"Zu dem Deportationstransport Nr. 40, der am 3. November 1942 meine Eltern von Drancy nach Auschwitz brachte, gehörten 468 Männer, 514 Frauen und 18 Personen, deren Geschlecht nicht angegeben war, insgesamt 1000 Juden, unter denen sich 200 Kinder befanden. Der Transport traf am 6. November in Auschwitz ein. Von denen, die die Reise überlebt hatten, wurden 639 gleich nach ihrer Ankunft vergast. Keine der Frauen und nur vier der Männer waren bei Kriegsende noch am Leben. Auf den Lagerlisten ist als Todesdatum meines Vaters der 1. Dezember 1942 angegeben. Der Name meiner Mutter wird nicht genannt; das Datum und die Umstände ihres Todes sind unbekannt."
Es sind ungewöhnliche Worte, die die Gäste bei der Friedenspreisverleihung 2007 zu hören bekommen. Statt eine Rede auf Grundlage seiner historischen Forschung zu halten, entscheidet sich der am 11. Oktober 1932 in Prag geborene Preisträger, die letzten Briefe seiner Eltern und einiger Verwandter vorzulesen, bevor sie in den Gaskammern der Nazis ermordet wurden.
"Meine Ansprache verlangte eine Stellungnahme zur Shoah, die bedeutsam zu sein hatte und öffentlichen Widerhall finden sollte", schreibt er über diese Entscheidung, mit der ihm zudem etwas Außergewöhnliches gelingt: Die Zuhörenden sind betroffen und spüren, anstatt sich angeklagt zu fühlen, eine tiefe Verbundenheit mit ihm und seiner Familie.
Dabei sollte es bei Friedländer, der in einem katholischen Kloster überlebt hat, noch Jahre dauern, bevor er seine Erinnerungen an die Kindheit und den Verlust der Eltern aufschreiben kann. Doch nach der Suche nach dem Ort, an dem 1942 der Fluchtversuch seiner Eltern scheitert, entschließt er sich zu diesem Schritt (Wenn die Erinnerung kommt, C.H. Beck 1979). "Ich hatte die Geschichte der Shoah zum Gegenstand meiner Forschung gemacht", schreibt Friedländer im zweiten Band seiner Erinnerungen (Wohin die Erinnerung führt, C.H. Beck 2016), "diese 'unbeteiligte' Beschäftigung mit dem kollektiven Schicksal war wahrscheinlich für mich ein Weg geworden, eine allzu große Nähe zu meinen persönlichen Erinnerungen zu vermeiden."