Experiment zu KI-Büchern auf Amazon

"Menschen kaufen den Textschrott ungesehen"

27. Februar 2025
Kai-Uwe Vogt

KI-generierte Bücher überfluten Amazon – das ist derzeit immer wieder zu hören. Literaturcafé-Gründer und Kritiker Wolfgang Tischer hat ein Experiment gestartet: Er hat auf Amazon ein Sachbuch veröffentlicht, um die Mechanismen hinter dem Phänomen ans Licht zu bringen. Hier erklärt er den Versuchsaufbau.

Wolfgang Tischer mit Podcast-Mikrofon und Kopfhörern

literaturcafe.de-Herausgeber und Podcaster Wolfgang Tischer

Auf Amazon wimmelt es zurzeit von KI-generierten Büchern zu allen möglichen Themen. Jüngst hat das Börsenblatt über die besonders perfide Masche berichtet, lieblos zusammengepromptete Kinderbücher zu verscherbeln, in der Regel fehlt ein Hinweis auf die wahren Urheber. Auch Ratgeber sind ein Feld, das die Erzeuger solcher Machwerke besonders anzieht. Wie ist Ihre Wahrnehmung auf das Thema?

Wolfgang Tischer: Es war schon immer das erklärte Ziel von Amazon-Chef Jeff Bezos, die "bösen" Gatekeeper, die Verlage, vom Markt auszuschließen. Die Lesenden sollen selbst entscheiden, was sie kaufen wollen. Daher ist speziell Amazons Self-Publishing-Portal KDP seit jeher ein Einfallstor für Betrüger und Abzocker. In den Anfängen wurden billig zusammenkopierte Wikipedia-Artikel über Länder als Reiseführer verkauft. Nahezu leere E-Books mit vielen Seiten wurden zeitweise genutzt, um Amazons Lesetracking auszutricksen. Von geklauten Texten will ich gar nicht sprechen. Und jetzt sind es eben KI-generierte Inhalte, die dort hineinfluten. All das mit der Absicht, mit minderwertigen Inhalten Geld zu verdienen, indem inhaltlich etwas vorgespiegelt wird, was sich dann als Textschrott entpuppt.

Wenn man den Berichten über solche Billigbücher und Amazons-Bestsellerplatzierungen glauben kann, dann ist das eigentlich Erschreckende daran, dass es offenbar viele Menschen gibt, die solchen Textschrott ungesehen kaufen. Auch im Buchbereich mangelt es also an der oft geforderten Medienkompetenz. Ein Blick in die Leseprobe und auf den Verlagsnamen sollte doch stutzig machen. Aber das ist den Leuten offenbar egal. Das sollte dem Buchhandel zu denken geben. Es ist besonders erschreckend, wenn es um Bücher für Kinder geht.

Sie haben ein Experiment gestartet und selbst – unter möglichst transparenten Bedingungen – einen KI-Ratgeber erstellt, bzw. ChatGPT erstellen lassen.

Wolfgang Tischer: Amazon verlangt seit geraumer Zeit eine Selbstauskunft, in welchem Umfang für die Text- und Bilderstellung eines Buches KI verwendet wurde. Das ist absurd und nicht mehr als eine juristische Selbstabsicherung. Kein Abzocker und Betrüger gibt hier die Wahrheit an. Zudem stellt sich die Frage, welche Konsequenzen Amazon aus diesen Angaben überhaupt zieht. Wird ein solches Projekt in der Suche benachteiligt? Den Käufern werden die Daten der Selbstauskunft interessanterweise nicht angezeigt.

Daher habe ich mir naiv die Frage gestellt: Was passiert mit einem Werk, das offen als KI-generiert deklariert wird? Nicht nur gegenüber Amazon, sondern auch gegenüber den Lesenden?

Natürlich war klar, dass für ein solches Experiment kein belletristisches Werk infrage kommt. Das wäre zu verwerflich gewesen. Also wurde es ein Sachbuch, das von einer KI konsistenter erstellt werden kann. Da New Adult ein Genre ist, das mit engen und sich wiederholenden Plotmustern (Tropes) arbeitet, entstand mithilfe der KI eine Art Ratgeber: "New Adult schreiben: 199 Plot-Ideen und wie Du daraus mit KI einen spannenden Roman entwickelst".

Das ist ja ziemlich ironisch: Ein Buch mit Plot-Ideen für New-Adult-Romane und wie diese sich mit einer KI umsetzen lassen …

Wolfgang Tischer: Die ursprüngliche Idee waren tatsächlich nur die Plot-Ideen. Listen funktionieren immer. Aber das wäre buchstäblich zu billig gewesen. Also sollte es auch darum gehen, wie aus solchen Ideen mithilfe der KI ganze Bücher werden. Damit ist nicht das Schreiben des Textes gemeint – bei belletristischen Werken ist die KI zum Glück immer noch sprachlich flach und abgegriffen, sondern Dinge wie Figurenentwicklung und Plot-Ausarbeitung. Auch die Ethik des KI-Einsatzes sollte die KI selbst erörtern. Und nicht zuletzt ist im hinteren Teil des Werkes das Projekt als solches dokumentiert.

Wir wollten auch bei der Zuordnung des Ratgebers mit offenen Karten spielen und haben ihn in die Rubriken eingeordnet, die uns passend erschienen.

Wer auf Amazon jedoch das schnelle Geld verdienen will, geht genau andersherum vor: Es gibt Tools, die analysieren, welche von Amazons Rubriken ein hohes Suchaufkommen haben, bei denen es aber quantitativ wenig Suchtreffer gibt. Diejenigen, die KI-Bücher massenhaft produzieren, platzieren ihre Werke gezielt in diesen Nischen und optimieren Titel und Keywords darauf.

Sie haben im Projekt genau getrackt, wie viel Zeit welche Arbeitsschritte gekostet haben. Die KI liefert ja nicht auf Knopfdruck ein fertiges Ergebnis, Sie mussten den Titel auch noch veröffentlichen. Wie sah der Zeitaufwand genau aus?

Wolfgang Tischer: Er war höher als geplant. Das lag daran, dass sich das Projekt im Laufe der Entstehung gewandelt hat und neue Ideen und Aspekte hinzugekommen sind. Die KI-Anweisungen mussten zudem immer wieder nachgeschärft werden, da ChatGPT nicht immer das Gewünschte lieferte. Seltsamerweise wirkt die KI nach einiger Zeit wie ein bockiges Kind. So lieferte sie die ersten 100 Ideen problemlos. Bei den nächsten 200 stoppte sie aber immer nach weiteren 20 und fragte ständig, ob wir wirklich noch weitere Vorschläge bräuchten. Letztendlich musste der komplette Text noch einmal durchgesehen und lektoriert werden, weil eine KI nach wie vor Unsinn produziert – das berüchtigte "Halluzinieren".

Genauso viel Zeit wie für die eigentliche Texterstellung war für die Formatierung und Aufbereitung nötig. Schließlich sollte der Ratgeber nicht nur als E-Book, sondern auch als gedruckte Ausgabe erscheinen. Auch ein Cover musste erstellt werden.

So ganz genau hat man dann die Zeit nicht mehr im Blick, aber es waren rund 6 Stunden Arbeit.

Der Titel ist veröffentlicht. Wie geht’s nun weiter?

Wolfgang Tischer: Abwarten. Wird das Buch überhaupt gekauft? Welche Bewertungen und Kommentare gibt es bei Amazon? Welche Kommentare im literaturcafe.de? Über all das werden wir transparent berichten.