Interview mit Medizinethikerin | ANZEIGE

Beim Sterben helfen – dürfen wir das?

24. November 2020
Redaktion Börsenblatt

Gehört es zu einer liberalen Gesellschaft und einer humanen modernen Medizin, dass Menschen aktiv aus dem Leben scheiden und sich dabei helfen lassen dürfen? Oder ist Sterbehilfe unvereinbar mit dem ärztlichen Ethos? Bettina Schöne-Seifert, Universitätsprofessorin für Medizinethik in Münster, ist seit vielen Jahren an den ethischen und biopolitischen Debatten zur Sterbehilfe beteiligt und verteidigt in ihrem Buch „Beim Sterben helfen – dürfen wir das?“ entschieden eine liberale Position zur Suizidhilfe. Der Titel gehört in die neue Reihe #philosophieorientiert des Verlags J.B. Metzler.

Warum ist es so wichtig, dass wir uns mit den Themen Sterbe- und insbesondere  Suizidhilfe beschäftigen?

Aktuell in der Corona-Krise steht medizinethisch ja eher das gegenteilige Thema, also das Lebenretten, an erster Stelle. Aber auch jetzt gibt es Menschen, die ihr Leben beenden möchten, künftig wohl auch in zunehmender Zahl. Das sind etwa Menschen, die an unheilbaren Krankheiten leiden, am Fortschreiten einer Demenz oder an massiver Hinfälligkeit im Alter. Diese Menschen dürfen nach geltendem Recht und weit geteilten ethischen Vorstellungen auf lebenserhaltende Therapien verzichten. Ob sie sich aber selbst töten und dabei unterstützen lassen dürfen, wird seit langem sehr kontrovers diskutiert. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 gibt es einen geklärten verfassungsrechtlichen Spielraum für selbstbestimmte Suizide, die von anderen unterstützt werden dürfen, solange alle Betroffenen „freiverantwortlich“ handeln. Aber ist das auch ethisch zulässig? Um diese Frage geht es in meinem Buch – und damit sollten wir uns individuell wie gesellschaftlich beschäftigen.

Suizidhilfe ist also rechtlich erlaubt, solange alle Beteiligten „frei verantwortlich“ handeln. Was heißt das genau?

Das heißt, dass alle Beteiligten informiert, urteilsfähig und wohlüberlegt handeln – diese Voraussetzung ist bei Suizidenten in knapp 10% aller Versuche gegeben. Menschen mit psychischer Erkrankung oder in akuten Lebenskrisen ist das wohlüberlegte Abwägen  hingegen oft nicht möglich. Über diese Fälle sprechen wir hier aber nicht. Es geht um Patienten, die meist wegen somatischer Erkrankungen sterben möchten oder einer Demenz zuvorkommen wollen.

Wie ist Ihre Haltung zu solchen Suiziden?

Mein Buch ist ein Plädoyer für deren Zulässigkeit, auf dem Boden der besten philosophischen Argumente und unter Zurückweisung von Einwänden, die häufig wortmächtig, dogmatisch und spekulativ daherkommen. Es gibt wohl noch immer die subtile Unterstellung, dass es ethisch inakzeptabel sei, Hand an sich zu legen – auch wenn dieser Entschluss informiert, urteilsfähig und wohlüberlegt getroffen wird. Dahinter steht vermutlich eine aus unserer Geschichte, unserer Religion und anderen ethischen Zusammenhängen stammende verallgemeinerte Ablehnung von Suizid. Aber die Zeiten haben sich geändert. Nicht zuletzt durch die moderne Medizin erreichen viele Menschen ein hohes Alter und überstehen schwere Krankheiten, leben dann aber in Zuständen, in denen sie nicht leben möchten. Da lassen sich Verurteilungen von Suiziden nicht halten.

Suizidhilfe ist Ihrer Ansicht nach unter diesen Voraussetzungen also ethisch zulässig?

Meiner Ansicht nach ja. Ich wünschte, dass wir als humane Gesellschaft den Suizid als ethisch ehrbare Option begreifen. Dabei müssen wir aber natürlich auch die Gefahr eines subtilen ‚Nutzungsdrucks‘ sehen: Alten, Schwachen und Kranken darf niemals nahegelegt werden, sich zu verabschieden. Das heißt, dass wir im selben Atemzug mit der geforderten Toleranz gegenüber Suiziden gesellschaftlich immer auch daran arbeiten müssen, das Altern lebenswert und das natürliche Sterben erträglich zu machen. Diejenigen, die ihr Leben nicht verkürzen möchten, werden übrigens wohl immer die große Mehrheit bleiben.

Was heißt das genau: das Altern lebenswert und das Sterben gut erträglich machen?

Nun, ich bin, wie wohl jeder in dieser Debatte, eine vehemente Befürworterin der Palliativ­medizin. Wir müssen als Gesellschaft dafür Sorge tragen, dass alle Schwerstkranken und Sterbenden zuverlässig unter würdigen Umständen betreut werden können. Wichtig ist dabei auch, dass Angehörige nicht unzumutbar belastet werden. Wir müssen so gut es geht dafür sorgen, dass die Lebensqualität von schwerkranken oder dementen Menschen subjektiv gut ist. Und wir müssen gleichzeitig akzeptieren, wenn jemand sich freiverantwortlich entscheidet, sein Leben zu beenden. Diese Entscheidung sollte keinen Makel-Stempel erhalten und  auch bei den Angehörigen keine Schuldgefühle hinterlassen.

Ist der Tod noch immer ein Tabuthema in unserer Gesellschaft?

Das hat sich in den letzten Jahren sehr geändert, gerade auch in der Auseinandersetzung mit dem Thema Sterbehilfe und der Palliativmedizin. Die wenigsten Menschen müssen heute beim Sterben noch Schmerzen aushalten. Und es ist ja auch völlig in Ordnung, den Tod zumeist zu verdrängen und nicht jeden Tag daran zu denken, dass wir sterben werden. Als Gesellschaft sollten wir aber sehen und akzeptieren, dass es – wie im Leben so auch im Sterben – unterschiedliche Vorstellungen von Würde und Richtigkeit gibt. Und wir müssen es einander erlauben, dies zu äußern und danach zu handeln. Man hat das unveräußerliche Recht, aber gewiss keine Pflicht zu leben. 

 

Bettina Schöne-Seifert ist Universitätsprofessorin für Medizinethik in Münster. Sie hat einen fachlichen Hintergrund in Medizin und Philosophie und ist seit vielen Jahren an den ethischen und biopolitischen Debatten zur Sterbehilfe beteiligt.

www.metzlerverlag.de