Sprachkritische Aktion

"Remigration" ist Unwort des Jahres 2023

15. Januar 2024
Redaktion Börsenblatt

Der Begriff "Remigration" wurde von einer unabhängigen Jury zum "Unwort des Jahres" gewählt, weil es von rechten Gruppierungen bewusst ideologisch vereinnahmt werde. Auch die Wörter "Sozialklimbim" und "Heizungs-Stasi" wurden nominiert und einer kritischen Reflexion unterzogen.

Auch eine Fotoaustellung organisiert die Aktion des Unwort des Jahres: Hier zu sehen ist die Darstellung des Begriffs "Remigration". Die Vernissage der Bilder findet am 07. März im Designhaus Darmstadt statt.

Der Begriff "Remigration" stammt aus der Migrations- und Exilforschung und beschreibt dort verschiedene und vor allem freiwillige Arten der Rückkehr, unter anderem die Rückkehr jüdischer Menschen aus dem Exil nach 1945. In rechten Parteien und rechten Gruppierungen sei der Begriff "zu einem Euphemismus für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zu Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte geworden", heißt es in der Begründung der Jury. Dabei sei "Remigration" eine beschönigende Tarnvokabel und verschleiere die tatsächlichen Absichten.

Die Wahl knüpft an einen aktuellen Diskurs an: Das journalistische Netzwerk CORRECTIV berichtete am 10. Januar 2024 über ein Treffen im November, bei dem rechtsextreme Aktivisten der Identitären Bewegung mit Abgeordneten der AfD, Vertretern der CDU-nahen Werteunion und des Vereins Deutsche Sprache offen über ihre rassistischen und menschenfeindlichen Überlegungen zu einer Aussiedlung von Menschen gesprochen hatten. Seitdem demonstrierten zehntausende Menschen in deutschen Großstädten gegen rechte Politik und für ein Verbot der AfD. Der Philosoph Peter Sloterdijk trat nach Bekanntwerden des Treffens aus dem Verein Deutsche Sprache aus. 

Versuchte Diskursverschiebung

Die Benutzung des Wortes mit rechtem Gedankengut verletze freiheitliche und bürgerliche Grundrechte von Menschen mit Migrationsgeschichte, schreibt die Sprachkritische Aktion "Unwort des Jahres" in ihrer Begründung. Sie führe "zu einer Verschiebung des migrationspolitischen Diskurses in Richtung einer Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Positionen".

Der diesjährige Gastjuror und CDU-Politiker Ruprecht Polenz kommentierte: "Der harmlos daherkommende Begriff Remigration wird von den völkischen Nationalisten der AfD und der Identitären Bewegung benutzt, um ihre wahren Absichten zu verschleiern: die Deportation aller Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft, selbst dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Nach der Wahl zum 'Unwort des Jahres' sollte diese Täuschung mit Remigration nicht mehr so leicht gelingen." 

"Sozialklimbim" und "Heizungs-Stasi" stärken populistische Debatten

Zum zweiten Unwort wählte die Jury den Ausdruck "Sozialklimbim", der in öffentlich-politischen Diskussionen um die Kindergrundsicherung verwendet wurde. In sozialpolitischen Debatten stehe das Wort für eine im Jahr 2023 wieder häufiger zu beobachtende klassistisch diskriminierende Rhetorik, argumentiert die Jury. "Durch die spezifische Wortverwendung wird die Gruppe einkommens- und vermögensschwacher Personen herabgewürdigt und diffamiert, handle es sich bei sozialen Transferleistungen, die Menschen ein Leben in Würde sichern sollen, um unnützes Beiwerk oder sinnloses Getue." Zugleich werde damit eine besonders vulnerable Gruppe, von Armut betroffene Kinder, stigmatisiert.

"Heizungs-Stasi" wurde zum dritten Unwort des Jahres nominiert, weil es als der "populistischen Stimmungsmache gegen Klimaschutzmaßnahmen", dem Gebäudeenergiegesetz GEG, gedient habe. Diese Maßnahmen würden durch den Gebrauch des Begriffes als diktatorische Repressionen dargestellt werden und verunglimpfe damit das demokratische Gesetzgebungsverfahren. Außerdem verhöhne es die Opfer der Staatssicherheit der DDR.

Über die Aktion

Für das Jahr 2023 habe die Jury laut Meldung insgesamt 2301 Einsendungen erhalten. Es wurden 710 verschiedene Ausdrücke vorgeschlagen, von denen knapp 110 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen. Unter den häufigsten Einsendungen waren unter anderem Klimakleber und Technologieoffenheit.

Die Jury der institutionell unabhängigen und ehrenamtlichen Aktion besteht aus den vier Sprachwissenschaftler:innen Dr. Kristin Kuck (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg), Prof. Dr. Martin Reisigl (Universität Wien), Prof. Dr. David Römer (Universität Kassel), Prof. Dr. Constanze Spieß (Sprecherin der Jury; Philipps-Universität Marburg) und der Journalistin Katharina Kütemeyer. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr Ruprecht Polenz zu Gast.

Ausgezeichnet und damit einer kritischen Reflexion unterzogen werden sollen Wörter, die diskriminierenden, stigmatisierenden, euphemisierenden, irreführenden oder menschenunwürdigen Hintergrund haben.