Nachruf

Ein weites Herz: Zum Tod von Matthias Wegner

13. Dezember 2023
Redaktion Börsenblatt

Der am 7. Dezember verstorbene frühere Rowohlt-Verleger Matthias Wegner war nicht nur ein außergewöhnlicher Büchermacher und Autor, sondern auch im Theaterleben eine Größe. Ein Nachruf von Michele K. Troy.

Matthias Wegner war Verleger, freier Publizist, Kritiker und Autor sowie Kopf und Moderator mehrerer Theaterreihen an den Hamburger Kammerspielen, am St. Pauli Theater und Ernst Deutsch Theater.

Als Sohn des Verlegers Christian Wegner und der Buchbinderin Annemarie Huber, die zusammen in den 1930er Jahren in Paris den Albatross Verlag aufbauten – eine bahnbrechende Firma, deren bunte und schlicht-elegant gestalteten Bücher zum Vorgänger für Penguin und moderne Taschenbücher überhaupt wurden – waren Matthias Wegner Bücher in die Wiege gelegt. Er wuchs in München auf, studierte Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Göttingen, West-Berlin, Basel und Hamburg, wobei er sich gleichzeitig für das Theater begeisterte; er überlegte sogar kurzzeitig, Schauspieler zu werden.

Nachdem Matthias Wegner im Jahr 1965 mit einer Arbeit über die deutschsprachige Exilliteratur promovierte, übernahm er die Leitung des Christian Wegner Verlags in Hamburg. Im Jahr 1969 folgte er dem Ruf von Heinrich Maria Ledig-Rowohlt und wurde beim Rowohlt Verlag verlegerischer Geschäftsführer. Die 1970er und 1980er Jahre bei Rowohlt in politisch bewegten Zeiten bezeichnete er oft als besonders spannenden und herausfordernden Abschnitt seiner beruflichen Karriere. Von 1985 bis 1990 war er Programmgeschäftsführer des deutschsprachigen Bertelsmann Buchclubs. Weitere Dienste leistete er als Mitglied des Verlegerausschusses des Börsenvereins des deutschen Buchhandels und als Leiter des Norddeutschen Buch- und Verlegerverbands.

Erst nach seiner Zeit beim Bertelsmann Buchclub fand er wieder dazu, seinen früheren Theaterinteressen intensiver nachzugehen. Er schrieb Theaterkritiken und hatte in dieser Phase der Karriere nach seiner Karriere große Freude daran, thematisch stärker zu den Wurzeln seines Studiums zurückzukehren. Er schrieb für die Neue Zürcher Zeitung und war Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Er reiste nach Salzburg zu den Festspielen – sowohl um darüber zu berichten als auch aus privater Leidenschaft. Er schrieb  Bücher, darunter mit dem Werk Die Hanseaten eine Abhandlung, die die Mythen der Hanseaten und insbesondere das in Hamburg verbreitete Selbstbild in Frage stellt, sowie spannende, tiefsinnige Biographien von Persönlichkeiten wie Ida Dehmel und Isa Vermehren, deren Leben von den Auswirkungen des Nationalsozialismus stark geprägt und im Fall Dehmel zerstört wurden. Die Abgründe des Nationalsozialismus blieben für Matthias Wegner das Thema, das ihn am meisten beschäftigte und bewegte.

Deutsche Autor*innen, Dichter*innen, Komponist*innen und Librettist*innen hat er auf verschiedenen Hamburger Bühnen zu neuem Leben erweckt, so dass sie dem Publikum selber ihre Schicksale erzählen konnten. Sorgfältig recherchierte er für jede und jeden von ihnen, immer die Texte heraussuchend, die die Stimme der Person, deren Freude, Zweifel oder Leid am besten zum Ausdruck brachten. Selber stand er als Rahmenerzähler auf der Bühne, während bekannte Schauspieler*innen die Texte mit Emotionen belebten. Immer wieder hat er seine schöpferischen Fähigkeiten dieser Hauptidee gewidmet:  Wie Unschuldige zu Opfern gemacht werden, wenn wir Autoritätsstrukturen blind und unhinterfragt gehorchen.

Wir trennen uns nur sehr ungern von diesem gebildeten, großzügigen Mann, der seine Prinzipien so konsequent gelebt hat – ein kleines Beispiel war, dass er die SPD auch deshalb wählte, weil sie die einzige Partei im Reichstag war, die Hitler nicht automatisch unterstützte.

An seinem Arbeitstisch in seiner Bibliothek saß er gern, umgeben von Stapeln an Büchern, vor sich eine elegante Glas-Teekanne gefüllt mit Earl Grey Tea, den er für seine Besucher*innen ausschenkte. “Was liest Du gerade?” war stets seine einleitende Frage –  für ihn gab es nichts schöneres, als ein herausforderndes und anregendes Buch in seiner Reichweite zu haben.

Matthias Wegner starb mit 86 Jahren am vergangenen Donnerstag im Kreise seiner Familie, die er so liebte und unterstützte und von der er so stolz erzählte. Er teilte sein Leben mit der ehemaligen Schauspielerin Christiane Wegner, geborene Biermann-Ratjen, in Hamburg. Sein Sohn, der Rechtsanwalt Konstantin Wegner, lebt mit Ulrike Wegner, Leiterin der Presse- und Lizenzabteilung des Verlags C.H.Beck, und deren Söhnen Benjamin und Sebastian in München. Seine Halbbrüder sind Markus E. Wegner (Hamburg) sowie der Verleger Christian Strasser, Leiter u.a. des Europa Verlags (München). Er wird von uns allen sehr vermisst.

Michele K. Troy ist Professorin für Englische Literatur an der University of Hartford (Connecticut). 2022 erschien von ihr das Buch “Die Albatross Connection” (Europa Verlag), in dem sie darstellt, wie drei Verleger, darunter Christian Wegner, die NS-Zensur austricksten.