IGUS-Tagung

"Keine Angst vor großen Namen"

26. Mai 2024
Redaktion Börsenblatt

Viele absolut nutzwertige Impulse hielt die Jahrestagung der IG Unabhängiges Sortiment in Köln für die rund 90 Teilnehmer:innen bereit - insbesondere die Erfahrungen von Kolleg:innen zu gelungenen Veranstaltungsformaten und ein katalanisches Bücherfest machten neugierig.

Die IGUS-Sprecher Daniel Hagemann, Katrin Röttgen und Iris Hunscheid begrüßen die Teilnehmerinnen der IGUS-Tagung 2024

Caroline Wahl auf Platz 1 der Hardcover- und der Taschenbuch-Bestsellerliste Belletristik: Gastgeberin Sabine Cramer hatte allen Grund, die rund 90 Gäste der Jahrestagung der IG Unabhängiges Sortiment freudestrahlend im DuMont Buchverlag in Köln zu begrüßen. "Ohne die unabhängigen Buchhandlungen wäre dieser Erfolg aber nicht möglich gewesen", hob die Verlegerin hervor. Wie wichtig es ist, Bücher sichtbar zu machen, betonte auch Iris Hunscheid, Vorsitzende des IGUS-Sprecherkreises: Das Sortiment stehe unter großem Druck, die Rendite entwickele sich in Richtung schwarze Null, viele Inhaber:innen gingen der 60 entgegen – "auch wenn wir den demografischen Wandel nicht verändern, können wir aber noch an vielen Schrauben drehen, um in der breiten Fläche die Sichtbarkeit für das Buch aufrechtzuerhalten."

Auf die Vielfalt hob auch Peter Kraus vom Cleff ab: "Jeder ist anders, aber wir sollten trotz aller Individualität gemeinsam anders sein", sagte der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins und erinnerte als Bild an die Buchmessen: "Anders als etwa auf einer Automobilmesse mit wenigen großen Ausstellern haben wir auf Buchmessen große und kleine Verlage mit unterschiedlichsten inhaltlichen Richtungen dicht nebeneinander, und diese Diversität spiegelt sich auch in den Buchhandlungen." Mit Blick auf den Kostendruck erinnerte Kraus vom Cleff an die vertrauliche Ombudsstelle für die Preisbindung: "Bitte nutzen Sie sie, geben Sie uns Hinweise, damit wir ihnen nachgehen können." Um den Buchhandel auch abseits der Ballungsgebiete in strukturschwachen Gebieten zu erhalten und kleinere Buchhandlungen mit geringeren Umsatzzahlen gegenüber großen Buchhandlungen nicht zu benachteiligen, solle ja Absatz 1 des § 6 der Preisbindung verhindern, dass Rabatte allein am Umsatz, den Verlage mit einer Buchhandlung machen, festgemacht werden. "Eine Buchhandlung ist absolut wichtig für die Innenstädte, sie ist eine unverzichtbare Begegnungsstätte."

Peter Kraus vom Cleff und die Buchhändler:innen bei der IGUS-Tagung 2024 bei DuMont in Köln

Pascal Mathéus von der Hamburger Buchhandlung Wassermann

"Keine Angst vor großen Namen"

Als absolut nutzwertig unter den vielen Tagungsbeiträgen erwiesen sich die Best-Practise-Beispiele von vier Buchhändler:innen, die gelungene Veranstaltungsformate vorstellten. Pascal Mathéus von der Hamburger Buchhandlung Wassermann hat sich in den vergangenen 18 Monaten in den Elbvororten einen Ruf erworben, mit interessanten Themen und Autoren Buchaffine in seine Buchhandlung zu locken. "Die Elbvororte rund um Blankenese sind ein eigenes Ökosystem mit 162.000 Einwohnern, eines der größten zusammenhängenden Villengebiete der Welt", erläuterte Mathéus, "die Leute möchten auch nicht ständig in die Hamburger Innenstadt fahren." Er bietet mit seinem Team literarische Veranstaltungen auf hohem Niveau, mit bekannten Schriftstellern und Verlegern, sowie Veranstaltungen von lokalem Interesse. Seine Erfahrung: "Es braucht eine Regelmäßigkeit, um Besucherfrequenz zu generieren, wir machen mindestens eine Veranstaltung im Monat." Zwischen 15 bis 20 Euro kostet der Eintritt inklusive einem Glas Wein, "maximal passen 100 Gäste in den Laden, wenn wir alle Bücher an die Seite räumen, und inzwischen sind wir meist ausverkauft", so seine Bilanz.

"Wahnsinnig entscheidend sind die Kooperationspartner wie Schulen, Kirchengemeinde, Interessengemeinschaft, Banken", merkt der Sortimenter an, hier öffneten sich viele Wege, von denen man zunächst gar gedacht hätte, dass sie möglich seien. Mathéus‘ Ratschlag: Erfolgreich seien

  • eine besondere Lesung mit einer regionalen Autorin, die preisgünstig ist
  • oder eine bekannte Autorin mit Topthema im intimen Rahmen. "Man muss sich auch trauen, die großen Autorennamen anzusprechen oder bei Verlagen anzuklopfen, und es lohnt sich, auch geduldig und hartnäckig bleiben."

Daniel Hagemann von den Bücherstuben Hamburg Nord

Keine Veranstaltung ohne Moderation

"Die klassische Wasserglas-Lesung funktioniert nicht wirklich gut, die Verkäufe sind überschaubar – und dann kann längst nicht jeder Autor, der fantastische Bücher schreibt, auch entsprechend gut lesen", ist das Fazit von Daniel Hagemann, der die Bücherstuben Hamburg Nord betreibt und im Sprecherkreis der IGUS ist. Die Schlussfolgerung, die Hagemann daraus gezogen hat: "Es lohnt sich immer, den Autor zu begleiten und mit ihm über das Buch zu reden." Für die Moderation aber nochmal Geld ausgeben, gebe das Budget meist nicht her, und so habe er sich gesagt: "Das kann ich eigentlich auch selbst. Deswegen lassen wir Autoren nur noch im Duett mit mir auf die Bühne, ich komme mit ihnen ins Gespräch, es gibt immer spannende Geschichten zu erzählen – da ist die Lesung gar nicht so entscheidend." Den meisten Autoren gefielen diese Gespräche total gut, viele wollen wiederkommen. Auch Hagemann rät, vor großen Namen nicht zurückzuschrecken, auch bei den Konditionen ließe sich durchaus verhandeln. Bei ihm sind auch Bestseller-Größen wie Martin Walker zu Gast  "– man muss nur fragen!"

Anne v. Bestenbostel von Bücher von Bestenbostel in Nordenham

Die "Schlaue Stunde"

Buchhändlerin Anne v. Bestenbostel berichtete über die "Schlaue Stunde", die einmal im Monat um 18.30 Uhr bei Bücher von Bestenbostel in Nordenham stattfindet – "Eintritt frei, Wein dabei. Es ist so ein bisschen die Sendung mit der Maus für Erwachsene, und dann erklärt zum Beispiel jemand von der Müllabfuhr, wo denn die ganzen gelben Säcke der Nordenhamer Haushalte hinkommen." Die Experten sind bunt gemischt, Krabbenfischer, DPA-Korrespondent, Wildkräuter-Expertin, Hospizhelferin etc. waren bei ihr zu Gast und die Buchhandlung wird zum Treffpunkt, 30 bis 40 Leute bevölkern den Laden. "Jeder von Ihnen findet in der Region Leute, die etwas Spannendes erzählen können!", macht die Buchhändlerin ihren Kolleg:innen Mut, das Veranstaltungsformat auch einmal auszuprobieren. Teilweise kommen die Kundinnen mit Vorschlägen oder v. Bestenbostel, die wie die ebenso anwesende Berliner Buchhändlerin Christiane Schulz-Rother für den Ausschuss für den Sortimentsbuchhandel im Börsenverein kandidiert, überlegt selbst: "Als nächstes möchte ich gerne den Oberbühnenbildner vom Bremer Theater zu mir bitten." Und wenn ein Thema wie "Zero Waste: Warum ist Mülleinsparung so wichtig für ein umweltbewusstes Leben?" so vielschichtig und interessant ist, plant sie auch mal zwei Stunden dafür ein – das ist dann die "Schlaue Stunde XXL".

Christiane Schulz-Rother, Vorsitzende des Ausschusses für den Sortimentsbuchhandel, informierte über aktuelle Themen

Aufwand für eine Lesung richtig berechnen

Auf die Budgetplanung wies Iris Hunscheid von der Buchhandlung Hoffmann in Achim und Jost in Bonn hin. "600 Euro Autorenhonorar plus 130 Euro für die Übernachtung plus 100 Euro Fahrtkosten muss man schon überschlagen, aber viele von uns berechnen oft nicht die Eigenleistung. Muss man aber: Egal ob eigenes Personal oder zwei Aushilfen, da kommen schnell 15 Personalstunden zur Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung zusammen", was Hunscheid mit 400 Euro veranschlagte. So sind rasch 1230 Euro zu verbuchen, was rein rechnerisch bei 100 Gästen einen Eintritt von 12,30 Euro und bei 50 Gästen schon 24,60 Euro ergeben würde, aber da ist die Mehrwertsteuer noch nicht eingerechnet und auch eine eventuelle Raummiete noch nicht drin. Zudem müsse man sehr wohl schauen, welcher Eintritt mit Blick auf das Umfeld und die Kundschaft sinnvoll sei. "Das Risiko bleibt bei uns Buchhändler:innen hängen, und wenn nicht so viele Kund:innen kommen, trösten wir uns damit, dass es dann halt Werbekosten sind." Dass dieser Zustand aber keineswegs so bleiben müsse, machte Hunscheid mit einem Blick nach Großbritannien deutlich: "Dort zahlen Verlage aus ihrem Werbekostenetat das Autorenhonorar und die Reisekosten – aber die Buchhandlungen müssen sich vorher beim Verlag bewerben." Auch riet Hunscheid, stets beim Verlag zu fragen, ob er die Veranstaltung monetär unterstützt "– und nicht mit Freiexemplaren, das ist ein Unterschied."

Was kommt nach der Wasserglas-Lesung?

"Eine Lesung ist ein sehr individuelles Erlebnis, live, man kann den Menschen entdecken, der hinter dem Buch steckt, und die Buchhandlung wird so zum Ort der Begegnung", konstatierte Lisa Noss, die für den Bereich Veranstaltungen im DuMont Buchverlag zuständig ist. Im Gepäck hatte sie vier interessante Beispiele von Veranstaltungsformaten, die den üblichen Vorleserahmen erweitern und realistisch bei Kosten und Umsetzung sind:

  • Lesung meets Musik: Beispiel Kurt Tallert
  • Lesung meets Performance / Infoveranstaltung: Beispiel Lisa Frischemeier
  • Lesung meets Kulinarik: Beispiel Sissi Chen
  • Lesung meets Autor zum Anfassen: Beispiel Ewald Arenz

Lebhaft diskutierten die Buchhändler:innen, an welchen Schrauben man drehen kann, und Katharina Engelhardt, die ihr Büchereck am Rathaus in Vellmar auch dank ihrer zahlreichen literarischen Veranstaltungen zu einer kulturellen Institution in der Region gemacht hat, berichtete von negativen Erfahrungen, wo bestimmte Parameter im Vorfeld einfach nicht gut zusammenpassten: "Dann muss ich schon ganz schön trommeln, um meine gewohnte Zahl von 100 Zuhörerinnen zusammenzukriegen." Spannend zu hören auch ein Beitrag von Marie Kapretz, Delegierte der Regionalregierung von Katalonien in Deutschland, die über das Bücherfest Sant Jordi erzählte. Am 23. April dieses Jahres wurden in Katalonien 1,98 Millionen Bücher verkauft, der Umsatz steigerte sich um 6 % auf stolze 25,4 Millionen Euro.