Deutscher Buchhandlungspreis 2024

"Feiert Euch" - dann tun es auch andere!

9. September 2024
von Nils Kahlefendt

In der Kleist-Stadt Frankfurt an der Oder verlieh Kulturstaatsministerin Claudia Roth den zehnten Deutschen Buchhandlungspreis. Der Festakt geriet zum Lagerfeuer der Branche, an dem man sich in deutlich kühleren Zeiten wärmt. Bemerkenswerte Reden setzten Schlaglichter auf die wunden Punkte der Branche.

Vertreter:innen der "besten Buchhandlung" beim Deutschen Buchhandlungspreis 2024 auf der Bühne mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth

Vertreter:innen der "besten Buchhandlungen" auf der Bühne mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth

Abenteuer Anreise

Die meisten Sortimenterinnen und Sortimenter werden an Schnitzel mit grie Soß’ und Ebbelwoi gedacht haben, als ihnen Juror und Verlagsvertreter Christian Geschke auf seiner Sommerreise zuzwinkerte, dass man sich in Sachen Buchhandlungspreis bald auf „die Fahrt nach Frankfurt“ machen könne. Was viele nicht ahnten, stellte der Verlagsvertreter für die Koop Konterbande nun mit Hilfe der guten, alten „Mundorgel“ richtig: „Weil Frankfurt so groß ist / drum teilt man es ein / in Frankfurt an der Oder / und Frankfurt am Main.“ Wer es am Sonntag in den großen Saal des Kleist-Forums im kleineren und sehr östlich gelegenen Frankfurt geschafft hatte, der nach Kulturstaatsministerin Claudia Roth vielleicht „europäischsten Stadt in Deutschland“, konnte häufig von einer mittleren Abenteuer-Reise berichten – Bahn-Chaos am Samstag wegen einer IT-Störung im Rhein-Main-Gebiet, die Verbindung von Berlin musste wegen Bauarbeiten mit der S-Bahn bis Erkner, dann per Regionalexpress zurückgelegt werden. Viele der Streiterinnen und Streiter fürs Kulturgut Buch machten aus der Not eine Tugend (vgl. dazu unsere Bilderstrecke) und aus der Branchenfamilienfeier ein touristisches Entdecker-Wochenende – egal, ob sie Berlin weiträumig umfuhren und durch unentdeckte Weiten der ostdeutschen Provinz zuckelten, wie Dirk Sackis (Kronberger Bücherstube), das Kleist-Museum besuchten wie Raimund Müller und Mechthild Gallwas (Jacobi & Müller, Halle/Saale) oder gleich mit dem Bulli aus Schleswig-Holstein anreisten wie Jutta Goullon (Bücherstube Flintbek).

Literaturgeschichte und -gegenwart

Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte am Morgen des buchhändlerischen Hochamts im Kleist-Forum schon einen Termin hinter sich; sie hatte in Kleists Geburtststadt das Kleist-Museum besucht, das seit 2021 bei laufendem Betrieb saniert wurde und nun mit frischer Fassade strahlt. Deshalb zog sich der 1777 geborene berühmteste Sohn der Stadt auch durch ihre Rede, bevor Roth den Buchhändlerinnen und Buchhändler der Republik einen Kranz flocht: „Sie können uns zu Leseerfahrungen verhelfen, von denen wir nicht mal geträumt haben“, zeigte sich die Ministerin begeistert, und beschrieb Sortimenterinnen und Sortimenter als natürliche Verbündete und Garanten des freien Wortes: „Insbesondere mit ihren Lesungen und literarischen Veranstaltungen verhelfen sie der demokratischen Debatte zu dem, was sie ausmacht: zu Rede und Gegenrede, zu Widerspruch und Diskussion. Sie laden uns ein zum Gespräch. All das ist wichtiger denn je!“ Roth verschwieg aber auch nicht die Probleme, vor denen die Branche steht: Politik könne diese nicht beseitigen, aber für gedeihliche Rahmenbedingungen sorgen. Ihr Bekenntnis zur Preisbindung wurde mit Beifall aufgenommen.

Insbesondere mit ihren Lesungen und literarischen Veranstaltungen verhelfen sie der demokratischen Debatte zu dem, was sie ausmacht: zu Rede und Gegenrede, zu Widerspruch und Diskussion. Sie laden uns ein zum Gespräch. All das ist wichtiger denn je!

Claudia Roth, Kulturstaatsministerin

Kulturstaatsministerin Claudia Roth im rbb-Interview

Entwaffnende Klarheit

Die Auszeichnung von hundert Firmen in der Kategorie „Hervorragende Buchhandlungen“, logistisch in einer Art Massenhochzeit zu Susa organisiert, geriet zum Härtetest allenfalls für den Moderator – das blendend gelaunte Auditorium klatschte einfach eine Viertelstunde durch und jubelte den in der Mehrzahl angereisten Kollegen im Saal begeistert zu. Vor die mit Spannung erwartete Verkündung der Gold- und Silber-Kategorien hatte die geschickte Dramaturgie Dieter Dausien gesetzt, der sich mit seinem Buchladen am Freiheitsplatz in Hanau seit 2015 jedes Jahr für den Preis beworben hatte, jedoch erst letztes Jahr in Stuttgart Gold abräumte. Die Rede eines Buchhändlers, der schon gar nicht mehr mit dem Spitzenpreis gerechnet hatte („Das kann doch nicht sein!“) war in ihrer Authentizität und entwaffnenden Klarheit bemerkenswert, weil sie nichts aussparte – beginnend mit den Erkenntnissen beim Ausfüllen eines Bewertungsbogens: „Eigentlich machen wir ja nur unseren Job. Aber erst jetzt sieht man, wie komplex das Gesamtkunstwerk Buchhandlung ist. Wir reißen uns den Hintern auf für unsere Läden, für verdammt wenig Kohle – wenn es denn gut geht.“ Eigentlich machen Buchhändlerinnen und Buchhändler wie Dausien und seine Truppe in Hanau das, wofür sie brennen.

Eigentlich machen wir ja nur unseren Job. Aber erst jetzt sieht man, wie komplex das Gesamtkunstwerk Buchhandlung ist. Wir reißen uns den Hintern auf für unsere Läden, für verdammt wenig Kohle – wenn es denn gut geht.

Dieter Dausien, Buchladen am Freiheitsplatz, Hanau

Doch funktionieren kann so etwas nur unter tragbaren wirtschaftlichen Verhältnissen. Folge man aber dem Kölner Betriebsvergleich, seien die Bedingungen für Firmen wie die Hanauer eher beschämend: „3000 Euro pro Vollzeitstelle erschwert die Personalfindung und eine sinnvolle Nachfolgeregelung gleichermaßen.“ Nötig, so Dausien, sei dreierlei:

  • Erstens Verlage, die Preise festsetzen, die allen Branchenteilnehmern auskömmliches Wirtschaften erlauben (wobei nicht lediglich Verkaufspreise, sondern ausdrücklich Konditionen mit gemeint waren).
  • Zweitens Buchhandlungen, die auch wirtschaftlich fokussiert sind („Behaltet eure Zahlen im Blick!“).
  • Und drittens, natürlich, staatliche Förderung – wobei nicht nur die 7.000, 15.000 und 25.000 Euro gemeint sind, sondern auch die öffentliche Anerkennung, vor Ort oft ein „Türöffner für mehr Wahrnehmung“.

In Richtung Kulturstaatsministerin plädierte Dausien dabei für „mehr Gießkanne statt Leuchtturm“ in Form eines breiter definierten Punktesystems, etwas, was man so auch nicht oft hört. Der Hanauer dachte dabei vor allem an die Frustration erfolgloser Bewerber, die sich eigentlich – auch auf diesen Seiten – nach jeder Runde des Preises breitmacht. „So viele machen so tolle Arbeit – es tut mir um alle leid, die es heuer nicht geschafft haben.“ Das Fazit: „Nutzt den Preis für eure Läden. Nicht nur das Geld, auch die lokale Reputation. Feiert mit euren Kundinnen, im Laden, auf Social Media. Macht ein Sonderfenster. Ladet die Lokalpresse, das Stadtmarketing und die Oberbürgermeisterin ein. Und vor allem: Feiert euch selbst!“  

Preise wie der Deutsche Buchhandlungspreis oder der Deutsche Verlagspreis muten angesichts der strukturellen Herausforderungen der Branche wie der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein an. Und: Viele der Schöpfe im Auditorium sind grau bis weiß; spätestens, wenn die Boomer-Generation die Ladentür abschließt, wird es eng. Nach zehn Jahren zähem Ringen um eine Strukturförderung gibt es Verleger wie der auch in Frankfurt anwesende Thedel von Wallmoden, die den Durchbruch in einer Absenkung des Mehrwertsteuersatzes für Bücher auf null bei gleichzeitigem Vorsteuerabzug sehen. „Das wäre ein durchschlagender Erfolg, eine wirkliche Kulturförderung. Auch wenn davon nicht nur die hier Ausgezeichneten, sondern auch die Branchen-Krösusse profitieren würden.“ Bei neun Milliarden Euro Branchenumsatz würde ein solches Vorgehen Vater Staat eine runde Milliarde kosten, schätzt von Wallmoden. Ein Wumms, den sich ein am Steh-Buffet spontan vom Börsenblatt befragter Grünen-Politiker derzeit eher nicht vorstellen kann. 

Mein Vater pflegte zu sagen, dass Buchhändlerin und Buchhändler erst heiraten können, wenn die Kinder mitverdienen. Dank an alle Lebenspartner:innen, die uns zur Seite stehen, wenn wir im Morgengrauen aufgebrochen sind, um der nächsten Schulklasse den Laden aufzuschließen.

Katrin Rüger, Buchpalast, München

Katrin Rüger

Inzwischen müssen es die tollkühnen Damen und Herren Sortimenter schon selbst richten – auch wenn die mit 25.000 Euro verbundene Auszeichnung als „Beste Buchhandlung“ für gehörig Rückenwind sorgt. Über den dicken Scheck freute sich heuer etwa Holger Schwab vom buchLaden 46 in Bonn – ein „kleiner kultureller Kosmos“, in dem Schwab 1979 als studentische Aushilfe begann, und der 2025 seinen 50. Geburtstag feiert. Es freute sich das Team um Sandra Kretzschmar von der Robert Philipp Buchhandlung im sächsischen Kamenz, das in Zeiten von Leserschwund und Kaufzurückhaltung einfach einen vom Verschwinden bedrohten weiteren Buchladen samt Belegschaft übernommen hat. Und es freute sich Katrin Rüger vom Münchner Buchpalast, deren flammende, ironisch gesprenkelte Dankesrede mindestens Oscar-reif war (deshalb auch unbedingt das Video ansehen …): „Mein Vater pflegte zu sagen, dass Buchhändlerin und Buchhändler erst heiraten können, wenn die Kinder mitverdienen. Danke, dass ihr uns zur Seite steht!“ Einen tollen Vorschlag hatte die Münchnerin auch gleich dabei: „Ich möchte uns alle ermutigen, jedes Jahr einem kleinen, unabhängigen Verlag, den wir noch nicht im Sortiment führen, Raum und Zeit zu schenken. Lasst uns nicht müde werden, den Ideenreichtum und die Kraft der Independents voranzubringen.“ Und außerdem gute digitale Erweiterungen zu nutzen, wie die Buchpicker-App, die Empfehlungen von unabhängigen Sortimenten bündelt. 

Das alles und noch viel mehr, so zitierte Juror Geschke den Ton Steine Scherben-Frontmann Rio Reiser, ist unbedingt und in hohen Graden auszeichnungswürdig. An dieser Stelle hob Claudia Roth am Bühnenrand die Faust. Ein Zeichen?