Erste Lesungen nach der Corona-Krise

"Literatur ist ein Lebensmittel!"

19. Juni 2020
Redaktion Börsenblatt

Die ersten Buchhandlungen haben wieder Lesungen veranstaltet - und die Resonanz der Kunden war überwältigend. Erfahrungen zweier Buchhändlerinnnen: aus Mühlhausen, wo Norbert Scheuer aus "Winterbienen" gelesen hat, und aus Oerlinghausen, wohin Sandra Lüpke mit "Die Schule am Meer" kam.

Rundmail an die Stammkundinnen

Ursprünglich sollte Norbert Scheuer aus "Winterbienen" in der Buchhandlung lesen: "Aber durch die neue Situation mit Abstandsregeln etc. ging das ja nicht – also wollten wir auf den Garten der Kirche am Kristanplatz ausweichen und haben auf einen milden Sommerabend unter großen Bäumen mit Blick auf die alte Stadtmauer gehofft", berichtet Heike Strecker. Da Veranstaltungen im Freien immer ein gewisses Restrisiko haben, hatte die Sortimenterin der Christlichen Buch- und Kunsthandlung C. Strecker in Mühlhausen selbstverständlich einen Plan B: den großen Saal im Haus der Kirche. "Da die Kirche schon ein sehr ausgefeiltes Hygienekonzept hatte, konnten wir darauf zurückgreifen", zeigt sich Strecker erleichtert, "- ein eigenes Konzept zu erstellen, das wäre noch einmal ein gutes Stück Arbeit gewesen."

Da es gestern dann doch geregnet hatte, kam Plan B zum Einsatz: In den Saal durften mit den gebotenen Abständen dann 50 Zuhörer. "Ich hatte eine Rundmail an meine Stammkundinnen gemailt – und die Plätze waren schon weg, bevor wir damit in die Öffentlichkeit gegangen sind." Die Stimmung bei der Lesung mit Norbert Scheuer war bestens, "so dankbar habe ich das Publikum selten erlebt, alle waren unheimlich froh, dass es wieder Kulturangebote gibt, und es wurde deutlich: Literatur ist ein Lebensmittel!" Zudem seien alle sehr diszipliniert gewesen. Und: "Der Büchertisch wurde komplett leer gekauft - das hatten wir eigentlich noch nie!". Auch Schriftsteller Norbert Scheuer sei guter Laune gewesen: "Er hatte sichtlich Spaß an der Lesung, und danach haben wir mit ihm und unseren Mitarbeitern noch ein kleines Picknick vorm Laden gemacht."

Jeder Gast wird an seinen Platz geleitet

Einen Tag zuvor, am Mittwochabend, hatte Sandra Lüpke in Oerlinghausen aus ihrem Roman "Die Schule am Meer" gelesen. Es war die letzte Veranstaltung aus dem Frühjahrsprogramm der Buchhandlung Blume, "Lüpke hat schon viermal bei uns gelesen, wir hatten für den durch Corona ausgefallenen Termin schon 80 Karten verkauft und so haben wir lange gezögert abzusagen und hin und her überlegt, wie wir die Lesung doch verwirklichen könnten", erzählt Buchhändlerin Martina Lange. Fündig wurde sie in der Mensa der Heinz-Sielmann-Schule, die 240 Plätze bietet, unter den aktuellen Abstandsregeln jedoch nur 80. Hier fanden schon frühere Lesungen statt, die Buchhandlung stimmte sich mit der Schulleitung und dem Bürgermeister ab und entwarf ein sehr strenges Hygienekonzept: "Maskenpflicht, Kärtchen, um die Kontaktdaten aufzunehmen, Hände desinfizieren, genaue Abstandsregeln, es gab einen Eingang und einen Ausgang, jeder Teilnehmer wurde an seinen Sitzplatz geleitet usw.", berichtet Lange.

"Die Resonanz war großartig – die Leute haben anderthalb Stunden ohne Pause gebannt zugehört, ohne Pause, ohne Catering wie sonst, klar, und wir sind gestern und heute im Laden freudestrahlend auf die gelungene Veranstaltung angesprochen worden", zieht Lange Bilanz. Anders als in Mühlhausen wurde der Büchertisch nicht restlos leergefegt, "aber das lag an unserem Konzept: Wir hatten empfohlen, bei einem Signierwunsch schon vorher ein Buch zu kaufen, damit wir das vor der Veranstaltung jeweils vorbereiten und so die Kontakte minimieren konnten."

Würde die Buchhändlerin nach den positiven Erfahrungen jetzt mit weiteren Lesungen gleich weitermachen? "Wir sind da noch zurückhaltend und warten erstmal mit dem Herbstprogramm. Denn man muss immer so kalkulieren, dass man einen großen Raum mieten muss, aber nur ein Drittel der Plätze bestuhlen kann, was heißt: auch nur ein Drittel Einnahmen." Das Befolgen des Hygienekonzepts sei sehr personalintensiv, die Kosten müsse man ebenfalls mit einrechnen. "Deshalb muss man das trotz eines wahrscheinlich großen Erfolgs immer gut durchrechnen."