Thomas Mahr über die Preisverleihung

"Doch eine Reise wert"

11. September 2024
Thomas Mahr

Die Buchhandlung Mahr aus dem schwäbischen Langenau wurde in diesem Jahr zum sechsten Mal mit dem Deutschen Buchhandlungspreis in Frankfurt an der Oder ausgezeichnet. Thomas und Angelika Mahr sind extra einige Tage früher angereist, um sich die Stadt anzusehen. Hier schildert Thomas Mahr seine Eindrücke von der Preisverleihung und der Stadt.

Angelika und Thomas Mahr bei der Preisverleihung des Deutschen Buchhandlungspreises. 

Eine Tagesreise mit der Bahn, ganz ohne Beeinträchtigung und pünktlich vom Süden Deutschlands nach Frankfurt an der Oder zur Verleihung des zehnten Deutschen Buchhandlungspreises, war eine Freude und die außergewöhnliche Entdeckung einer Stadt, die um ihre Zukunft bangt. Nominiert für den Preis, deshalb Anreise – Ehrensache.

Für uns Schwaben war diese Region an der Oder ohnehin "Terra incognita", so machten wir uns, dank Neugierde, bereits zwei Tage vorher auf die Reise. Nach gespannter Erwartung machte sich schnell Ernüchterung breit. Mehrspurige Fahrstraßen, wahre Autorennstrecken zerschneiden die Stadt und verhindern das Flanieren – für passionierte Fußgänger ein Alptraum. Der gerade zu neuem Leben erwachende Park des Gartenarchitekten Peter Joseph Lenné endet an einer stark befahrenen Magistrale, die es halsbrecherisch zu überqueren gilt, um auf der anderen Seite wieder historische Grünanlage genießen zu können. Ein Naturwunder ist die Oderinsel Ziegenwerder und ökologisch sicherlich der größte Schatz der Stadt. Weiter geht es am Ufer entlang, um zur Brücke und zum gegenüberliegenden polnischen Stadt Slubice zu kommen. Auf beiden Ufern der Oder lädt leider kein Café zum Verweilen ein, auch kein alter Kahn am Ufer lockt mit Erfrischungsgetränken, so ist der Fußweg bis zum berühmten Polenmarkt ein sehr langer.

Eindrücke von Thomas und Angelika Mahr aus Frankfurt/Oder.

Am nächsten Tag ging es zur Preisverleihung ins Kleistforum. Nun bereits zum sechsten Mal ausgezeichnet, sind wir weniger nervös und zufrieden mit der dritten Preiskategorie ausgezeichnet zu werden. Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die am Vortag das renovierte Kleistmuseum einweihte, flocht den großen Dichter und Sohn der Stadt natürlich in ihre Festrede ein. Doch sehr schnell kam sie auf den Buchhandel zu sprechen, der ein Garant für das freie Wort sei und deren Veranstaltungen ein wichtiger Beitrag zur Debattenkultur in unserem Land ist. Roth verschloss aber auch nicht die Augen vor den wirtschaftlichen Problemen unter denen die Branche leidet.  Dies bemerkte auch der Buchhändler Dieter Dausien, der vor der Bekanntgabe der Bestplatzierten auch auf die schwierige Situation des Buchhandels hinwies, aber gleichzeitig die Kollegen und Kolleginnen aufforderte, mehr Selbstbewusstsein zu zeigen, denn der Buchhandel leiste unersetzliche Bildungsarbeit. Die Ministerin hat neben den Worten auch die Musik aus Berlin mitgebracht. Eine junge Musikertruppe namens Operndolmus, die in Berlin in die Kieze geht, hat mit ihrer Interpretation von Carmen oder dem Figaro für die Leichtigkeit und Beschwingtheit der Preisverleihung gesorgt. Der Festakt endete am frühen Nachmittag am Buffet bei vielen angeregten Gesprächen.

Thomas und Angelika Mahr von der Buchhandlung Mahr in Langenau bei ihrer sechsten Auszeichnung mit dem Deutschen Buchhandlungspreises durch Kulturministerin Claudia Roth.

Was dann folgte, war unsere wunderbare Versöhnung mit der Stadt. Nach der Preisverleihung hörten wir beim Flanieren wunderbare Musik und erfreuten uns am "Tag der offenen Tür" an der Musik in der Konzerthalle. Das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt spielt mit jungen polnischen und deutschen Solisten die "Finlandia" von Jan Sibelius und anschließend mit der Singakademie den Gefangenenchor "Nabucco" von Verdi. Welch ein Abschluss des Wochenendes, doch noch wartete der Besuch der Gedenkstätte "Opfer politischer Gewaltherrschaft" auf uns. Die Öffnungszeit war längst überschritten, trotzdem lud uns der Leiter der Gedenkstätte Karl-Konrad Tschäpe zu einer Führung ein. In kürzester Zeit bekamen wir ein völlig neues Verständnis für die Frankfurt/Oder. Er schilderte so eindringlich die Situation der Stadt im Jahr 1945. Am Ende des Krieges gab es hier die einzige Brücke über die Oder für Flüchtlinge aus deutschen Ostgebieten und die zurückkehrenden Zwangsarbeiter aus Polen und Russland, die die Stadt verwüsteten. Viele Gebäude brannten nieder. Die Einwohner der Stadt waren geflohen und bei ihrer Rückkehr waren die Häuser zerstört oder von fremden Menschen besetzt. Ausgebrannt oder geplündert, kein leichter Start für die Zukunft. Nach der Wende zählt Frankfurt an der Oder wieder zu den Verlierern und leidet unter Bevölkerungsschwund durch den Wegzug der Jugend. Eine Stunde Gespräch verging wie im Flug und durch die profunden Erläuterungen versöhnten wir uns mit der Stadt, mit der Erkenntnis des Historikers, dass Bildung der Schlüssel zum Verständnis der Geschichte und zum Gelingen der Demokratie ist. So sind wir wieder bei den Büchern und unserer Aufgabe als Buchhändler angelangt.