Suizidhilfe ist Ihrer Ansicht nach unter diesen Voraussetzungen also ethisch zulässig?
Meiner Ansicht nach ja. Ich wünschte, dass wir als humane Gesellschaft den Suizid als ethisch ehrbare Option begreifen. Dabei müssen wir aber natürlich auch die Gefahr eines subtilen ‚Nutzungsdrucks‘ sehen: Alten, Schwachen und Kranken darf niemals nahegelegt werden, sich zu verabschieden. Das heißt, dass wir im selben Atemzug mit der geforderten Toleranz gegenüber Suiziden gesellschaftlich immer auch daran arbeiten müssen, das Altern lebenswert und das natürliche Sterben erträglich zu machen. Diejenigen, die ihr Leben nicht verkürzen möchten, werden übrigens wohl immer die große Mehrheit bleiben.
Was heißt das genau: das Altern lebenswert und das Sterben gut erträglich machen?
Nun, ich bin, wie wohl jeder in dieser Debatte, eine vehemente Befürworterin der Palliativmedizin. Wir müssen als Gesellschaft dafür Sorge tragen, dass alle Schwerstkranken und Sterbenden zuverlässig unter würdigen Umständen betreut werden können. Wichtig ist dabei auch, dass Angehörige nicht unzumutbar belastet werden. Wir müssen so gut es geht dafür sorgen, dass die Lebensqualität von schwerkranken oder dementen Menschen subjektiv gut ist. Und wir müssen gleichzeitig akzeptieren, wenn jemand sich freiverantwortlich entscheidet, sein Leben zu beenden. Diese Entscheidung sollte keinen Makel-Stempel erhalten und auch bei den Angehörigen keine Schuldgefühle hinterlassen.
Ist der Tod noch immer ein Tabuthema in unserer Gesellschaft?
Das hat sich in den letzten Jahren sehr geändert, gerade auch in der Auseinandersetzung mit dem Thema Sterbehilfe und der Palliativmedizin. Die wenigsten Menschen müssen heute beim Sterben noch Schmerzen aushalten. Und es ist ja auch völlig in Ordnung, den Tod zumeist zu verdrängen und nicht jeden Tag daran zu denken, dass wir sterben werden. Als Gesellschaft sollten wir aber sehen und akzeptieren, dass es – wie im Leben so auch im Sterben – unterschiedliche Vorstellungen von Würde und Richtigkeit gibt. Und wir müssen es einander erlauben, dies zu äußern und danach zu handeln. Man hat das unveräußerliche Recht, aber gewiss keine Pflicht zu leben.
Bettina Schöne-Seifert ist Universitätsprofessorin für Medizinethik in Münster. Sie hat einen fachlichen Hintergrund in Medizin und Philosophie und ist seit vielen Jahren an den ethischen und biopolitischen Debatten zur Sterbehilfe beteiligt.
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