Der Teil-Lockdown mit zusätzlichen Maßnahmen soll ab 2. November bis zum Monatsende gelten, das wurde beim Bund-Länder-Treffen am Mittwochnachmittag vereinbart, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel im Anschluss auf einer Pressekonferenz aus dem Kanzleramt informierte. Nach zwei Wochen wollen Bund und Länder die Wirkung der harten Maßnahmen beurteilen. Das Ziel sei eine Absenkung der Sieben-Tage-Inzidenz auf weniger als 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner. So soll eine Nachverfolgung der Kontakte Infizierter durch die Gesundheitsämter gewährleistet werden.
Die Beratungen hätten in einer "ernsten Lage" stattgefunden, so Merkel. Das Tempo der Verbreitung des Coronavirus sei besonders hoch, die Belegung der Intensivbetten sei doppelt so hoch wie vor zehn Tagen. Wenn es bei diesem Tempo bliebe, kämen wir in wenigen Wochen an die Grenze der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens.
"Wir müssen handeln, und zwar jetzt", formulierte Merkel eindringlich, wenn "wir nicht in eine nationale Gesundheitsnotlage kommen wollen". Sie spricht von einer "nationalen Kraftanstrengung". Ziel der Maßnahmen sei es, die Kurve wieder abzuflachen, damit die (lückenlose) Nachverfolgung der Kontakte der Infizierten wieder hergestellt werden könne. "Bei 75 Prozent der Infektionen wissen wir nicht, woher sie kommen". Daher könne man keine Einrichtungen benennen, in denen es zu weniger Infektionen komme. Die Kanzlerin appellierte an die Solidarität der Bundesbürger*innen für die neuen Maßnahmen. Dabei wolle man das Wirtschaftleben so weit wir möglich intakt halten. Im Dezember soll so möglichst wieder zum jetzigen Zustand zurückgekehrt werden können.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sagte, die Entscheidungen seien ihm sehr schwer gefallen, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sagte: "Wir verordnen eine Vier-Wochen-Therapie". Die Beschlüsse sollen bundesweit gelten, heißt es auf Nachfrage der Journalisten. Umgesetzt werden müssen sie durch Verordnungen der jeweiligen Bundesländer.
Darauf einigte man sich unter anderem beim Bund-Länder-Treffen:
- Schulen und Kindergärten sollen offen bleiben. Die Länder entscheiden über die erforderlichen Schutzmaßnahmen.
- Kontaktbeschränkung: In der Öffentlichkeit sollen sich nur noch Personen aus zwei Haushalten treffen dürfen – maximal zehn Personen. Dies gelte verbindlich und Verstöße würden entsprechend von den Ordnungsbehörden sanktioniert. Darüber hinausgehende Gruppen feiernder Menschen auf öffentlichen Plätzen, in Wohnungen sowie privaten Einrichtungen sind angesichts der ernsten Lage inakzeptabel. Ziel sei es, 75 Prozent der Kontakte zu reduzieren.
- Groß- und Einzelhandel dürfen unter Auflagen zur Hygiene, zur Steuerung des Zutritts und zur Vermeidung von Warteschlangen offen bleiben. Die Runde einigte sich darauf, dass sich in den Geschäften nicht mehr als ein Kunde pro zehn Quadratmeter aufhalten darf. In der Beschlussvorlage des Bundes war ursprünglich von 25 Quadratmetern die Rede gewesen. Hier haben sich die Ministerpräsident*innen offenbar durchgesetzt.
- Gastronomiebetriebe sowie Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und ähnliche Einrichtungen sollen vom 2. November an für den restlichen Monat schließen. Ausgenommen sind die Lieferung und Abholung von Speisen für den Verzehr zu Hause, Kantinen dürfen offen bleiben.
- Dienstleistungsbetriebe im Bereich der Körperpflege wie Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo-Studios und ähnliche Betriebe werden geschlossen. Medizinisch notwendige Behandlungen bleiben weiter möglich. Friseursalons bleiben unter den bestehenden Auflagen zur Hygiene geöffnet.
- Veranstaltungen, die der Unterhaltung dienen, werden untersagt, so Merkel weiter. Profisportveranstaltungen können nur ohne Zuschauer stattfinden.
- Institutionen und Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzuordnen sind, werden geschlossen – darunter Theater, Opern, Konzerthäuser, und ähnliche Einrichtungen, Messen, Kinos, Freizeitparks und Anbieter von Freizeitaktivitäten (drinnen und draußen). Weiter etwa der Freizeit- und Amateursportbetrieb mit Ausnahme des Individualsports allein, zu zweit oder mit dem eignen Hausstand auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen. Schwimm- und Spaßbäder, Saunen und Thermen,. Fitnessstudios und ähnliche Einrichtungen
- Auf private Reisen und vermeidbare Besuche von Verwandten sollte verzichtet werden, so Merkel. Das gelte auch im Inland und für überregionale tagestouristische Ausflüge. Übernachtungen in Hotels sollen nur für notwendige und nicht für touristische Zwecke erlaubt sein.
- Mobile Heimarbeit soll erleichtert werden
- Die Arbeitgeber haben eine besondere Verantwortung für ihre Mitarbeiter, um sie vor Infektionen zu schützen. Infektionsketten, die im Betrieb entstehen, sind schnell zu identifizieren. Deshalb müsse jedes Unternehmen in Deutschland auch auf Grundlage einer angepassten Gefährdungsbeurteilung sowie betrieblichen Pandemieplanung ein Hygienekonzept umsetzen und angesichts der gestiegenen Infektionszahlen auch nochmals anpassen. Die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden sowie die Unfallversicherungsträger beraten die Unternehmen dabei und führen Kontrollen durch.
- Es soll eine außerordentliche Wirtschaftshilfe für Unternehmen, Betriebe, Selbständige, Vereine und Einrichtungen geben, die von den temporären Schließungen betroffen sind. Der Erstattungsbetrag betrage 75 Prozent des entsprechenden Umsatzes des Vorjahresmonats für Unternehmen bis 50 Mitarbeiter, womit die Fixkosten des Unternehmens pauschaliert werden. Die Prozentsätze für größere Unternehmen würden nach Maßgabe der Obergrenzen der einschlägigen beihilferechtlichen Vorgaben ermittelt. Die Finanzhilfe werde ein Finanzvolumen von bis zu 10 Milliarden Euro haben. Dafür würden die Minister Scholz und Altmaier noch in dieser Woche etwas ausarbeiten. – Hinweis: Diese Wirtschaftshilfe gilt nicht für Unternehmen des Groß- und Einzelhandels, so Merkel, die ja geöffnet bleiben dürften.
- Der Bund will Hilfsmaßnahmen für Unternehmen, die in den kommenden Monaten erhebliche Einschränkungen ihres Geschäftsbetriebes hinnehmen müssen, verlängern und die Konditionen für die hauptbetroffenen Wirtschaftsbereiche verbessern (Überbrückungshilfe III). Dies betreffe zum Beispiel den Bereich der Kultur- und Veranstaltungswirtschaft und die Soloselbständigen. Außerdem wird der KfW-Schnellkredit für Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten geöffnet und angepasst.
- Krankenhäuser, Pflegeheime, Senioren- und Einrichtungen für Behinderte: Die jeweiligen Regelungen dürfen nicht zu einer vollständigen sozialen Isolation der Betroffenen führen, heißt es in den Beschlüssen. Der Bund habe durch die neue Testverordnung sichergestellt, dass die Kosten der seit kurzem verfügbaren SARS-CoV2-Schnelltests für regelmäßige Testungen der Bewohner bzw. Patienten, deren Besucher und das Personal übernommen werden.
Eine Übersicht der Wirtschaftshilfen finden Sie hier auf Börsenblatt Online: Solo-Selbstständige mit einbezogen