Überschrieben ist der Offene Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit: "Gerechte Rahmenbedingungen für das E-Lending? Deutscher Bibliotheksverband (dbv) nutzt die Corona-Krise, um seine eigene Agenda durchzusetzen – auf Kosten der Autor*innen, Selfpublisher, Übersetzer*innen, Verlage und Buchhändler*innen."
Im Wortlaut heißt es weiter:
Sehr geehrtes Mitglied des Deutschen Bundestags,
das Bekenntnis zur digitalen Gesellschaft braucht Budgets und eine nachhaltige Politik im Sinne der Quellen der Buchwirtschaft, des Wissens und der Literatur. Wir empfehlen nachdrücklich, den Kultur- und den Bildungsauftrag nicht auf dem Rücken des Buchsektors zu finanzieren. Neue Schranken und Ausnahmen, wie sie zurzeit der dbv mit teilweise unredlichen Argumenten anregt, bedeuten, dass die Versorgung der digitalen Gesellschaft von Autor:innen bezahlt werden soll.
Während der Pandemie hat sich gezeigt, dass digitale Lese- und Lernmaßnahmen gebraucht und gewollt sind. Hier haben sich zwei deutliche Lücken im Gesamtsystem offenbart:
- E-Lending ist durch die Haushalte der Kommunen in der Anschaffung nicht mehr abzudecken, obgleich die pauschalen Lizenzgebühren im Europavergleich bereits sehr niedrig sind.
- Der digitale Austausch von Lehrmaterial stellt Bildungsinstitutionen vor eine gestiegene Budget-Herausforderungen.
In dieser prekären Situation will der dbv die Politik überzeugen, hastig eine gesetzliche Schranken-Grundlage für die Ausleihe von E-Books durch Bibliotheken (auch als E-Lending oder Onleihe bekannt) zu schaffen. Mit dieser sollen die Leistungserbringer gezwungen werden, ihre E-Books vom Tag der Veröffentlichung an für eine geringe Entschädigung statt fair verhandelter Lizenzvergütungen allen Bibliotheken zugänglich zu machen. Dagegen protestieren wir energisch! Hier braucht es stattdessen, etwa nach dänischem oder norwegischem Vorbild, eine klare Selbstverpflichtung des Staates, Bibliotheken und Bildungsinstitutionen mit einem deutlich erhöhten Etat für digitale Medien bei unbedingter gleichzeitiger Wahrung der Lizenzfreiheit UND Durchsetzungsfähigkeit des Urhebervertragsrechts auszustatten. Die Nutzung dieser Inhalte muss gerecht entlohnt, die Wissens- und Kultur-Ressourcen geschützt und die Zukunft einer freien und faktenorientierten, vielfältigen Literatur- und Informationsgesellschaft gewährleistet werden.
Wir, das NETZWERK AUTORENRECHTE, das 14 eigenständige Verbände deutschsprachiger Autor*innen und Übersetzer*innen mit 15.500 Mitgliedern vereint, bitten Sie inständig, an den frei verhandelbaren Lizenzen für E-Books festzuhalten und dem Ansinnen des dbv eine klare Absage zu erteilen. Darüber hinaus plädieren wir für eine deutliche Erhöhung der kommunalen Etats zur Medienerwerbung und elektronischen Ausleihvergütung. Nur das ist ein integrer Weg in eine nachhaltige Zukunft.
Berlin, 26.01.2021. Die Unterzeichnenden:
- 42erAutoren e.V.
- Autorinnenvereinigung e.V.
- Bundesverband junger Autoren und Autorinnen e.V. (BVjA)
- Bundeskongress Kinderbuch
- IG Autorinnen Autoren (Österreich)
- IG Übersetzerinnen Übersetzer (Österreich)
- Mörderische Schwestern e.V.
- Phantastik-Autoren-Netzwerk (PAN) e.V.
- PEN-Zentrum Deutschland
- PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland
- Selfpublisher-Verband e.V.
- DAS SYNDIKAT e.V.
- Verband deutschsprachiger Übersetzerinnen und Übersetzer (VdÜ)
- Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS in ver.di)
Unsere Klarstellungen zum Offenen Brief des dbv (dieser ist zu finden unter: https://bit.ly/399OnBg)
- Der dbv möchte Zugriff auf E-Book-Titel der Spiegel-Bestsellerliste, die "den Bibliotheken bis zu einem Jahr lang vorenthalten" seien. Tatsächlich hat jede:r Bürger:in die Möglichkeit, die urheberrechtlich geschützten E-Books käuflich zu erwerben. Die Formulierung macht deutlich, dass es dem dbv um Titel auf den Bestsellerlisten geht – und nicht um das Fundament aller bildungsrelevanten Titel.
- Der Zugang zu Wissen und Information darf nicht kontrolliert und nicht zensiert werden. Im Gegensatz zu der Behauptung des dbv steht Kostenfreiheit nicht im Grundgesetz. E-Books sind Wirtschaftsgüter und das Produkt eines aufwendigen Herstellungsprozesses. Sie können, wie jedes andere Wirtschaftsgut auch, gegen angemessenes Entgelt erworben werden. Der dbv versucht, bestens eingeführte Lizenzmodelle und faire Verhandlungen in Misskredit zu bringen. Es kann nicht sein, dass der Bildungsauftrag von Bibliotheken auf dem Rücken der Autor:innen und Verlage als Leistungserbringer ausgetragen wird. Wenn der Staat seinem digitalen Bildungsauftrag nachkommen will, müssen die Leistungserbringenden auch angemessen vergütet werden.
- Die Forderung der "Gleichstellung von E-Books gegenüber gedruckten Büchern" stellt einen Eingriff in die unternehmerische Autonomie dar. Autor:innen und Verlage müssen selbst entscheiden, ob und wann sie zu welchen Konditionen ihre E-Books in jeglichen Verleih geben.
- Der dbv behauptet, die deutsche Politik habe den Bürgern und Bürgerinnen den Zugang zu gedruckten Büchern durch ein Verleihrecht gesichert und versprochen, dies auch für E-Books zu erwirken. Hier empfehlen wir einen Blick in den Koalitionsvertrag, der frei verhandelte Lizenzen befürwortet.
- Bibliotheksnutzer:innen gehören nicht zu den aktivsten Käufer:innen am Buchmarkt. Eine genaue Lektüre der vom dbv herangeführten GfK-Studie zeigt, dass der Durchschnittspreis der E-Book-Käufe durch Nutzer:innen der Onleihe signifikant unter den durchschnittlichen E-Book-Preisen liegt.
- Die zitierte GfK-Studie belegt, dass der Verkauf von E-Books durch E-Lending beeinträchtigt wird. Der dbv unterschlägt in seiner Behauptung, dass Besserverdienende, die üblicherweise Bücher kaufen würden, gezielt auf Onleihe-Schnäppchenjagd gehen, während Einkommensschwache Bibliotheksangebote nicht in dem Umfang wahrnehmen, wie es rhetorisch verkauft wird.
- Der Buchhandel wird durch die Ausleihe von Büchern und E-Books beeinträchtigt. Angesichts von rund 350 Millionen ausgeliehenen Büchern und 30 Millionen E-Books (inzwischen mehr, als verkauft werden) erscheint das Negieren eines Negativeffekts seitens des dbv wie aus Grimms Märchen. Faktisch findet bereits eine Marktverlagerung zum Nachteil der Autor:innen statt, der Anteil von elektronischen Medien, die über die Bibliotheken ausgeliehen werden, beträgt 15 bis 20 Prozent aller Entleihungen.
- Der geplante Gesetzentwurf zur Umsetzung der Europäischen Urheberrechtrichtlinie macht Bibliotheksnutzer:innen nicht zu Leser:innen "Zweiter Klasse", wie sie der dbv nennt, weil das Thema E-Lending nicht darin behandelt werde. Ebenso gut könnte man behaupten, der Gesetzentwurf wirke sich negativ auf den Verkauf von Fahrrädern aus. Auch dazu steht nichts im Entwurf.
- Der Aggregator divibib GmbH, als Tochter der ekz.bibliotheksservice GmbH, wiederum Fördermitglied des dbv, würde durch eine Schranke zum Monopolisten aufsteigen. Bereits jetzt profitiert die DIVIbib von 30-prozentigen Provisionen bei Lizenzen für den elektronischen Einkauf (Die Vergütung der divibib ist damit höher als die der Autor:innen als Leistungserbringer).
Mehr zum Netzwerk Autorenrechte unter www.netzwerk-autorenrechte.de
Die Forderung wird vom dbv seit fünf Jahren vorgetragen. Erst wurde behauptet, die digitale Leihe fördere den Verkauf von E-Books, obwohl das jeder vernünftige Mensch sehen konnte, dass das nicht stimmt. Als dann die Zahlen klar zeigten, dass die Onleihe den Verkauf von E-Books verdrängt und ein E-Lending das noch viel mehr tun würde, da hat man erst versucht die Zahlen zu verbergen, dann ist man dazu übergegangen mit haarsträubenden Interpretationen aus den Zahlen etwas verwertbares abzuleiten. Das Problem ist, dass man von keinem Parlamentarier verlangen kann, dass er eine solche Materie so gut kennt, dass er die Falschbehauptungen sehen kann. Letztlich ist man darauf angewiesen, dass man Argumenten vertrauen kann. Und genau da liegt die eigentliche Tragik.
Es ist für die Bibliotheken schlicht irrelevant, ob sie die Schranke bekommen oder nicht. Es gibt keine aufgebrachten Demonstrationen vor Bibliotheken weil fünf Bestseller nicht verfügbar sind. Es gibt verärgerte Nutzer, weil die Bibliotheken nicht so viele E-Books anbieten, wie die Nutzer gerne hätten. Das ist eine Frage des Geldes. Aber die Bibliotheken bieten auch nicht alle Zeitschriften die es gibt oder Tageszeitugnen in ausreichender Stückzahl für alle. Und es gibt nicht alle neuen DVD mit Kinofilmen und nicht alle Computerspiele. Warum wird hier keine Schranke gefordert, wenn die Top-Games nicht vom ersten Tag an in den Bibliotheken kostenlos verfügbar sind oder die Filme sofort ab der Premiere im Kino?
Als Verlag steht man, wenn der dbv so weiter macht, bei den E-Books vor einer Frage, die es so bei gedruckten Büchern nie gegeben hat: wie verhindere ich, dass das Buch in die Bibliothek kommt? Man kann einfach die Verwertung als E-Book unterlassen. Oder man beschränkt die Verwertung auf Streamingplattformen und entzieht die Bücher so dem Bibliotheksmarkt.
Die Alternative wäre, dass der dbv gemeinsam mit den Verlagen und Autorenverbänden das Modell der Onleihe so weiterentwickelt, dass die daraus erzielten Erlöse für die Verlage zur Finanzierung ausreichen und auch angemessene Autorenhonorare finanzieren. Dann wäre auch kein Verlag oder Autor versucht die Verwertung über die Bibliotheken zu verzögern um vorab die Finanzierung zu erwirtschaften, die danach nicht mehr möglich ist.
Das wäre es, was kluge und weitsichtig denkende Menschen machen würden.