INTERVIEW DER WOCHE mit Patrick Peltsch

Der Manga-Markt hört nicht auf zu wachsen

27. Februar 2021
Guido Heyn

Manga-Spezialist Kazé meldete im Januar, dass 2020 das umsatzstärkste Jahr seit Bestehen des Verlags war. Gerade in Zeiten von Corona erfreulich, aber auch erstaunlich. Speziell der Titel Haikyu!! aus dem Nischengenre Sport-Manga war einer der wichtigsten Umsatzbringer. Wie es dazu kam, haben wir bei Patrick Peltsch, Editorial Director KAZÉ Manga Germany, nachgefragt.

Erfolg in der ersten Corona-Welle

Wie erklärt sich der jetzige Erfolg der Volleyball-Serie "Haikyu!!", die ja bereits vor drei Jahre startete?
Tatsächlich war Haikyu!! für einen Sport-Manga von Anfang an ziemlich erfolgreich. Davor war das Genre vermintes Gelände und aus unternehmerischer Sicht sind Sport-Mangas aufgrund ihres extremen Umfangs von meist 30 bis 40 Bänden ohnehin ein ziemliches Risiko. Wenn sich schon nach den ersten zehn Bänden herausstellt, dass die Buchreihe bei den Lesern nicht ankommt, hat man ein ernstes Problem. Das ist bei "Haikyu!!" zum Glück nicht eingetreten. Ende 2019 hatte sich Band 1 bereits über 10.000-mal verkauft, mehr als ordentlich, nervös waren wir nur, wie sich die Zahlen für die Bände ab 20 bis 40 entwickeln würden. Im September 2019 begann dann schließlich Netflix mit der Ausstrahlung der ersten Staffel der Anime-Serie und weitere Staffeln folgten. Ab diesem Zeitpunkt begannen auch die Manga-Verkäufe langsam Fahrt aufzunehmen. Richtig verrückt wurde es aber erst ab Mai 2020, ausgerechnet mitten in der ersten Corona-Welle. Da kam also wohl mehreres zusammen: zum einen konnte die Reihe durch die Ausstrahlung bei Netflix endlich ein Massenpublikum erreichen, zum anderen saßen die Menschen durch den Lockdown eingesperrt zu Hause und brauchten etwas zu lesen. Ich hoffe trotzdem, unserem nächsten Sport-Manga gelingt das ohne Pandemie.

Der Erfolg im Bereich Sport-Manga ist ja eine extreme Ausnahme. Gibt es bestimmte Genres, die zurzeit besonders herausstechen?
Schwierige Frage. Ich bin wirklich unsicher, ob das Genre letztlich so eine entscheidende Rolle spielt. Seit einigen Jahren stelle ich fest, dass die Bereitschaft zu außergewöhnlichen Titeln verlagsübergreifend zugenommen hat. Also weniger Mainstream, mehr Special Interest, weniger Blockbuster, mehr Arthaus, wenn man so will. Letztendlich besteht die Chance, einen echten Hit zu landen, in jedem Genre und am Ende ist man dann selbst am meisten darüber überrascht, was man sich da ins Boot gezogen hat.

Der moderne Urban-Horror-Klassiker "Tokyo Ghoul" ist ein Dauerseller geworden. Wie hält man einen solchen Titel aktuell bzw. weiter im Fokus der Leser*innen?
Zumindest bis jetzt müssen wir zu unserer eigenen Überraschung anscheinend gar nicht besonders aktiv werden, damit sich die Buchreihe auch weiterhin fabelhaft verkauft. Das ist jetzt reine Spekulation, aber ich schätze, eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte. Natürlich, "Tokyo Ghoul" ist kein "Faust", kein "Homo Faber", kein "Mitternachtskinder", aber es ist eben dennoch auf seine Weise eine fantastische Geschichte von erzählerischer Tiefe, der es gelingt, nachhaltig neue Leser für sich zu interessieren.

Abseits von "Tokyo Ghoul" macht derzeit ja insbesondere Carlsen Manga exemplarisch vor, wie man mit Neu- bzw. Sonderausgaben auch Backlist-Titeln zu einem famosen Comeback verhelfen kann. Wobei man auch hier sagen muss, dass "Naruto" und "Dragonball", die inzwischen als 3in1-Ausgaben vorliegen, nie wirklich aus der Lesergunst verschwunden waren. Möglicherweise ist das auch für "Tokyo Ghoul" mittelfristig eine wünschenswerte Option.

Der Fernseher hat seine Rolle als Lagerfeuer der Nation verloren und zwischenzeitlich gab es daher so gut wie keine Wechselwirkung mehr zwischen den verschiedenen Medien.

Patrick Peltsch, Editorial Director KAZÉ Manga Germany

Der Manga-Markt boomt weiter

Kann man sagen, dass in Corona-Zeiten die Manga-Fans mehr konsumiert haben, auch aufgrund mangelnder Freizeitalternativen?
Ich denke, das kann man auf jeden Fall sagen, ganz klar. Und was für mich daran besonders schön ist, ist zu sehen, dass so viele Menschen bereit sind, wieder zum Buch zu greifen, anstatt das Internet leerzuschauen. Vielleicht ist das Lesen langfristig ja doch ein nachhaltigerer Zeitvertreib und ein ergiebigeres Erlebnis, als viele gedacht haben.

Manga ist ein Markt mit konstant hohen Umsatzzahlen bei einer für Außenstehende kaum überschaubarer Titelmenge. Kann von Überflutung des Marktes keine Rede sein?
Eine berechtigte Frage. Angesichts der Tatsache, dass die Warengruppe Manga von Jahr zu Jahr noch mal einen draufsetzt und scheinbar einfach nicht aufhören will, zu wachsen, hat das natürlich Begehrlichkeiten geweckt und sowohl den Titelausstoß insgesamt als auch die Preise in die Höhe getrieben. Aber eben nicht nur. Danny Achilles von Tokyopop hat erst kürzlich bekannt gegeben, dass man dort generell den Output etwas runterfahren und wieder mehr Fokus auf die Titelauswahl legen möchte. Bei KAZÉ war es ohnehin immer so, dass Manga ja nicht unser Kerngeschäft, sondern unser zweites Standbein sind. Das erlaubt es mir, zwischendurch auch einfach mal ein Mini-Programm mit lediglich 5 Neuheiten zu machen, wenn ich der Meinung bin, die Qualität der Lizenzen, die mir angeboten werden, ist nicht ausreichend. Bevor ich mir reines Füllmaterial ins Programm hieve, lasse ich es lieber sein. Meiner Meinung ist das der beste Weg, um seine Leser langfristig nicht zu langweilen.

Social Media als wichtiger Treffpunkt der Fans

Inwiefern spielen Anime-Serien oder Sozial-Media-Einflüsse eine Rolle bei den positiven Umsatzzahlen?
Früher galt die Regel: Wenn es im Fernsehen läuft, ziehen die Verkäufe an. Aber dann hat der Fernseher seine Rolle als Lagerfeuer der Nation verloren und zwischenzeitlich gab es daher so gut wie keine Wechselwirkung mehr zwischen den verschiedenen Medien. Seit es aber Netflix und Co. immer besser gelingt, diese Leerstelle zu füllen, ist auch die Wechselwirkung zwischen Anime und Manga wieder da. Allerdings, und das ist mir wichtig: das ist kein Automatismus. Eine schlechte Geschichte kann auch kein Streaming-Angebot und keine Marketing-Kampagne der Welt zum Hit umschreiben.

Was die Sozialen Medien angeht, spielen sie gerade auch als alternatives Medium zum Fernseher eine wichtige Rolle. Unsere Leser*innen sind mit Social Media aufgewachsen, dort tauschen sie sich gegenseitig aus und dort suchen und finden sie die Inhalte, die für sie interessant sind. Insbesondere Instagram ist aus unserer Sicht ein bedeutender Treffpunkt für Manga-Fans und mangels Alternativen haben die Sozialen Medien im Verlauf der Pandemie sogar noch an Bedeutung gewonnen. Auf der anderen Seite fehlt derzeit aber natürlich das Stöbern in der Buchhandlung. Das ist immer noch enorm wichtig, vor allem um neue, unbekannte Titel überhaupt erst zu entdecken. Im Internet suchen die Menschen eher Dinge, die sie sowieso schon kennen, und die bekannten Mechanismen hinter den Algorithmen unterstützen das noch. Vielleicht ist das eine Erklärung dafür, dass während der Lockdowns verlagsübergreifend vor allem die Backlist-Titel profitiert haben.

Carlsen hat sein Manga-Programm gerade mit Hayabusa erheblich vergrößert. Haben Sie ähnliche oder vielleicht ganz andere Pläne zur Programmerweiterung, gerade jetzt nach den erfreulichen Umsatzzahlen?
Ich kann die Entscheidung für Hayabusa sehr gut nachvollziehen, aber mein Weg ist das nicht. Für mich ging schon immer Qualität vor Quantität, ausgewählte Titel sind wichtiger als große Titelauswahl. Bei Carlsen Manga mag sich beides nicht ausschließen, immerhin haben sie ein komplett eigenständiges Team für Hayabusa engagiert, das sind Ressourcen und Manpower, über die ich bei KAZÉ einfach nicht verfüge. Ohne ein komplett eigenständiges Team neu aufzubauen, kann man so einen Kraftakt nicht stemmen. Ich will nicht ausschließen, dass wir unser Angebot in einer völlig anderen Richtung erweitern, für 2020 war ja ursprünglich geplant, unser neues Label KAZÉ Games vorzustellen, einer Plattform für Brettspiele, was dann aufgrund der aktuellen Entwicklung noch mal verschoben wurde. Im Bereich Manga bleibt zumindest für den Moment erst mal alles so, wie unsere Leser das von uns gewohnt sind.