er sich seit 2019 als Sprecher der IG Digital im Börsenverein.