Vom Gatekeeper zum Gastgeber

Elf Ideen für den Verlag von morgen

20. März 2025
Roland Große Holtforth

Im Januar fand der Branchenkongress future!publish zum zehnten Mal statt. "Zeit für Grundsätzliches", dachte sich Roland Große-Holtforth. In seinen "elf Ideen für den Verlag von morgen" wirbt er für ein neues Selbstverständnis: hin zu einem Unternehmen, das nicht mehr "Gatekeeper", sondern seinen Leserinnen nah sein will. Und seine Beispiele zeigen: Dieser Wandel ist längst in vollem Gange.

Roland Große-Holtforth

Roland Große-Holtforth

2016 bei der ersten future!publish berichtete die Mitarbeiterin eines großen Verlagshauses konsterniert von einem Ritual, das sie gerade zum ersten Mal durchlaufen hatte: die Programmkonferenz. Über Wochen waren große Teile des Teams weitgehend blockiert, weil sie Mappen basteln und Kurzvorträge proben mussten: "Und dann sitzt da am Ende noch nicht mal ein Kunde mit am Tisch!" Ein Kollege aus der Spieleindustrie kommentierte trocken: "Ihr Verlage habt das Endkundengeschäft doch immer schon delegiert: erst an den Buchhandel, dann an Amazon."

"Und an andere", möchte man ergänzen. 2018 erklärte Ashleigh Gardner in der Keynote zur dritten future!publish, wie ihr Unternehmen Wattpad – heute mit 89 Mio. Usern nach eigener Aussage "die größte Geschichtenerzähler-Community der Welt" – Autorenschaft neu denke. Dabei ist ihr irgendwo zwischen Folie 8 und 9 der Begriff "Publisher" abhandengekommen. Sie hatte ihn weder vergessen noch mit ihrer Rede einen dramatischen Angriff auf die Tradition geplant – der klassische Verlag spielte für das dargestellte Geschäftsmodell schlicht keine Rolle mehr. Mittlerweile verfügt Wattpad über eine eigene Verlagsgruppe mit vier Imprints. Und die Wattpad WEBTOON Book Group hat seit Anfang 2024 auch einen weltweit agierenden Vertriebsdienstleister: die Penguin Random House Publisher Services (PRHPS).

1. Verstehen Sie sich als Gastgeber – nicht als Gatekeeper.

Wenn sich Verlage primär als Gralshüter inszenieren, die sich der Content-Schwemme unserer Zeit heroisch entgegenstemmen und das Tor zur Öffentlichkeit bewachen, verkennen sie die Signatur dieser Zeit – und ihren Markt. Für den ist es nicht so wichtig, mit welchem "Content-Schrott" er geflutet wird – obwohl es den natürlich gibt. Viel wichtiger ist, dass Internet, Social Media, Print-on-Demand und natürlich KI es ermöglichen, Inhalte von höchster Qualität in kürzester Zeit im gewünschten Format und zu dem Preis bereitzustellen, den Kundinnen dafür zu zahlen bereit sind. Und der Clou ist: Das kann jeder tun, der sich dieser Technologien zu bedienen weiß.

Daher mein Vorschlag: Gehen Sie davon aus, dass viele Selfpublisher und auch Wattpad richtig gute Texte publizieren. Rechnen Sie damit, dass KI-generierte Ratgeber bald für viele Kunden hilfreich sein werden, ohne dabei gegen Urheberrecht zu verstoßen. Und wenn Sie sich dann fragen, womit Sie als Verlag erfolgreich bleiben können, wird "Gatekeeping" vermutlich nicht die überzeugendste Antwort sein. Vielmehr werden Sie von der Qualität Ihrer Bücher angesichts des neuen Wettbewerbs durch KI-Inhalte leidenschaftlich überzeugen, ein ganz besonderes Vertrauen in Ihre Autorinnen, Ihren Verlag und die Branche insgesamt herstellen müssen. Und Sie werden dabei, so meine These, erfolgreicher sein, wenn Sie diese Kommunikation als Einladung gestalten – und eben nicht im grimmigen Duktus gatekeepernder Warnhinweise. Zumal Sie sich einen Hinweis wie "KI-frei" ziemlich bald selbst nicht mehr glauben würden.
 

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