Buchhändler:innen über die RISE-Konferenz

"Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch"

22. März 2023
Sabine Cronau

In Prag haben sich am 19. und 20. März Buchhändler:innen aus aller Welt zur ersten "RISE"-Konferenz getroffen. War das Treffen die Reise wert? Fünf Buchhändler:innen über das, was die Tagung überdauert. Mit Iris Hunscheid, Bernhard Schäfer, Maria Meibohm, Diana Fröhlich und Regine Kaiser.

Taschen für die RISE-Konferenz

Alles dabei? Taschen für die RISE-Konferenz

RISE steht für...

„Resilience, Innovation and Sustainability for the Enhancement of Bookselling“.

Das Projekt des Europäischen und Internationalen Buchhandungsverbands EIBF soll die Widerstands- und Innovationskraft des Buchhandels stärken.

Zentraler Baustein ist eine jährliche Konferenz. Premiere war jetzt am 19. und 20. März in Prag.

Was sie von dem internationalen Austausch mit Kolleg:innen aus aller Welt mitnehmen, schildern hier:

  • Iris Hunscheid, Buchhandlung Hoffmann, Achim, Vorsitzende des IGUS-Sprecherkreises im Börsenverein
  • Bernhard Schäfer, Vorstand der Genossenschaft eBuch
  • Maria Meibohm, Buchhandlung Graff, Braunschweig
  • Diana Fröhlich, Dussmann - das Kulturkaufhaus, Berlin
  • Regine Kaiser, Buchgalerie im Altstadt-Hof, Hof

Ihre schönste Begegnung in Prag?

Iris Hunscheid, Buchhandlung Hoffmann:
Der "Spirit" der ganzen Konferenz! Jede einzelne Begegnung, jedes Gespräch vibrierte vor Enthusiasmus, Begeisterung und Liebe fürs Bücher verkaufen – das war einfach toll!

Besonders beeindruckend sind natürlich immer wieder die Begegnungen mit KollegInnen, die ihr Geschäft unter noch viel schwierigen Bedingungen betreiben als wir, die oft nicht nur mit schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen zu kämpfen haben, sondern auch noch mit stattlicher Repression oder Zensur. Ein weiteres – ganz persönliches – Highlight war das Interview, das ich mit dem sehr geschätzten Kollegen und Autor Shaun Bythell aus Schottland führen durfte.

Autor Lawrence Schimel (links), hier mit Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins

Autor Lawrence Schimel (links), hier mit Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins

Skulptur in Prag, von Jaroslav Rona

Skulptur in Prag, von Jaroslav Rona

Bernhard Schäfer, eBuch:
Neben vielen anderen wundervollen Begegnungen hat mich ein Gespräch mit Lawrence Schimel emotional besonders bewegt. Der Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber, der in New York geboren wurde und seit 1999 in Madrid lebt, beschreibt in seinem Kinderbuch „Hundemüde & Hellwach“ das Leben von zwei Familien, das mit der Vorstellung von klassischen Familienbildern bricht. Die Eltern sind jeweils gleichgeschlechtlich.

Schimel erzählte mir beim Abendessen und am nächsten Tag allen Teilnehmenden auf der Bühne davon, wie er selbst, seine Eltern und Freunde nach dem Erscheinen des Buches persönlich angefeindet und bedroht wurden. In Ungarn war es Buchhandlungen in einem 500-Meter-Umfeld von Schulen verboten, dieses Buch über Vielfalt und Diversität zu verkaufen. In Russland zog man es aus dem Verkehr und verhaftete Buchhändler:innen, die Exemplare in ihren Sortimenten führten. Dennoch haben sich Medien sowie Buchhändler und Buchhändlerinnen mit Lawrence Schimel solidarisiert und sein Buch zu einem der weltweit meistverkauften Kinderbücher gemacht.

Maria Meibohm und Regine Kaiser in Prag

Maria Meibohm (links) und Regine Kaiser in Prag

Wenn ich könnte, würde ich mich sofort in den Zug oder ins Flugzeug setzen und Buchhandlungen in Den Haag, Antwerpen, Barcelona, Paris, London oder Helsinki besuchen.

Maria Meibohm, Buchhandlung Graff

Maria Meibohm, Buchhandlung Graff:
Ich habe viele Buchhändler:innen aus ganz Europa kennengelernt und aufschlussreiche Gespräche geführt. Wenn ich könnte, würde ich mich sofort in den Zug oder ins Flugzeug setzen und Buchhandlungen in Den Haag, Antwerpen, Barcelona, Paris, London oder Helsinki besuchen.

Ich durfte selber auf einem Podium zum Thema „Local Partnerships“ sprechen - zum ersten Mal in meiner Karriere habe ich einen kleinen Vortrag über das eigenen Unternehmen gehalten und auf Englisch unsere Kundenkarte vorgestellt. Das hat großen Spaß gemacht und es kam zu einer angeregten Diskussion mit den anderen Podiumsteilnehmerinnen und den Zuhörer:innen.

Diana Fröhlich, Dussmann:
"Am ersten Morgen saß ich zum Frühstück an einem Tisch mit einer schwedischen Buchhändlerin, einem amerikanischen Übersetzer und einer deutschen Verlagsmitarbeiterin, und wir redeten über Bücher. Es stellte sich heraus, dass wir alle im selben Genre lesen und uns begeistert austauschen konnten über bestimmte Autoren. Eins kam zum anderen, und ich bin mit vielen tollen Buchempfehlungen zurückgekehrt. Es war einer dieser Momente, der für mich für die ganze Konferenz steht: Begeisterung für Bücher teilen."

Regine Kaiser, Buchgalerie im Altstadt-Hof:
Die vielen internationalen Begegnungen waren das Schönste! Ich habe Buchhändler:innen aus Kanada, UK, Schweden, Spanien und natürlich auch Deutschland kennengelernt und viele inspirierende Geschichten gehört.

Iris Hunscheid mit Fabian Paagman, Co-Präsident beim EIBF

Iris Hunscheid mit Fabian Paagman, Co-Präsident beim EIBF

Es war sehr erhellend, wie unterschiedlich die Konditionen in den verschiedenen Märkten sind - obwohl sich die wirtschaftlichen Bedingungen vergleichen lassen.

Iris Hunscheid, Buchhandlung Hoffmann, Achim

Ihre wichtigste Erkenntnis aus der Konferenz?

Iris Hunscheid, Buchhandlung Hoffmann:
Neben den Unterschieden in unseren Ländern und Märkten stehen wir an vielen Punkten vor ganz ähnlichen Herausforderungen (Frequenzrückgänge, Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der LeserInnen, Nachhaltigkeit, Nachwuchsmangel) und es gibt viele spannende Ansätze, diesen zu begegnen.

Darüberhinaus war es sehr erhellend, wie unterschiedlich unsere Konditionen sind. Da werden wir zukünftig bei manchen international operierenden Verlagshäusern nachfragen, warum in anderen Märkten Rabatte und Vertragsbedingungen möglich sind, die wir hier nicht erzielen – obwohl die wirtschaftlichen Bedingungen in unseren Ländern vergleichbar sind.

Bernhard Schäfer, eBuch:
Die größten buchhändlerischen Errungenschaften sind durch Kommunikation zustande gekommen. Da wir uns künftig, neben den wichtigen nationalen Zusammenkünften wie unseren Buchmessen, auch international austauschen werden, verspreche ich mir noch viel mehr Innovation für die Zukunft unserer Buchhandlungen. Voneinander lernen ist die Devise. Die nächste Konferenz wird vom 16. – 18. März 2024 in Lissabon stattfinden. Sie ist offen für alle Buchhändlerinnen und Buchhändler dieser Welt.

Maria Meibohm, Buchhandlung Graff:
Die Themen, mit denen sich der Buchhandel europaweit beschäftigt, sind divers und komplex. Auf der Konferenz wurde deutlich, mit wie viel Enthusiasmus wir alle für Bücher brennen, die stetige Weiterentwicklung des eigenen Ladengeschäfts vorantreiben und auch im Bereich Nachhaltigkeit noch viel bewegen können.

Diana Fröhlich (links) mit Sophia Paramalingam von C.H. Beck

Diana Fröhlich (links) mit Sophia Paramalingam von C.H. Beck

Ich habe festgestellt, wie ähnlich unsere Werte als Buchhändler:innen sind, wir setzen uns zum Beispiel alle für mehr Diversität ein und fragen uns, wie wir nachhaltiger werden können.

Diana Fröhlich, Dussmann

Diana Fröhlich, Dussmann:
Neben sehr vielen interessanten Panels und Diskussionen ist für mich eine wichtige Erkenntnis, wie horizonterweiternd der internationale Austausch mit Menschen aus der Buchbranche sein kann. Ich habe erfahren, wie unterschiedlich beispielsweise die Ausbildung oder Remissionen in den verschiedensten Ländern gehandhabt werden.

Und ich habe gleichzeitig festgestellt, wie ähnlich unsere Werte als Buchhändler:innen sind, wir setzen uns zum Beispiel alle für mehr Diversität ein und fragen uns, wie wir nachhaltiger werden können.

Regine Kaiser, Buchgalerie im Altstadt-Hof:
Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Der Online-Handel bleibt eine Gefahr für die stationären Buchläden. Aber es gibt auch eine starkes Momentum bei der Kundschaft vor Ort, die weiß, was Buchhandlungen alles können und bieten, nämlich viel mehr als einen Klick auf der Website.

Buchhändler:innen dürfen sich ihrer verschiedensten Qualitäten (Service, Beratung, Lieferung, Lesungen, Büchertische, Schulen- und Kindergartenaktionen etc.) noch stärker bewusst sein und diese Services auch betonen.

Tue Gutes und rede darüber, auf Instagram und TikTok (booktok), es wirkt!

EIBF-Direktorin Julie Belgrado mit Bernhard Schäfer

EIBF-Direktorin Julie Belgrado mit Bernhard Schäfer

Bücher können vielleicht die Welt ein bisschen besser, liebevoller, diverser machen.

Bernhard Schäfer, eBuch

Nehmen Sie einen Praxistipp fürs Geschäft mit?

Iris Hunscheid, Buchhandlung Hoffmann:
Eine schwedische Kollegin, die eine ungewöhnliche Kinderbuchhandlung betreibt, hatte einen tollen Tipp für eine Veranstaltung mit jüngeren Kindern, die ideal für Anlässe wie ein Stadtfest ist. 

Bernhard Schäfer, eBuch:
Ich möchte gerne, anknüpfend an Gespräche mit Buchhändlern und Buchhändlerinnen in Verbundgruppen, deren Modelle näher kennenlernen und habe dazu Folgegespräche vereinbart. In den Impulsvorträgen aller sechs herausragenden, international bekannten Autorinnen und Autoren kam einmal mehr zum Vorschein, welch wichtige Aufgabe uns Buchhändlern und Buchhändlerinnen in unserer Gesellschaft zukommt. Bücher können vielleicht die Welt ein bisschen besser, liebevoller, diverser machen. In den moderierten Diskussionsforen habe ich einmal mehr erfahren dürfen, wie wichtig "Schwarmwissen" für das Erreichen der eigenen Ziele ist.

Maria Meibohm, Buchhandlung Graff:
Ich habe an Diskussionsrunden zum Thema „Representation matters: How to create a diverse and inclusive bookshop?“, „Social media: How to make the most of BookTok?“ und „Manga and graphic novels: Users’ guide“ teilgenommen.

Wir, die Buchhandlung Graff, bedienen die Themen Diversität, TikTok und Manga bereits gut und erfolgreich, aber auch hier ist noch viel Potenzial drin. Zum Beispiel einmal aus Sicht eines Rollstuhlfahrers:in die Buchhandlung zu betrachten, zu hinterfragen ob wir ein zugängliches Buchangebot für Transgender Personen haben oder ob wir einmal unsere Manga Fans mit in die Auswahl der Titel einbeziehen sollten.

Diana Fröhlich, Dussmann:
Besonders interessant fand ich das Panel zu den Lesemotiven, in dem auch viele praktische Umsetzungen gezeigt wurden. Der Praxistipp ist hier konkret: Wurden bisher Titel mit mehreren Lesemotiven zum Beispiel auf einem Tisch zusammen „gemischt“ präsentiert, wird es zukünftig einen Tisch geben mit Titeln eines einzigen Lesemotivs. Es wird im Erdgeschoss des KulturKaufhauses ein Bereich entstehen, der sich besonders auf das, bei weitem stärkste, Lesemotiv „Leichtlesen“ ausrichtet. Besonders wichtig für mich ist, das Verständnis für die Lesemotive in den Teams zu entwickeln und die Sortimente so stärker an den Lesemotiven auszurichten.

Die Delegation aus Deutschland

Die Delegation aus Deutschland

Ich nehme aus Prag so viele Anregungen mit. Eine davon: Tue Gutes und rede darüber. Deshalb will ich künftig noch mehr auf Social Media / Booktok aktiv sein.

Regine Kaiser

Regine Kaiser, Buchgalerie im Altstadt-Hof:
Ich habe so viele Anregungen aus Prag mitgenommen - aber zwei Punkte werde ich auf alle Fälle umsetzen:

  • In meinem Sortiment noch stärker auf Diversität achten (LGBTQ+, Feminismus, Menschen mit Behinderung etc.)
  • mehr auf Social Media / Booktok aktiv sein. Und, und, und ... alles, was ich sonst noch schaffe.