Alles beim Alten
In der Corona-Krise haben sich Buchhändler*innen in ihrer umfassenden Kompetenz erlebt. Noch verstärkt wurde diese Erfahrung durch eine wertschätzende Kundschaft, resümiert Michael Schikowski.
In der Corona-Krise haben sich Buchhändler*innen in ihrer umfassenden Kompetenz erlebt. Noch verstärkt wurde diese Erfahrung durch eine wertschätzende Kundschaft, resümiert Michael Schikowski.
Buchhandlungen sind sinnvolle Orte. Aber erst als im Lockdown das, was sonst im Laden mündlich und räumlich so selbstverständlich vonstattengeht, in E-Mails, Whatsapp-Nachrichten und Rechnungen verschriftlicht werden musste, erlebte man unmittelbar, dass Buchhandlungen bei aller finanzieller Belastung ein herrlicher Problemlöser sind. Gäbe es sie nicht schon, man hätte sie sofort erfunden.
Es wird gewiss kaum jemanden geben, der die Krise, die der Corona-Lockdown uns beschert hat, nicht hinter sich sehen möchte. Und doch wurden während dieser Zeit Erfahrungen gemacht und Erlebnisse mitgeteilt, die es festzuhalten lohnt. So haben wir im April sehr eindrücklich erfahren, was eine digitalisierte Stadt eigentlich ist: eine tote Stadt.
Buchhändlerinnen und Buchhändler haben eine zentrale Erfahrung gemacht – auf der Reise hörte ich unzählige Geschichten: wie sehr sie gebraucht, gemocht, ja auch geliebt werden. Sie haben etwas zurückbekommen, das sie in den vergangenen 20 Jahren ungeachtet aller Untergangsprognosen ihren Kunden gegeben hatten. Wie viel, wie wichtig das war, wurde ihnen nun endlich einmal deutlich – dadurch, dass es zurückkam.
Auch im Innenverhältnis haben sich Buchhändlerinnen und Buchhändler als unmittelbare Kolleginnen und Kollegen in Zeiten, in denen alles anders war, als problemlösend und begabt erfahren – in der Ortskunde als Kurier, in der Pfiffigkeit der Aufrechterhaltung des Betriebs, in der Entwicklung von Angeboten, oft über der Grenze ihrer Belastbarkeit.
Buchhandlungen sind ein herrlicher Problemlöser.
Michael Schikowski
Natürlich haben wir alle im April auf die Möglichkeiten, die die Module der Digitalisierung bieten, begeistert und auch ein wenig beruhigt zurückgegriffen – auf kostenlose Onlinedienste, auf VLB-TIX, auf Videokonferenzen. Als nichts anderes mehr ging, waren sie überaus nützlich. Und doch haben wir auch noch etwas anderes erlebt: ihre Begrenztheit.
Wurde der Digitalisierung doch immer auch eine prinzipielle Unbegrenztheit unterstellt, erfuhr man sie allzu oft als technisch, zeitlich und vor allem sozial limitiert. Noch ein paar Zoom-Konferenzen mehr, und es wird deutlich werden, dass das unmittelbare Gespräch, in Form der Vertreterkonferenz beispielsweise, eine kommunikationsökonomische Einrichtung erster Ordnung ist. Was in ihr alles transportiert werden kann, füllte, wollte man es aufschreiben, Bände – die natürlich keiner liest.
Was noch? Man kann wieder warten auf das gute Buch, das gebundene Buch sogar. Der historische Roman ist auch gefragt – die Vergangenheit gilt ja als bekannt, unsicher ist allein die Zukunft. Überhaupt die Zukunft: Es tauchen neue Kunden auf, leisten Treueschwüre, die sie bislang sogar einhalten. Die Aussichten waren für alle unscharf, aber dass das Sommerloch diesmal weniger tief ausfallen würde, war zumindest nicht unwahrscheinlich. So ist nun auch damit zu rechnen, dass das Weihnachtsgeschäft viel früher beginnt, da Kunden aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen und nun vermutlich ihre Besorgungen vorziehen werden. Buchhandlungen nicht allein, Orte überhaupt werden nun wiederentdeckt. Bald werden auch Lesungen unter den Bedingungen der jeweiligen Corona-Verordnungen möglich sein und sehr gut besucht, denn für Megaevents, die früher alle Aufmerksamkeit und Budgets aufsaugten, sind die Zeiten noch länger ungünstig.
Eine Kombination aus umwegiger Technik und technischer Umständlichkeit erleben gerade alle die Kollegen, die, aus welchen Gründen auch immer, auf einen Besuch der Vertreterin oder des Vertreters verzichten mussten und »der Einfachheit halber« schriftlich bestellen. Wie im Laden ohne Kunden, wie im Verlag ohne Konferenzen, sind auch die Prozesse, die mit Vertreterinnen und Vertretern vor Ort einfach und geschlossen durchgeführt werden, in schriftlicher Form ein zeitraubendes Hin und her.
Am Ende ist man sich nicht mal sicher, an alles gedacht zu haben. Wie Buchhandlungen werden manche Institutionen, Konferenzen wie Vertretertermine, nun neu erfunden. Was bleibt also? Alles beim Alten, nur ein wenig mehr als normal müde und erschöpft.
Michael Schikowski ist Buchautor und freier Verlagsvertreter.