Jahreshauptversammlung LV Nord

"Auch viele kleine Schritte sind wichtig"

23. Juni 2024
Redaktion Börsenblatt

Kultur als Wirtschaftsfaktor, Veränderungen in Innenstädten, Nachhaltigkeit und YouTube-Videos: Es gab viele unterschiedliche Themen auf der Jahreshauptversammlung des Börsenverein Landesverbands Nord in Bremen. Und der Vorstand wurde neu gewählt.

Branka Felba begrüßt die rund 60 LV Nord-Mitglieder im Bremer Presse-Club

Podiumsdiskussion (von links): LV Nord-Geschäftsführer Volker Petri, Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz, Buchhändlerin Gabriele Becker, IHK-Vizepräses Stefan Brockmann und Literaturreferatsleiterin Alexandra Tacke

"Sie als Buchhändlerinnen können durch Ihre Arbeit manchmal ein Leben verändern"

"Es lohnt sich, schon am Samstag anzureisen, um sich auszutauschen, zu netzwerken, kennenzulernen", umriss Branka Felba, Vorsitzende des Landesverbands Nords, die Vorteile einer zweitägigen Jahreshauptversammlung - die ja im Norden Tradition hat. Im Presseclub im idyllischen Schnoor-Viertel trafen sich am Samstag knapp 60 Verleger:innen, Buchhändler:innen, Barsortimenter:innen, Betriebsberater zu einer Podiumsdiskussion, die die Rolle der Kultur bei einer Stadtentwicklung im Fokus hatte. "Kultur ist eine gute Investition in die Stadt", unterstrich die Bremer Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz und danke den Buchhändler:innen: "Auch dank Ihnen sind wir im Oktober 2023 von der Unesco als City of Literature ausgezeichnet worden." Kultur behaupte immer dann einen Platz für sich, wenn sie die Menschen erreicht – "es ist durchaus wichtig, dass man Avantgarde entwickelt, ja, aber man muss auch die Breite und damit eine Vielzahl von Menschen erreichen und darf nicht abgehoben agieren."

Diese Vielfalt nahm dann Alexandra Tacke näher in den Blick. "Ich war richtig geflasht, alks ich nach Bremen kam und gesehen habe, wie viele Menschen sich hier für literarische Projekte engagieren", so die Leiterin des Referats 12 für Literatur, Bibliotheken, Bildende Kunst und Regional- und Minderheitensprachen. Vom ältesten Krimifestival Deutschlands über Poetry Slam bis zum neu gestarteten Kinder- und Jugendbuchfestival gebe es vor Ort sehr viel Potenzial. Wegen seiner vielen kulturellen Aktivitäten und Initiativen wie dem Stadtmusikanten- und Literaturhaus, den LauschOrten, den Bremer Sprachmusikanten, dem digitalen Literaturmagazin Bremen, der lebhaften Festival- und Theaterlandschaft, dem renommierten Bremer Literaturpreis und den vielfältigen Buchhandlungen sei der Hansestadt der Titel "Stadt der Literatur" verliehen worden. Nur noch eine Stadt in Deutschland ist ebenfalls Unesco "City of Literature", nämlich Heidelberg: "mit ihr werden wir jetzt in engen Austausch treten", sagte Tacke. "Sie als Buchhändlerinnen können durch Ihre Arbeit manchmal ein Leben verändern, indem Sie etwa bei einem Kind mit einem bestimmten Buch plötzlich Welten und Horizonte eröffnen – das habe ich immer wieder erfahren", ergänzte Staatsrätin Emigholz, die seit 2007 im Amt und damit eine der dienstältesten Landesminister für Kultur in der Bundesrepublik ist.

Mitglieder beim Literarischen Stadtspaziergang in Bremen

"Wir brauchen Anlässe für Menschen, damit sie in die Innenstädte kommen"

Ein weiterer Baustein zu dieser Vielfalt ist das von der Kulturbehörde finanzierte Festival "Bremen liest". Buchhändlerin Gabriele Becker, Inhaberin von Buchstäblich in Lilienthal und des Wellenschlag Text- und Verlagskontors in Bremen, erläuterte, dass 18 bis 20 Buchhandlungen und Bibliotheken mitmachen: "Es soll niedrigschwellig sein, wir wollen viele erreichen und nehmen auch keinen Eintritt". Ob wohl es ohne Eintrittstickets eigentlich kaum noch zu stemmen sei. Buchhändler aber seien geübt im Vernetzen; "Buchhandlungen sind prädestiniert dafür, dass sie auch mit anderen Läden kooperieren; von Bücher und Schmuck bis Bücher und Blumen gibt es sehr viele Kombinationsmöglichkeiten." Wie Kultur der Verödung der Innenstädte entgegenwirken könne und ob er eine Krise der Innenstädte sehe, wollte LV Nord-Geschäftsführer Volker Petri, der die Podiumsrunde moderierte, von Stefan Brockmann wissen. "Der Einzelhandel ist nicht mehr der alleinige Treiber für die Kundenfrequenz in den Innenstädten", zog der Vizepräses der IHK Bremen Bilanz, "aber  Kombinatonen wie die eben genannten haben Chancen." Interessant sei, das in Umfragen Auswärtige der Innenstadt in puncto Attraktivität viel bessere Noten gäben als die Einheimischen, die eher die Kritikpunkte in den Vordergrund stellten: "Es muss uns besser gelingen, die positiven Dinge auch wertzuschätzen und posotiv zu betrachten", erklärte Brockmann. Innenstädte würden nicht mehr die Grundversorgung wie Zahnpasta leisten können, "also die klassischen Versorgungskäufe – aber überall, wo es Beratung gibt, werden sich Läden halten. Wenn die Versorgungskäufe keine große Rolle mehr spielen, brauchen wir andere Anlässe für Menschen, damit sie in die Innenstädte kommen – und kulturelle Veranstaltungen sind gute Anlässe." Gabriele Becker begrüßte, dass die Universität in die Stadt komme: "Damit kommen auch ganz andere Gruppen." Eine interessante Aussage übrigens von IHK-Vizepräses Brockmann: "Das klassische Bücherregal ist tot – die Sitzmöbel hingegen werden intensiv genutzt"; ein Grund, warum Brockmann als Geschäftsführer mit der Bremer Filiale von BoConcept in die Innenstadt gezogen ist, letztlich mit einem Wohlfühlkonzept.

Wiedergewählt: LV Nord-Vorsitzende Branka Felba

"Die Branche ist nur so stark wie ihre einzelnen Mitglieder, die sich einbringen"

"Wir haben in unserem Landesverband erfreulich viele Mitglieder, die mitmischen, das ist heute nicht selbstverständlich", begrüße LV Nord-Vorsitzende Branka Felba nach einem großen literarischen Spaziergang durch die Bremer Innenstadt die Teilnehmer:innen der Jahreshauptversammliung im Radisson Blu in Bremer Böttcherstraße. Felba erinnerte aber zugleich: "Die Branche ist nur so stark wie ihre einzelnen Mitglieder, die sich einbringen."

Die Bilanz der vergangenen 12 Monate kann sich sehen lassen, darunter 1.216 Kontakte und 49 persönliche Besuche vor Ort, die das dreiköpfige Team der Geschäftsstelle des Landesverbands durchgeführt hat, 4 Buchbesprechungstage und 4 Einkaufstage sowie 2 BuchFairliebt. Eine Besonderheit: Der Landesverband informiert auch über kleine Videos, zum Beispiel auf YouTube. "Das Virale ist einfach wichtig heute – viele kommen zu uns in den Laden, weil sie vorher unsere TikTok-Beiträge gesehen haben, da kriegen wir 278.000 Likes", sagte Jens Finger, Filialleiter von Hugendubel in Greifswald, "und mit einer solchen Selbstverständlichkeit schlendert Volker Petri durch eine Straße und stellt eine Buchhandlung oder einen Verlag vor. Die Beiträge finden Sie gleich auf der Startseite des LV Nord, 'Von Mitglied zu Mitglied'. Und diese Kurzvideos sorgen für Reichweite, natürlich nicht ganz soviel wie bei TikTok ..."

Auf die Bemühungen zur Nachhaltigkeit ging Vorstandsmitglied Susanne Hemming ein: "Wir tun das, was wir tun können." Als Produktmanagerin für Verlagslösungen bei Libri geht es bei ihr um nachhaltige Lösungen, "wie man sich die Vielfalt der Produkte erhält, ohne sich ein riesiges Lager zuzulegen und verantwortungsvoll mit der Ressource Papier umgeht und keine überschätzten Auflagen druckt. Hemming arbeitet auch als Mitglied in der IG Nachhaltigkeit mit und kümmert sich im Landesverband darum: "Als LV Nord sind wir auf dem Weg: Wir haben keinen Firmenwagen der Geschäftsstelle, sondern Bahncard 100, wir verzichten auf Papier in der Geschäftsstelle, wo immer möglich, wir machen viele virtuelle Meetings usw. Hemmings Appell: "Auch viele kleine Schritte sind wichtig".

Der Vorstand vor dem Rechenschaftsbericht (von links): Joachim Wrensch, Reinhilde Ruprecht, Jens Finger und Susanne Hemming

Literatur sichtbar machen

Vorstandsmitglied Christian Liesegang von der gleichnamigen Buchhandlung war virtuell zugeschaltet. In allen sechs Standorten ist er mit der Buchhandlung in den Innenstadtvereinen Mitglied. "Wir engagieren uns im Ort, weil wir gemerkt haben, wie wichtig Vernetzungen sind. Wir haben unglaublich viel anzubieten, haben tolle Lösungen gefunden, mit denen wir uns nicht verstecken müssen", so sein Fazit. "Wir haben im LV Nord neun Veranstaltungen in Richtung Stadtentwicklung durchgeführt, wie der Buchhandel sich dabei engagiert. Und der LV Nord hat eine Ministudie mit der Leuphania-Universität Lüneburg durchgeführt, 32 Buchhandlungen haben sich beteiligt."

"Wir setzen Mitgliedsbeiträge auch dafür ein, dass Veranstaltungen stattfinden", betonte Geschäftsführer Volker Petri. "Es geht immer um Menschen", sagte Edition Ruprecht-Verlegerin Reinhilde Ruprecht, "wir können unterstützen, um Projekte und Veranstaltungen zum Laufen zu bringen, zu unterstützen, etwa die Mirower Literaturtage, 'Eine Stadt liest' in Elmshorn, das Lesefest in Bergen." Der Landesverband fördert höchstens 3 Jahre lang; "es geht um Sichtbarmachung von Literatur "Volker Petri

Das Thema Nachfolge sprach LV-Nord-Schatzmeister Joachim Wrensch an. "Bei uns geht der Nachfolgeprozess in die Endphase. Mein Bruder hat vor 5 Jahren seinen Geschäftsanteil an die Buchhandlung Graff an seinen Sohn Frederick übergeben, ich werde nun meinen Geschäftsteil an meine Tochter Maria Meibohm übergeben, unsere Buchhandlung hat eine Auszeichnung zum Thema Nachfolge bekommen", freute sich Wrensch. Das laufe bei den meisten allerdings eher zäh und schwer. "Deshalb setzen wir uns im Vorstand sehr dafür, Seminare zum Thema Nachfolge zu geben, auch Existenzgründer zu unterstützen." Der Landesverband besucht auch die Berufsschulen mit Buchhändlerfachklassen, "der Austausch mit dem Nachwuchs ist extrem wichtig", so Wrensch.

Über was freut sich da Schatzmeister Joachim Wrensch als Abschiedsgeschenk?

Neuer Vorstand

2024 war wieder ein Wahljahr - der Vorstand musste neu gewählt werden. Hinstorff-Verlegerin Eva Maria Buchholz und Graff-Geschäftsführer Joachim Wrensch gehen in den Ruhestand und kandidierten nicht mehr. Die übrigen Vorstandsmitglieder kandidierten erneut. Als neue Kandidatin stellte sich Stefanie Thörmer vor, Geschäftsführerin der Alte Jeetzel-Buchhandlung in Lüchow mit insgesamt 5 Läden, darunter in Ludwigslust, Waren/Müritz und Helmstedt.

Gewählt wurden

  • Branka Felba, Vorständin der Genossenschaft Missing Link in Bremen
  • Susanne Hemming, Produktmanagerin Verlagslösungen bei Libri in Hamburg
  • Reinhilde Ruprecht, Verlegerin der Edition Ruprecht in Göttingen/Niedersachsen
  • Stefanie Thörmer, Geschäftsführerin der Alte Jeetzel Buchhandlung in Lüchow, Helmstedt, Ludwigslust, Waren/Müritz in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern
  • Jens Finger, Filialleiter von Hugendubel in Greifswald/ Meckenburg-Vorpommern
  • Christian Liesegang, Buchhandlung Liesegang mit Hauptsitz in Schleswig/Schleswig-Holstein

 

Als Rechungsprüferinnen wurden einstimmig gewählt:

  • Anne v. Bestenbostel, Inhaberin von Bücher von Bestenbostel in Nordenham und
  • Anne Vogel, Inhaberin der Buchhandlung Vogel in Reppenstedt

Branka Felba hat ihm einen Gutschein für eine ungewöhnliche Lama-Tour überreicht