Kommentar zu den Corona-Lockerungen für den Handel

2G ohne gute Gründe

3. Februar 2022
von Torsten Casimir

Man hat sich dran gewöhnt: Die Bundesländer bieten ein buntes Allerlei an Regeln. Dort, wo 2G für den Nonfood-Einzelhandel weiter gelten soll, wächst nun aber Widerstand. Wird auch Zeit! Ein Kommentar von Torsten Casimir.

Torsten Casimir

Jetzt kippen also die ersten 2G-Regeln für den Einzelhandel. Am Mittwochabend gab Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) seine Einsicht zu Protokoll, die Unterscheidung zwischen Sortimenten des Grundbedarfs und den übrigen Einzelhändlern sei nicht mehr sinnvoll. Zudem stehe die Branche stark unter Druck. Schleswig-Holstein und Sachsen zeigten sich zuvor schon lockerungsbereit, weitere Länder werden folgen, zum Teil unfreiwillig. Mehrere Gerichte hatten geltende Regeln zuletzt nach Händlerklagen für unrechtmäßig erklärt. Eine steigende Zahl europäischer Länder traut sich ebenfalls Einschränkungen der Einschränkungen zu.

Nur in Stuttgart hält ein Ministerpräsident seinen strikten Weg der Vorsicht stur für den einzig gangbaren – zumindest mal bis Ostern. Der Grüne Winfried Kretschmann findet, eine Debatte jetzt käme viel zu früh. Heißt für den Buchhandel im Musterländle: Die Geschäfte zählen nach wie vor nicht zu den Grundversorgern, Impf- und Genesenennachweise der Kundschaft müssen vor Ort digital geprüft werden. Aber überall wächst der Druck auf die Politik. Die Prognose sei gewagt: Mit seiner starren Position wird Kretschmann nicht bis Ostern durchhalten.

„Besser spät als nie!“, twitterte auf Bouffiers Umdenken hin sogleich der Handelsverband Hessen. Kann man als Lobbyist so sagen. Man könnte aber auch einmal kritisch nachfragen: Stand die Ungleichbehandlung des Handels nicht viel länger schon auf schwachem Sachgrund? Hätte man nicht viel früher wissen können, dass der Einzelhandel nicht zu den großen Infektionstreibern gehört? Und dass es dem Einzelhandel ökonomisch durchweg an den Kragen geht – soll das ernsthaft eine aktuelle Erkenntnis von Anfang Februar 2022 sein?

Das Besondere an der politischen Entscheidung – im Unterschied beispielsweise zum Rat eines Virologen – ist ihre komplexe Vorbereitung. Politiker haben von Berufs wegen abzuwägen: zwischen Schutz der öffentlichen Gesundheit und Schadensvermeidung für die Wirtschaft etwa. Die Prüfkriterien an gesetzliche Vorgaben folgen deshalb keinem Richtig-Falsch-Muster, gefragt wird stattdessen nach Zweckmäßigkeit, Geeignetheit, Erforderlichkeit. Über diese Maßstäbe ist in letzter Zeit nicht zu viel, sondern viel zu wenig diskutiert worden.

Politik entscheidet über wirtschaftliche Chancen. Wer sich den Flickenteppich der Corona-Schutzverordnungen anschaut und die jeweiligen Länderregelungen mit den Marktentwicklungen im stationären Buchhandel vergleicht, sieht, wie unmittelbar politische Vorgaben auf die Umsätze durchschlagen. In Baden-Württemberg, dem Land, dessen Regierungschef jetzt als erste Bürgerpflicht mal Ruhe bis Ostern verlangt; in BW, THE LÄND, das im Jahr 2021 die Anpassungsfähigkeit (oder Resignationsbereitschaft) des Einzelhandels mit acht(!) Variationen von Öffnungsszenarien testete, sind die Buchhandelsumsätze stationär um mehr als 22 Prozent abgeschmiert, die Absatzwerte noch drastischer.

Als Ende vergangener Woche die großen Lebensmittelketten ein bundesweites Ende von 2G für Einkäufe aller Art verlangten, war das Aufmerken im Nonfood-Sektor groß. Warum gerade die? Die haben doch als Grundversorger das Problem gar nicht. Eine rührende Geste der Solidarität also? Wohl kaum. Die Sorge von Aldi, Lidl & Co. gilt der gesamten Einzelhandelslandschaft: Wenn demnächst tausende Marktteilnehmer über die Wupper gehen würden, hätte das Auswirkungen auf die städtische Infrastruktur und das (ohnehin Richtung Internet tendierende) Einkaufsverhalten der Menschen. Es gibt befristete Restriktionen, die unbefristete Schäden nach sich ziehen. Man muss befürchten: Die 2G-Regel im Einzelhandel wird dazugehören, falls sie noch länger gelten soll.