Die zweite Frage betrifft meine Kundschaft. Bisher habe ich die Tür für alle offen gehalten und, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alle gewünschten Bücher bestellt – wenn auch mit Bauchschmerzen. Ich wollte den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen und fühle mich der Meinungsfreiheit verpflichtet.
Jetzt frage ich mich: Ist das eigentlich richtig? Will ich Bücher, die meiner Meinung nach Hass und sozialen Unfrieden befördern, nach dieser Erfahrung weiterhin bestellen? Nach welchen Maßstäben entscheide ich sowas und könnten wir so etwas überhaupt leisten?
Die Freiheit des Wortes ist ein hohes Gut. Deshalb trifft die notwendige Diskussion über ihre Bedeutung und ihre Grenzen den Buchhandel an einer sehr empfindlichen Stelle. Und deshalb kann ich auch nicht so recht glauben, dass der Shitstorm gegen den Vorlesewettbewerb Zufall war.
Was ich gelernt habe: Wir alle in der Branche müssen uns professionalisieren im Umgang mit der rechtsextremen Szene. Denn die ist leider gut organisiert und verbreitet ihre Hassbotschaften immer schneller und zielgerichteter.
Wir müssen uns schulen lassen, um uns und andere vor dieser geballten Hetze zu schützen. Die Regionalgeschäftsstelle NRW des Börsenvereins bietet am 8. April ein Parolen- und Kommunikationstraining in Bonn an - zusammen mit der Bundeszentrale für politische Bildung. Daran werde ich auf jeden Fall teilnehmen.
Tatsächlich sehe ich zur Zeit keine gute Möglichkeit, solche Shitstorms zu vermeiden, wenn man auf den Social Media-Kanälen wie Facebook oder X offen unterwegs ist. Wenn wir konsequent sind, überlassen wir die Plattformen tatsächlich den Hetzern. Ich glaube, für anderen Austausch als auf begrenzten privaten Gruppen sind sie nicht mehr zu gebrauchen. Ihr Design ist letztlich darauf ausgelegt, zu Hassschleudern zu verkommen; man sollte sie den Hatern überlassen und früher oder später dichtmachen.
Es gibt sicherlich andere Wege in Bonn, um ein solches Ereignis zu kommunizieren und Dana zu feiern.
Und was die zweite Frage nach der Rolle des Buchhandels angeht: Ich finde, jeder Buchhändler hat die Freiheit zu entscheiden, welche Dienstleistung er im Einzelfall anbietet. Als Branche mögen wir in der Pflicht stehen, die Versorgung aller lieferbarer, nicht verbotener Literatur zu gewährleisten. Aber jeder einzelne Buchhändler darf für sich entscheiden, welche Bücher er auslegt, bewirbt und besorgt. Niemand muss dies gegen sein Gewissen tun.
Gerade wenn ich für die Freiheit des Wortes einstehe, muss ich nicht durch mein Tun dafür sorgen, dass die Gegner der Freiheit des Wortes (und vieler anderer Freiheiten) noch gestärkt werden.
In einem Gespräch bin ich sehr dafür, dass alles gesagt werden kann - man kann dann ja darauf antworten. Aber als Buchbeschaffer habe ich die Möglichkeit nicht - und sehe daher auch nicht die Pflicht, alles zu besorgen.