Kultur, insbesondere auch die Buchkultur, wird oft als Europas Aushängeschild behauptet. In der Pandemie ist aber nicht nur in Deutschland zu beobachten, dass Kulturschaffende und Kreative Mühe haben, für ihre schwierige Lage Verständnis zu finden. Klaffen Reden und Taten kulturpolitisch auseinander?
Christian Ehler: Etwas überspitzt formuliert, gilt das traditionelle gesellschaftliche Bekenntnis zur Kultur, auch zur Buchkultur relativ uneingeschränkt nur noch für die Generation Ü50. Die fatale Diskussion um das Copyright hat uns deutlich gemacht, dass gerade in der jüngeren Generation ein grundlegendes Verständnis für Künstler und Kulturwirtschaft nicht mehr so stark verankert ist. Verleger, Autor, Lektor sind als Begriffe nicht mehr selbstverständlich. Die habituelle Erfahrung, ein Buch in den Händen zu halten wird bei jungen Menschen einfach nicht mehr mehrheitlich geteilt. Die bildungsbürgerliche Bücherwand als Einrichtungsstyle ist nicht mehr Ausdruck des Lebensgefühls dieser Generation.
Wie muss Kulturpolitik sich ändern, um dem Wandel gerecht zu werden?
Ehler: Die immer noch weitgehend von über 50-Jährigen geprägte Kulturpolitik in Deutschland verharrt in den rituellen Gräben von Links und Rechts - und stellt zunehmend ratlos fest, dass man sich da noch viel näher ist, als mit der digitalen Generation der Zehn- bis 30-Jährigen. Grundsätzliche künstlerische Qualitätsbegriffe sind infrage gestellt. Verlage verlieren vermeintlich ihre qualitative Gatekeeper Funktion. Jeder kann sich als Autor fühlen, frei und kostenlos zugänglich für alle in der weiten Welt der sozialen Medien. Die Dokumentation des im Internet Lesbaren vermittelt eine neue Illusion des Publiziert-Seins, jenseits des klassischen Verlagswesen und ohne den alten Makel des Selbstverlegten zu tragen.
Aber während die Wertschöpfung beim Urheber bleibt, fließen die Erlöse zu den Plattformen.
Ehler: Das ist so, weil sich ein historischer Kontrakt zwischen Kunst und Publikum auflöst, der eine wenigstens auskömmliche Existenz des Künstlers, als Gegenleistung für die Zugänglichkeit seines Werkes garantiert. Darin war auch immanent die wirtschaftliche Existenz aller an diesem Prozess Beteiligten eingeschlossen. Das Mantra der allgegenwärtigen, kostenlosen, vermeintlich partizipatorischen Zugänglichkeit zu allen kreativen Inhalten in den digitalen Medien hat nicht nur die Wertschöpfungskette des traditionellen Kulturbetriebes in Frage gestellt, sondern auch den ökonomischen, wie auch gesellschaftlichen Konsens über die Bedeutung von Kultur und Kulturwirtschaft.