Wie reagieren Sie auf veränderte Bedürfnisse der Kunden – gerade im Hinblick auf die Digitalisierung der Prozesse?
Die Kunden erwarten von uns künftig mehr als die vergleichsweise starren Normendokumente im Volltext. Ihre Bedarfe zielen vielmehr auf granulare, auf einen bestimmten Produktions- oder Planungsschritt bezogene Anwendungen. Diese smarten Normen oder "Smart Standards" werden dem Kunden genau für den Kontext ausgespielt, für den er ihn braucht.
Zum Beispiel?
In der Planungs- und Konstruktionsphase eines Autos kann man beispielsweise prüfen, ob ein bestimmtes Material die gewünschten Werkstoffeigenschaften erfüllt. Bei der Konstruktion einer Brücke oder eines Bürogebäudes muss die Statik anhand bestimmter Formeln berechnet werden, die in einer Norm oder mehreren Normen hinterlegt sind. Dabei interessiert weniger der komplette Volltext der Norm, sondern oft nur eine Formel oder eine bestimmte Richtgröße. So könnte man künftig beispielsweise zur Erleichterung von Konstruktionsprozessen in der Werkstoffplanung granulare Normeninhalte einsetzen.
Was bedeutet dieses veränderte Nutzungsszenario für Beuth als Inhalteanbieter?
Wir befinden uns auf dem Weg vom Content-Distributor zum Content-as-a-Service (CaaS)-Provider, der über eine Plattform granulare Normeninformationen bereitstellen kann. Das bedeutet im ersten Schritt die Transformation einer digitalisierten Norm (PDF) in strukturierte, maschinenlesbare Inhalte, die mit Metadaten angereichert werden, um dann am richtigen Punkt eines Konstruktions- oder Prüfungsprozesses zugespielt werden zu können. Wenn man an diesem Punkt angekommen ist, könnte man tatsächlich von Smart Standards sprechen. Das ist jedenfalls unser Ziel. Die Systematik und Datenstruktur wird künftig in der Normenanwendung wichtiger als der Inhalt der Norm selbst.
Haben Sie den Durchbruch zu Smart Standards bald geschafft?
Wir haben dafür in unserer Entwicklungsabteilung Plattformen und Prozesse ein eigenes Team geschaffen, das sich gemeinsam mit der Normenentwicklung des DIN mit der Klärung vieler Fragen im Vorfeld beschäftigt und sich auf die Suche nach den richtigen Lösungswegen macht. Dazu gehört auch die Frage des Geschäftsmodells, die noch offen ist. Noch bewegen uns hier in einem Feld der Grundlagenforschung und schließen dafür auch Kooperationen, zum Beispiel mit Universitäten. Eine Herausforderung wird auch sein, die Aktualität der Normeninhalte ständig zu überprüfen. Unsere Kunden müssen sicher sein, dass sie etwa bei der Zulassung eines Produkts immer auf den aktuellen Stand einer Norm zugreifen können.
Planung, Herstellung und Distribution von Produkten ist in manchen Industriezweigen über den gesamten Globus verteilt. Was bedeutet das für die Anwendung von Normen?
Rein nationale Normen treten mehr und mehr in den Hintergrund zugunsten internationaler Standards: In der EU wird die Mehrzahl der Normen direkt als EN-Norm angestrebt und nur noch auf die nationale Ebene gespiegelt. Die EN-Norm wird dadurch zur nationalen Norm, oder umgekehrt wird die nationale Norm als EN-Norm eingebracht. Analog dazu macht eine Entwicklung hin zu Smart Standards auch nur im internationalen Kontext Sinn. Dabei gemießen der von DIN organisierte und moderierte deutsche Normungsprozess und seine Ergebnisse international eine hohe Reputation. In den USA hingegen gibt es Normungs-Organisationen in jeder Branche. In der Normung spiegelt sich auch die internationale Politik, so zum Beispiel im Bestreben Chinas um wachsende Einflussnahme auf die internationale Normung.
Bei den B2B Media Days der Deutschen Fachpresse hält Marion Winkenbach am 17. Juni um 16.45 Uhr den Vortrag "Auf dem Weg zu Smart-Standards: Stationen digitaler Transformation in der Technischen Fachinformation". Der Online-Kongress hat am 16. Juni mit dem Pre-Conference-Day begonnen und findet bis zum 18. Juni statt. Das Programm finden Sie hier.