Das, meine Damen und Herren, ist ein Verlust an Haltung, dieses Relativieren unserer Werte: Und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist das Gift, das unsere Gesellschaft gerade zu zersetzen beginnt, das ist das Gift, das unsere Gesellschaft aushöhlt und Raum schafft für extreme politische Ansichten, das ist das Gift, das neue Werte wie Gier, Rücksichtslosigkeit, Egoismus und Narzissmus schafft.
Das Vertreten unserer Werte, der Menschenrechte, die eine freie vielfältige Gesellschaft erst ermöglichen, in der wir in der Tat in Freiheit und Wohlstand leben können, sollte auf politischer Ebene viel deutlicher und mit klarer Konsequenz geschehen, auch wenn wir dadurch einige ökonomische Nachteile in Kauf nehmen müssen. Dies sind wir letztendlich den geknechteten Menschen, wie Gui Minhai aber auch uns selbst schuldig.
Wir profitieren von unseren Vorfahren, die diese Menschenrechte erkämpft haben.
Und, meine Damen und Herren, es gibt auch eine Schuld durch Unterlassung. Wir sollten nicht zu Mittätern werden. Das, meine Damen und Herren, ist die Stunde der Zivilgesellschaft, das ist unsere Stunde.
Wie Johann Philipp Palm zwei Jahrhunderte vor ihm, ist auch Gui Minhai das Opfer eines um sich greifenden, diktatorischen Regimes geworden, das keinen Widerspruch duldet. Gui Minhai sollte uns allen mit seinem Mut und seinem Eintreten für Demokratie und Meinungsfreiheit ein Vorbild sein. Haben auch wir den Mut, gegenüber China und den vielen weiteren menschenverachtenden Regimen auf dieser Welt ein elementares Menschenrecht wie die Meinungsfreiheit wirkungsvoll zu vertreten und es nicht in Abwägung wirtschaftlicher Vorteile zu verraten.
Deshalb ist diese Preisverleihung ein Ruf, ja ein Schrei nach Freiheit, nach Menschenrechten und eine unmissverständliche Forderung an China: Lassen Sie Gui Minhai und die vielen Anderen, die von ihren Menschenrechten Gebrauch gemacht haben, sofort frei.
Gui Minhai ist ein würdiger Preisträger. Ich verneige mich vor seinem Mut und seiner Überzeugung. Zum Schluss möchte ich aus seinem Gedicht „Der Hase und der Krieg“, übersetzt von Tienchi Martin-Liao, zitieren:
Die Rakete zielt auf einen Vogel
Das Kriegsschiff trifft einen Fisch im Fluss
Auf einer Seite Soldaten mit Waffen
Auf der anderen Bücher über Skandale.
Später hört man, der Grund sei,
Die Kriegsmaschine fühlte sich durch die Skandale bedroht.
Wenn ein automatisches Gewehr auf einen Stift schießt
Wird die Geschichte zerfetzt.
Von Kugeln getroffene Sprache wird zu gebrochenem Schilf
Blutige Sätze schwimmen auf dem Fluss