Die sichtbare und die unsichtbare KI
Ein durchgängiges Stichwort der Böv-Fokustage war die Künstliche Intelligenz - in all ihren Facetten. Zugleich ein Thema, das alle drei IGen Digital, Nachhaltigkeit und Ratgeber beschäftigte. Eine Einordnung.
Ein durchgängiges Stichwort der Böv-Fokustage war die Künstliche Intelligenz - in all ihren Facetten. Zugleich ein Thema, das alle drei IGen Digital, Nachhaltigkeit und Ratgeber beschäftigte. Eine Einordnung.
Wo sie in einigen Jahren beim Thema KI stehen, wollte Moderator Hermann Eckel von den Teilnehmer:innen des Panels Verlagssoftware und KI wissen. Rainer Heckmann vom Softwareunternehmen Grün meinte: „Die KI wird unsichtbar werden. In fünf Jahren redet keiner mehr darüber.“ Ähnlich Michael Griesinger von Pondus: „KI wird in den Prozessen nicht mehr bemerkt.“ Wichtig sei aber, dass der Mensch bei kritischen Entscheidungen immer noch das letzte Wort habe. Insoweit müsse der Einsatz von KI transparent bleiben. Carsten Schwab (Edupartner) ist überzeugt, dass „Agieren ohne KI-gestützte Technologien nicht mehr möglich“ sein werde. „Sie wird überall sein und aus keinem Bereich mehr wegzudenken.“ Jens Klingelhöfer wird sich künftig bei jeder Innovation fragen, „ob und wo die KI mich unterstützen kann“. Ihr Einsatz werde zur Selbstverständlichkeit.
Gleichzeitig wird es aber immer wichtiger, dass die KI in Produkten auch sichtbar wird. Dass auf dem Buch draufsteht: Hier steckt generative KI drin. Das war Thema des Podiums am zweiten Tag der Fokustage, „Was tun im Umgang mit der Content-Flut?“. Susanne Barwick, Rechtsanwältin in der Rechtsabteilung des Börsenvereins, klärte über die rechtlichen Aspekte einer Kennzeichnungspflicht für (generative) KI-Inhalte auf. Demnach sei es nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) so, dass ein Kunde, dem eine wesentliche Information im Produkt, die seine Kaufentscheidung beeinflusst, vorenthalten bliebt, dies als Täuschung auffassen könnte. Der Anbieter des Produkts verstoße in diesem Fall gegen die Regeln des lauteren Wettbewerbs. Entsprechende Transparenzpflichten regele auch der kürzlich verabschiedete AI Act der EU.
Ein großes, wenn nicht sogar existenzbedrohendes Problem für Ratgeberverlage sind die mit Hilfe von KI erstellten Me-Too-Produkte, die den Bestsellern täuschend ähnlich sind, so Monika Schlitzer vom DK-Verlag. „Hinzu kommt, dass diese Titel durch Fake-Rezensionen ein höheres Ranking erreichen als die Originale.“ Schlitzer sieht da „eine Lawine auf uns zurollen“. Amazon hat als Gegenmaßnahmen das Hochladen von Selfpublisher-Titeln pro Tag auf 30 reduziert. Die Fake-Ratgeber seien kein Geschäftsmodell von Amazon, ergänzte Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang. Der direkte Draht zur Rechtsabteilung des Online-Händlers könne im Gegenteil dazu beitragen, betroffenen Verlagen schneller zu helfen.
Anders stellt sich die KI-Problematik bei Wissenschaftsverlagen dar, wie Henning Schoenenberger von Springer Nature erläuterte. Seit 2019 experimentiere man auf verschiedenen Stufen mit maschinengenerierten Büchern. Er plädiert dafür, eine Taxonomie für KI-Anwendungen zu entwickeln, die den jeweiligen Grad der Bearbeitung spiegelt – vom einfachen „language polishing“ bis zum komplett KI-generierten Buch.
Für BoD wiederum, das Selfpublisher seit drei Jahren mit dem Tool „Write Control“ unterstützt, stehe der verantwortliche Umgang aller Beteiligten der Wertschöpfungskette mit den Möglichkeiten, sowohl im Blick auf die Autor:innen als auch im Blick auf die Handelspartner, im Vordergrund. Um das Urheberrecht zu schützen, würden alle Daten, die in das Tool einfließen, nur lokal gespeichert.
Schoenenberger gab dem Thema am Ende noch einen Dreh, der in drei bis fünf Jahren vielleicht nicht mehr überraschend klingt: Wenn die KI bei bestimmten Publikationsaufgaben besser sei als der Mensch, könne man die Kennzeichnung auch selbstbewusst und positiv für das Marketing nutzen. Okke Schlüter von der HdM Stuttgart ergänzte noch den Aspekt, dass es sehr wichtig sei, bei den Endkunden ein entsprechendes Bewusstsein für die KI-Thematik zu schaffen.
Einige Panels und Vorträge der IG Digital zeigten, wie der Einsatz von KI im Unternehmen (Verlag, Dienstleister, Softwareproduzent etc.) gelingen kann. Beispielsweise das Projekt Noa der Holtzbrinck-Tochter Chptr, das Andy Ländle vorstellte. Noa kombiniert mehrere KI-Modelle und schneidet sie auf die Bedürfnisse der Holtzbrinck-Verlage (etwa Droemer Knaur) zu. Oder auch ein Projekt, das der Softwareanbieter Grün mit dem Verlag Bergmoser & Höller realisiert hat: die KI-gestützte Klassifikation von E-Mails, die Spamnachrichten von echten Mail trennt. Für Carsten Schwab von Edupartner und Jens Klingelhöfer von Bookwire gibt es in ihren Unternehmen eine Fülle an Anwendungsfeldern. Bookwire arbeite gerade an Dynamic Pricing, das automatisierte Preiskampagnen für Audio-Inhalte ermögliche.
Wie man KI ohne zu hohe Investitionen erfolgreich im Verlag einsetzen kann, demonstrierte Carlo Günther, Geschäftsführer des PAL-Verlags (PAL steht für „Praktisch anwendbare Lebenshilfen“) in seinem Vortrag. Neben dem Herzprodukt des Verlags, dem „Lebenshilfe-Kalender“ (bisher mehr als fünf Millionen Exemplare verkauft) betreibt PAL vier Websites, einen Online-Shop, einen Podcast und die Lebenshilfe-App. Um Nutzer:innen, meist Menschen mit psychischen Bedürfnissen, auf der Website mit wichtigen Ratschlägen zu versorgen, hat man mit Hilfe der Software SiteGPT einen Chatbot (auf der Basis von ChatGPT 3.5) installiert. Ziel ist es, mit den Ergebnissen des ChatBots Kunden an den Verlag zu binden und als Käufer zu gewinnen. Die Software kostet pro Monat nur 99 Euro, allerdings, so Günther, sei die Umsetzung für die eigene Website langwierig und aufwändig gewesen. Neun Monate habe man gebraucht, um den Chatbot funktionsfähig zu machen.
Welche Kompetenzen braucht man im Umgang mit KI? Darüber diskutierten Okke Schlüter (HdM Stuttgart), Birgit Hennig (Bommersheim Consulting), Gabriel Lehmann (Haufe Akademie) und Dorothee Werner (knk) in der letzten Gesprächsrunde des zweiten Konferenztages. Die HdM bietet Studierenden Lehrveranstaltungen, in denen sie ein Semester lang systematisch das Prompten von KIs trainieren. Die Haufe Akademie hat ein White Paper zu Future Skills erstellt, in dem neben digitaler Kompetenz auch Technologiewissen, Kreativität und Kommunikationsvermögen vorausgesetzt werden. Für Birgit Hennig von Bommersheim wird im Auswahlverfahren die Frage immer wichtiger, wie Kandidaten die klassische Rolle im Verlag mit der nötigen KI-Kompetenz verknüpfen. Für Dorothee Werner von knk sind neben der Fachkompetenz auch übergeordnete Kompetenzen wie Veränderungsbereitschaft, Motivation und Perfektionswillen essentielle Skills, um bei KI-Themen voranzukommen. Okke Schlüter gab den Verlagen noch die 3-P-Regel auf den Weg mit: "Seid präsent, zeigt Euren Purpose, und zwar postwendend!" Andernfalls würden viele Absolvent:innen in die Industrie abwandern. "In der Wahrnehmung bleiben deutsche Verlage unter ihren Möglichkeiten. Sie haben ein Darstellungs- und Kommunikationsproblem."