"Big Michael hat kräftig auf die Buschtrommel gehauen. Und damit hatte er grundsätzlich recht. Professionelle Redenschreiber, die es vielleicht geschickter und verträglicher formuliert hätten, wären nur weniger authentisch gewesen. In der Krise hat der Onlineriese ohne Leistung profitiert, er hat sogar die Leistung für das Buch gedrosselt. Die große Boulevardbuchhandlung hat mächtig gelitten. Und die kleine oder die mittlere Buchhandlung glaubt zumindest, profitiert zu haben. Auf einer Welle der Solidarität haben manche Kunden den umständlichen Weg der Abholung gewählt, wo es doch mit Internetbestellung deutlich einfacher gewesen wäre.
Solidarität hat von allen Elementen mit Strahlkraft die geringste Halbwertzeit. Außer Amazon hat keiner wirklich gewonnen und Amazon wird weiter gewinnen. Klammheimliche Freude über die Probleme bei den Ketten ist auch keine Zukunftsstrategie. Ohne den Boulevard keine Auflagen, ohne Auflagen keine Bücher. Und ohne Bücher auch keine Inhaber-geführten Buchhandlungen.
Die gute Nachricht: die Pandemie ist dank Impfstoff in 3-4 Monaten vorbei. Aber der Impfstoff für den Boulevard ist noch nicht entwickelt worden. Und den werden wir dringend brauchen. Der Boulevard muss attraktiver für den Kunden werden.
Was muss sich ändern:
- Die Sortimentsvielfalt muss wieder hergestellt werden, eine Buchhandlung braucht mehr Sortimentsbreite und Sortimentstiefe. Buchhandlungen müssen wieder Stöberplätze werden.
- Der Lagerbestand im Boulevard muss drastisch erhöht werden. Damit wird die Lagerumschlagsgeschwindigkeit drastisch gesenkt.
- Dafür braucht der Buchhandel längere Ziele und einen deutlich höheren Rabatt. Die 50 % Rabattgrenze muss der Vergangenheit angehören.
- Es braucht Aktionen für den stationären Buchhandel. Titel, die exklusiv vom Buchhandel gekauft werden.
In jedem Fall muss der Weg in die Innenstadt wieder attraktiv werden. Bücher sind dafür das beste Sortiment. Und exklusive Angebote im Handel sind die beste Überlebensstrategie.
Jetzt ist wieder Michael Busch gefragt. Diesmal mit genauso schonungsloser Kritik am alten Konzept und mit der Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Dazu braucht er Unterstützung, aber eben auch konstruktive Kritik aus dem Buchmarkt. Denn nur gemeinsam gehen wir gestärkt in die Zukunft.
PS. Ein erster kleiner Schritt: Ab sofort gibt es für alle Mitarbeiter des Buchhandels und der Buchverlage auf alle Titel von Könemann einen Kollegenrabatt von 50 % im Webshop. Rufen Sie uns an!"
Wer marktmäßig gerasterte Inhalte in hohen Auflagen druckt, hat Spielraum in der Kalkulation. Erst recht bei Ramschauflagen (wie von rechtefreier Kunst) ohne Autorenhonorar. Riskante Inhalte, Mut zur Innovation, das Ungewöhnliche, Originelle, Einmalige - würden weiter ausradiert.
Und wer die 50 % kippt - kippt die Ladenpreisbindung.
Dann gibt es nur noch Boulevard.
Wär Ihnen das recht?
Im Übrigen - einverstanden, wir wollen dem Handel ja Gutes tun: Ab sofort gibt's auch bei Vitolibro 50 % Kollegenrabatt.
Für Existenzielles, garantiert nicht austauschbar, empfehle ich die Lektüre von Mohamed Choukri "Das nackte Brot" und "Tante Linas Kriegskochbuch".
Formlos per Mail - Herr Könemann ...
da waren wir uns dieser Tage zwar durchaus einig in der Meinung, dass ein Wegbrechen Thalias für die ganze Branche bzw. deren Produkte nicht gut sei; und dass die plötzliche Kundensolidarität für kleine und mittlere Buchhandlungsgrößen nicht unbedingt in Stein gemeißelt ist, auch da pflichtete ich Dir durchaus bei.
Bei Deinen jetzigen Forderungen nach Sortimentsvielfalt, Lagervergrößerung und Überlegungen in Sachen Neuverteilung der Konditionen erkenne ich wohlwollend auch eine gewisse Übereinstimmung zu den sehr klugen Gedanken Matthias Ulmers. Was im Zuge dieser ganzen Diskussion allerdings unter keinen Umständen in Gefahr geraten darf, dies ist die Buchpreisbindung – momentan damit verbunden also die Forderung nach den von Dir so nonchalant in den Raum geworfenen 50+ für alle. Du weißt genau, dass es dann für die ganze Branche und die gesamte Branchenlogistik sehr schwer wird.
Und ebenso genau weißt Du, dass diese bisher gewährten „Sonderkonditionen“ insbesondere bei einem Marktteilnehmer bislang keine größeren und tieferen Brancheneffekte nach sich zogen, außer dass vor Ort Boulevard noch sichtbar ist. Im Gegenzug kann man ketzerisch eher festhalten, dass diese 50+ dort nur dazu dienten, das eigene jahrelange Missmanagement komplett zu übertünchen und sich von allen anderen Marktbeteiligten teuer bezahlen zu lassen. Besonders gerade in den Zeiten der Coronakrise wurde an dieser Stelle übrigens, auch darüber sprachen wir kurz, so ziemlich alles vergeigt, was sich in Sachen Sichtbarkeit des Buches vergeigen lässt.
Der lachende Dritte ist und bleibt Amazon, das sagst Du selbst. Dagegen zu Ungunsten aller anderer Beteiligten einige Zombies zu subventionieren, dies kann auch nicht die Lösung sein. Denn der kleine und mittlere Buchhandel schreit nicht unbedingt nach 50+, aber er schreit danach, nicht weiter nicht funktionierende Geschäftsmodelle mitfinanzieren zu müssen. Das ist es, was in den Verlagen und bei Thalia ankommen muss…
Jens Bartsch – Buchhandlung Goltsteinstraße in Köln
Der Wandel zum kleinen Format ist eine Absage auch an die industrielle Buchproduktion, die letztlich Kultur liquidiert statt sie zu nähren. Das ist nicht anders als die Ausbeutung des Bodens, bis er ausgelaugt ist. Und die von Ihnen sogenannte Boulevardbuchhandlung ist die Vertriebsform dazu (unter anderem).
Und ja, Amazon hat enorm zugelegt. Aber wir haben doch auch einen positiven Aspekt: Jeder Konsument hat sich in den vergangenen Monaten mit Online-Bestellungen befasst. Und jeder war vorher schon Amazon-Kunde. In diesem einen Jahr hat aber auch jeder eine Vielzahl weiterer Bezugsquellen im Netz entdeckt und lieben gelernt. Das Kaufverhalten hat sich insgesamt verändert. Und das kommt allen zugute, die einen Webshop auf einem Niveau betreiben, das funktioniert und nicht nervt. Insofern haben alle gegenüber Amazon aufgeholt. Das Netz besteht nicht mehr nur aus einem Händler. Jetzt gilt es, die Kunden auch dort zu binden, und das kann mit einigem Geschick auch die kleinste Buchhandlung, wenn sie von den Verlagen dabei unterstützt wird. Letztlich ist es auch hier wieder die Frage, ob die Marketingabteilungen der Verlage ihre gesamten Kapazitäten auf drei Kunden konzentrieren, oder ab man auch die kleinen Unterstützt.
1. Was soll die Heroisierung von "Big Michael" als Held der Branche - ich fand Herrn Buschs Äußerungen vorm Mitarbeiterkreis ausgesprochen peinlich. Gipfelnd darin, dass es ihm letztlich egal ist, ob die AfD von seiner Kampagne profitiert. Damit hat er die Anstrengungen des Börsenvereins eher in ein schlechtes Licht gerückt, als sie zu unterstützen. Vorsichtig ausgedrückt.
2. "die kleine oder die mittlere Buchhandlung glaubt zumindest, profitiert zu haben." - Abgesehen davon, dass solche Verallgemeinerungen nie wirklich stimmen: Es ist ein Fakt, dass viele kleinere engagierte Buchhandlungen hervorragende Umsätze gemacht haben, und nicht nur als Strohfeuer. Für meine Buchhandlung kann ich sagen, dass wir in den letzten 12 Monaten eine große Zahl neuer KundInnen gewonnen haben. Das Feedback sagt uns, dass die Erfahrungen mit uns gute waren. Wir werden dafür sorgen, dass das nicht verpufft.
3. Dass der Weg der Abholung ein umständlicher ist, stimmt ja so auch nicht. Wir haben im zweiten Lockdown zu 90 % Abholungen gehabt, trotz unseres Angebots der kostenlosen Lieferung. Weil die Menschen - und jetzt nach dem Lockdown mehr denn je, gerne zu uns kommen. Das ist für sie nicht "umständlicher", sondern ganz offensichtlich ein Gewinn. Weniger vergnüglich ist dagegen der Weg zum nächsten (oder übernächsten) Hermes-Abholshop. Wenn das Einkaufen vor Ort durch "umständlich" treffend charakterisiert wäre, könnten die Innenstädte tatsächlich die Bürgersteige hochklappen.
4. Und nein: Die Pandemie wird nicht in "3-4 Monaten vorbei" sein. Wo kommt diese Idee denn her??
5. "eine Buchhandlung braucht mehr Sortimentsbreite und Sortimentstiefe. Buchhandlungen müssen wieder Stöberplätze werden" - aha . . . welche denn jetzt genau? Meinen Sie mit "eine Buchhandlung" die Thalia-Filialen? Oder die kleineren Unabhängigen??
6. "Der Lagerbestand im Boulevard muss drastisch erhöht werden. Damit wird die Lagerumschlagsgeschwindigkeit drastisch gesenkt." Im Ernst? Ist das eine betriebswirtschaftliche Empfehlung oder soll es eine Warnung sein?? Ich dachte immer, ein niedriger Bestand und eine hohe Drehzahl sei vorteilhaft . . .
7. Jetzt wird's endgültig abenteuerlich: "Dafür braucht der Buchhandel längere Ziele und einen deutlich höheren Rabatt. Die 50 % Rabattgrenze muss der Vergangenheit angehören." Das ist ja schon eingelöst - leider nur bei sehr wenigen Marktteilnehmern. Und genau das gilt es jetzt einzufangen, denn die Preisbindung hat nur einen Sinn, wenn sie die Ladenpreise bindet UND die Konditionen begrenzt. Alles andere ist ein Freifahrtschein zur Marktkonzentration. Ihr Vorschlag würde zur Erosion der Preisbindung führen.
8. "Jetzt ist wieder Michael Busch gefragt. Diesmal mit genauso schonungsloser Kritik am alten Konzept und mit der Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Dazu braucht er Unterstützung . . ." - Was heißt das denn nun? Soll Michael Busch den Buchmarkt retten? Oder sollen wir ihn unterstützen bei der Erarbeitung eines neuen Thalia-Konzepts? Ich glaube kaum, dass er da besonderen Wert drauf legt.
Dieter Dausien, Buchladen am Freiheitsplatz, Hanau
Dies ist auch eine Forderung von Herrn Könemann.
Ja, in dieser gerade schwierigen Zeit sollte man mit einer Erhöhung vom Lagerbestand sehr vorsichtig sein und da auch im Einkauf der Bücher und Neuerscheinungen gut agieren können.
Ein volles Lager mit Büchern wie Stapelware nutzt nicht viel, weil der Kauffluss nicht so da ist.
Und bei den Neuerscheinugen jetzt zum Frühjahr muss man als Buchhändler gezielter einkaufen und kann eben nicht den Lagerbestand vergrößern.
Bestimmte Aktionen im Buchhandel, z. B. für den stationären Buchhandel in den Innenstädten sind jetzt wichtig um vor allem die Laufkunden wieder als Leser/- innen in die Buchhandlungen zu holen.
Da wären zuerst an die Schaufenster zu denken, die in Abständen mit wechselnden Buch-Neuerscheinungen, dekoriert werden sollten.
Auch könnten da auch Buchhandlungen vor Ort in den Zentren der Städte gemeinsame Aktionen durchführen, z. B. gezielte Verkaufsaktionen für mehrere Buchtitel.
Wenn kleinere Buchhandlungen, z. B. in den Innenstädten sich zu einem Verbund in der Werbung für ein bestimmtes Segment von Büchern (Koch- oder dann Gartenbücher) zusammen tun, dann würde da auch mehr Gemeinsamkeit unter den Kollegen/- innen entstehen und es könnten sich dann mehr Möglichkeiten für den Innenstadt-Buchhandel entwickeln.
Nur zusammen wären dann so Unternehmungen dann auch durchführbar.
Dies wäre letztendlich ein stationärer Buchhandel, der effektiv in den Innenstädten bessere Margen im Spektrum an Leser/- innen gewinnen würde.
Darauf wird es in der nahen Zukunft auch ankommen.
Harald Kraft