Vorlesewettbewerb

Ada Grossmann ist Deutschlands beste Vorleserin

21. Juni 2022
Redaktion Börsenblatt

Von rund 480.000 Schüler:innen, die beim Vorlesewettbewerb 2021/22 gelesen haben, hat sich Ada Grossmann aus Memmingen als Siegerin qualifiziert: Das Finale im Studio A des Rundfunk Berlin-Brandenburg war ein spannendes Match.

"Seid nicht zu nervös, dann seid ihr ganz drin im Text", war der Tipp von Vorjahressiegerin Lucie Mathias - gar nicht so leicht zu beherzigen, wenn man vor der Jury und vor Publikum liest. Juryvorsitzende Angelika Schaack nahm die Angst: "Das Hauptkriterium ist nicht, ob sich jemand verspricht, sondern ob die Atmosphäre im Text, die Stimmung des Buches getroffen wird und rüberkommt."

Konfrontative Texte bevorzugt

In zwei Runden traten die Landessieger:innen an, die ganz unterschiedliche Bücher ausgesucht hatten. Marie Auffahrt aus Berlin etwa bekannte, anders als die Hauptfigur des von ihr gewählten Buchs "Abenteuer eines Döner-Checkers" Vegetarierin zu sein: Computerpotatoe Chris bekommt von seinem Onkel 1000 Euro angeboten, wenn er in den Ferien 1000 Kilometer zurücklegt. Auffahrt habe die Skurrilität des Textes wunderbar ausgedrückt, befand Juror und Schauspieler Julian Greis. "Man sollte sich immer an die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte erinnern, deshalb habe ich 'Ich überlebte: Ein Mädchen aus Schindlers Liste' ausgewählt", begründete Sam Hasnik aus Oberhausen, der sehr bewegend die Ankunft eines Mädchens im Konzentrationslager schilderte – die Jury musste erstmal durchatmen.

Konfrontations- und Verlegenheitsszenen eigenen sich meist gut, Ailin Scheffler aus Bremen etwa konnte den Unterschied zwischen der Gedankenstimme und der Ich-Erzählerstimme zum Tragen bringen. Sarah Dumont aus Leipzig arbeitete das Rätselhafte ihres Texts heraus, Louana Bretz aus Prüm zog die Spannungskurve einer konfrontativen Situation geschickt hoch, haute die hämischen Sprüche cool heraus, „die Hilflosigkeit der Nina war förmlich zu fühlen“, meinte Juryvorsitzende und Hörcompany-Verlegerin Angelika Schaack. Treffsicher gewählt hatte Sara Stoimenovski aus Hamburg ihre Textpassage, die schon an Dramatik kaum zu überbieten war. Sie gestaltete eine Szene rund um ein Feuerzeug als psychologische Beschuldigungszene "Deine Stimme war wie ein Scheinwerfer auf diese Szene!", urteilte Timster-Moderator und Juror Tim Gailus

Die Hände als Schalldämpfer nutzen

Wie facettenreich man mit seiner Stimme umgehen kann, zeigten die Landessiegerinnen überzeugend. Ada Grossmann aus Memmingen verstand es, die Unsicherheit und Beklemmung einer Figur mit leisem Timbre und zittriger Stimme zu vermitteln, Jakob Gukasjan aus Magdeburg fand für Erzähler und die einzelnen Dialoge passende Stimmen und nutzte bei einer Sprecherrolle trickreich die Hände als Schalldämpfer. Mit gekonnter Ironie arbeitete Lev Held aus Rangsdorf souverän das Innenleben des Ich-Erzählers im inneren Monolog heraus und bettete es spannungsdosiert in die Schilderung eines Schachturniers ein.

Fast beschwörend modulierte Isabel Freund aus Reinheim ihre Stimme als eindringliches Flüstern und regulierte stufenweise bis zu einem eruptiven Schrei nach oben, ähnlich wie Karla Böhlendorf aus Bad Lauterberg, die das rusleige einer Freidhofsszene vermittelte. Gar zwischen donnerndem Brüllen und leisem Flüstern akzentuierte Marie Richter aus Hermsdorf – die mit "Octavia" einen historischen Roman und darin eine Stelle gewählt, in der es um Leben und Tod geht: "Du warst richtig drin – ich will wissen, wie es weitergeht!", meinte Vorjahressiegerin Lucie Mathias aus der Jury.

Schulklassen fieberten per Video live mit

Während manche Vorleser von der Schnelligkeit ordentlich auf die Tube drückten, fand Cara Kemptner aus Hockenheim für ihre Textpassage einen wohltuend ruhigen Rhythmus, dass man noch stundenlang hätte zuhören können – im Studio wurde es mucksmäuschenstill. Ebenso nahm sich Kai Vitus Werneke aus St. Wendel die nötige Zeit, so dass der Text Zeit hatte, seinen Nachhall in den Zuhörer:innen zu finden: "Gefühlt war ich mit in dem Raum, den Du beschrieben hast", meinte Schauspieler und Synchronsprecher Patrick Mölleken aus der Jury. "Eine ruhige Spannung", befand Jurorin Lucie Mathias bei Hanne Brunsendorf aus Malchin, deren reife Stimme sich schon von den anderen unterschied.

Unterstützt wurden die Vorleser:innen von ihren jeweiligen Schulklassen, die über Video live eingeblendet wurden wie bei Emilie Wunderlich aus Wedel, die lässig und nah an der Alltagssprache der Jugendlichen intonierte. Trotz der Konkurrenzsituation spürte man aber doch, dass alle gemeinsam fieberten - die Aufregung verbindet.