Gastbeitrag zu Verlagsrabatten

Es gibt keine 50-Prozent-Grenze

22. Oktober 2021
Christian Frank und Julia Petersen

Kein anderes Thema um die Buchpreisbindung war in den vergangenen zwölf Monaten so sehr in der Diskussion wie die Verlagsrabatte an Zwischenbuchhandel und Sortimenter: Emotionen, Meinungsartikel, Gerichtsverfahren, Umfragen. Initiiert von Thalia beleuchtet der folgende Beitrag das Thema aus einer Outside-In-Perspektive.

1. Systematische Ausgangsbasis

§ 5 des Buchpreisbindungsgesetzes (BuchPrG) verlangt von Verlegern, den Buchpreis für den Verkauf an Letztabnehmer festzusetzen. Für den vorgelagerten Verkauf an Händler und Zwischenbuchhändler enthält das Gesetz keine derartige Pflicht. Anders als etwa im Arzneimittelrecht sind die Preisspannen für Händler und Zwischenhändler nicht unmittelbar reguliert, sondern unterliegen den Vereinbarungen der Parteien. Dies gilt auch für die Frage, in welcher Höhe und zu welchen Bedingungen Verlage ihren Vertragspartnern Rabatte gewähren können. Die Vertragsfreiheit ist mittelbar begrenzt durch die Regelungen in § 6 BuchPrG. Dessen Abs. 3 verbietet den Verlagen, für Zwischenbuchhändler höhere Preise oder schlechtere Konditionen festsetzen als für direkt belieferte Letztverkäufer.
Preise“ sind je „höher“, desto weniger Rabatte dem Zwischenhandel auf den Einkaufspreis im Vergleich zu dem gebundenen Endverkaufspreis gewährt werden. „Schlechtere Konditionen“ müssen sich auf die Belieferung mit dem Buch beziehen, also etwa „langsamere Auslieferung“, „weniger zuverlässiger Transport“, „höhere Lieferkosten“ oder „kürzere Zahlungsfristen“. Wann Preise bzw. Rabatte zu hoch oder Konditionen zu schlecht sind, lässt sich jedoch weder dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzesbegründung unmittelbar entnehmen. Die „Einhaltung der Regelung“ sei vielmehr „im Einzelfall zu beurteilen“ und könne „nicht für jeden Fall an einem Kriterium, einer Quote etc. festgemacht werden“, so die Begründung zum Regierungsentwurf (BT-Drs. 14/9196, 11). Aus der Beschlussempfehlung zum Gesetzesentwurf des BuchPrG geht hervor, dass „für die Feststellung dessen, was im Einzelfall höhere Preise oder schlechtere Konditionen seien“, „selbstverständlich alle Umstände und die gesamte Vertragssituation berücksichtigt werden“ müssten.

2. Gesetzgeber gegen feste Quote

Gerade in der jüngeren Diskussion ist wiederholt behauptet worden, Handelsspannen über 50 Prozent des festgesetzten Endverkaufspreises seien mit der Preisbindung nicht vereinbar. Zur Begründung wird regelmäßig auf die angebliche Auffassung des Bundeskartellamts aus den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum damaligen Sammelrevers verwiesen und behauptet, dass sich daran nichts geändert habe.

Diese Argumentation ist schlicht falsch. Prüft man die Verweise auf die Praxis bei der damaligen Preisbindung für Markenartikel oder auf Zeitungsartikel etc. nach, stellt man fest, dass auch danach Rabatte über 50 Prozent nicht per se als unzulässig gewertet wurden. Vor allem aber wird von den Befürwortern ignoriert, dass im Gesetzgebungsverfahren zum Buchpreisgesetz erörtert wurde, ob eine feste Quote ins Gesetz aufgenommen werden solle: Der Gesetzgeber hat sich aber wiederholt gegen die Quote und für die - inhaltlich überzeugende – Einzelfallbetrachtung entschieden.

Der Börsenverein hat im vergangenen Jahr einen Versuch unternommen, im Wege einer Gesetzesänderung eine Rabattobergrenze von 50 Prozent in § 6 Abs. 3 BuchPrG aufgenommen zu bekommen. Der Meldung im Börsenblatt vom 2. Oktober 2020 zufolge hat jedoch bereits das Bundeswirtschaftsministerium dies mit der Begründung abgelehnt, es handele sich dabei um einen starren, nicht verhältnismäßigen Eingriff in die Vertragsfreiheit, der zudem auf europäischer Ebene negative Reaktionen auslösen könne, vgl. https://www.boersenblatt.net/news/boersenverein/eine-frage-der-konditio…. Gemeint ist hiermit, dass das System der Buchpreisbindung seit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes zur Preisbindung im Arzneimittelrecht in Deutschland auf recht unsicherem Boden steht, wie inzwischen allen Beteiligten klar ist. Die Sinnhaftigkeit einer starren Grenze wird ferner auch in der juristischen Fachliteratur abgelehnt.

3. Für außergewöhnliche Leistungen sind auch höherer Rabatte zulässig

In den Gesetzgebungsmaterialien zum Buchpreisgesetz wurde ausdrücklich bestätigt, dass es für Verlage möglich bleibt, einem Letztverkäufer, der sich in außergewöhnlicher Weise für sein Verlagsprogramm oder für einzelne seiner Titel einsetzt, einen im Einzelfall höheren Rabatt als dem Zwischenbuchhandel einzuräumen. Bislang versucht die Praxis, die Außergewöhnlichkeit einer vertrieblichen Anstrengung durch die Differenzierung zwischen sortimentstypischen und sortimentsuntypischen Leistungen zu bestimmen; zuletzt hat auch das Landgericht Stuttgart hierauf abgestellt. Uneinigkeit besteht allein bei der Frage, welche Leistungen nun sortimentstypisch – bzw. untypisch sind.

Was wird seit jeher als „sortimentsuntypisch“ angesehen?

Im Gesetzgebungsverfahren wurden exemplarisch die oft zitierten Beispiele aufgeführt wie die Erschließung von Absätzen durch kostenintensive Akquisitions- bzw. Vertriebsmethoden; die Beschäftigung eigener Reisender bzw. Außendienstvertreter; oder die Durchführung eigener Kochkurse in einer Versuchsküche zum Verkauf bestimmter Verlagsprogramme im Bereich Essen & Trinken.

Darüber hinaus listet die Orientierungshilfe des Verleger- und Sortimenter Ausschusses exemplarisch Ausnahmen auf, die über die „sorgfältige buchhändlerische Praxis“ hinausgehende Leistungen enthalten. Will man die Beispiele groben Kategorien zuordnen, lassen sich die folgenden drei Komplexe erkennen:

(1) „Unterstützung bei einer effizienten Steuerung der Herstellung und Belieferung“, wobei hierzu die nachfolgenden Unterpunkte zählen dürften: Effizientes und zuverlässiges Zahlungsverhalten/Zentralregulierung; Information des Verlages durch die Buchhandlung über Bestände und Strukturdaten; Administration von Bestellung und Auslieferung, inklusive konfektionierter Rechnungsstellung, Zahlungsabwicklung, Zugangsverwaltung, Reklamationshandlung, etc.; Anbieterübergreifende Nutzungsstatistiken; Prozessverschlankende Angebots-, Verwaltungs- und Bestellsysteme als Webservice; eProcurementsysteme.

(2) „Unterstützung beim Vertrieb gegenüber Endkunden“ mit den Unterpunkten: Online: interaktive Elemente (z.B. Kundenrezensionen) auf der Internetseite; Online: Mitwirkung in buchbezogenen Social-Networks und Bestellung zur Ansicht.

(3) „Sonstige Leistungen“ wie Auslandsbesorgungen; Besorgung antiquarischer Bücher; Beschäftigung eigener Vertreter und Beratung und Unterstützung bei der Auswahl und Lizenzierung vormaßgeschneiderter Informationsressourcen.

Die Ratio der Abgrenzung zwischen „bereits sortimentstypisch“ einerseits und „noch sortimentsuntypisch“ andererseits ist nicht leicht erkennbar. Die Auflistung scheint in erster Linie den Status Quo des entsprechenden Kompromisses im Ausschuss wiederzugeben. Was darüber hinaus außergewöhnlich ist und was nicht, bedarf daher einer Bewertung und Differenzierung im Einzelfall und kann sich aufgrund von technologischem Wandel sowie disruptiven Innovationen im Zeitablauf über die Jahre ändern (z.B. Aufbau des tolino-Ökosystems durch Buchhändler) im Zeitablauf über die Jahre ändern:

Dynamische Entwicklung der Buchbranche

In den letzten Jahrzehnten ist die Buchbranche zunehmend digitaler und globaler geworden. § 6 Abs. 3 BuchPrG unterliegt daher dynamischen Mechanismen, muss nach seinem Sinn und Zweck offen für Entwicklungen sein und knüpft gerade nicht an ein „althergebrachtes“ Bild des Bucheinzelhandels an. Vor 20 Jahren war beispielsweise das Thema „Influencer Marketing“ noch unbekannt – heutzutage ist es in aller Munde. Damit Influencer als Werbemedium in Aktion treten, müssen zunächst Influencer-Verträge geschlossen und Vergütungsstrukturen vereinbart werden. Influencer können anschließend für einen Buchhändler tätig werden, in dem sie auf den einschlägigen Social Media Plattformen gezielt bestimmte Bücher oder ein Verlagsprogramm empfehlen. Der Buchhändler kann sich so in außergewöhnlicher Weise für einen Verlag einsetzen. Eine derartige Zusammenarbeit mit Influencern stellt somit ein „modernes Beispiel“ einer sortimentsuntypischen Leistung dar, welche den Absatz in einer Weise fördert, die wertungsmäßig der Beschäftigung eigener Reisender bzw. Außendienstvertreter entspricht. Es liegt insofern nahe, die Liste der sortimentsuntypischen Leistungen der Orientierungshilfe des Verleger- und Sortimenter Ausschusses um Leistungen beim Influencer-Marketing zu ergänzen. Ferner haben die Beschränkungen durch die Bekämpfung der Pandemie in den vergangenen 2 Jahren die Kreativität zu neuen Möglichkeiten der Kundenbetreuung angespornt und aufgezeigt. Eine Vielzahl weiterer Leistungen - etwa Online-Lesungen oder virtuelle Diskussionen – erfordern vor allem systematische und stetige Bemühungen, sind aber nicht zwangsläufig verbunden mit finanziellen Investitionen in einer Größenordnung, die nur wenigen Händlern möglich sind.

Weitere Beispiele sind etwa naheliegend, wenn es um die Einführung von Innovationen geht. Einleuchtend sind etwa Neuerungen, durch welche Verlage ihre Planung der Herstellung über die zeitnahe Zulieferung von Daten aus den ERP-Systemen des Handels merklich verbessern können. Dies belegen die zahlreichen, ähnlich gelagerten Beispiele aus der Orientierungshilfe des Verleger- und Sortimenter Ausschusses.

Möglichkeiten des Zwischenbuchhandels

Einen gewissen Teil dieser Leistungen kann auch der Zwischenbuchhandel selbst erbringen, gerade in Bezug auf Influencer-Marketing oder ERP-Systeme. Bei anderen kann er durch die Gestaltung seiner eigenen Konditionen Einfluss auf das Verhalten und die Leistungen der von ihm belieferten Letztverkäufer nehmen.

Setzt ein Verlag ein Preis– und Konditionensystem fest, in welchem er nur Letztbuchhändlern für die Erbringung bestimmter sortimentsuntypischer Leistungen einen Rabatt anbietet, Zwischenbuchhändler hiervon hingegen systematisch ausschließt, verstößt er gegen das Benachteiligungsverbot aus § 6 Abs. 3 BuchPrG.

Bietet der Verlag aber Zwischenbuchhändlern und direkt belieferten Letztbuchhändlern gleiche Konditionen an, kann keine Benachteiligung vorliegen. Entscheidet sich der Zwischenbuchhändler nun dafür, gegenüber dem Verlag keine derartigen Leistungen anzubieten oder zu erbringen, kann er die vom Verlag hierfür offerierte Vergütung eben auch nicht verlangen. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso es unzulässig sein sollte, Letztbuchhändler für entsprechend erbrachte Leistungen zu entlohnen. § 6 Abs. 3 BuchPrG enthält keinen Anspruch des Zwischenbuchhandels, die Erbringung bestimmter Leistungen verweigern und gleichzeitig die hierfür ausgelobte Vergütung verlangen. Die Forderung, ungleiche Leistungen gleich zu rabattieren, lässt sich nicht begründen. Das Benachteiligungsverbot bietet keine Grundlage für einen Anspruch auf eine nicht begründete Bevorzugung.

4. Verlage dürfen Innovationen im Buchhandel im Einzelfall durch Rabatte unterstützen

Das Gesetz dient nicht dem Schutz und der Erhaltung der Trägheit im Buchhandel, sondern dem Schutz des Kulturgutes Buch und der Erhaltung eines breiten Buchangebotes. Werden Innovationen behindert, gefährdet dies den Buchmarkt in Deutschland und das System der Preisbindung. Damit überzeugt die Ratio aus dem Gesetzgebungsverfahren auch weiterhin:

  • Ob eine außergewöhnliche Anstrengung eines Letztverkäufers vorliegt, bedarf einer differenzierten Betrachtung im jeweiligen Einzelfall. Maßstab ist der Buchmarkt im Zeitpunkt der Entscheidung, denn es geht um den dann aktuellen Vertrieb von Büchern.
  • Das Benachteiligungsverbot verbietet es den Verlegern, den Zwischenbuchhandel zu benachteiligen, damit letzterer seine Funktion im Buchmarkt erfüllen kann.
  • Es bietet aber keine Grundlage dafür, außergewöhnliche Leistungen zu unterlaufen, in dem ihre Berücksichtigung bei der Rabattgestaltung verboten wird. Das Benachteiligungsverbot darf insbesondere nicht zur Innovationsbehinderung benutzt werden: Innovationswillige Verlage müssen innovationswillige Buchhändler im Einzelfall bei der notwendigen und mitunter kostenintensiven Modernisierung des Buchhandels auch finanziell unterstützen können, indem dies bei der Rabattgewährung berücksichtigt werden darf.

Über die Autoren

Dr. Christian Frank ist Partner der Kanzlei Taylor Wessing und begleitet seit 1996 Unternehmen beim Erwerb, dem Einsatz und der Verwertung von neuen Technologien und Inhalten, vor allem bei Fragestellungen zum Immaterialgüterrecht, Datenschutz und zu regulatorischen Anforderungen.

Dr. Julia Petersen ist Associate der Kanzlei Taylor Wessing und seit 2019 Mitglied der Practice Area Technology, Media & Telecoms (TMT). Ihr Studienschwerpunkt lag im Kartell- und Urheberrecht.