Selbstversuch zur "Special Edition" der Buchmesse

Meine Tour durchs Gelände

15. Oktober 2020
Torsten Casimir

Die "Special Edition" der Frankfurter Buchmesse 2020 findet weitgehend digital statt. Aber es gibt nicht nichts auf dem Messegelände. Notizen über eine Stippvisite.

"Selten so weit vorn gesessen"

Macht der Gewohnheit: Auch dieses Jahr habe ich eine Karte, die zum Betreten des Messegeländes berechtigt, gültig bis 18.10.2020. Und eine FFP2-Maske, die in Frankfurter U-Bahnen derzeit nützlich ist. Also nahm ich beides und fuhr am Mittwoch, wie stets an einem Mittwoch Mitte Oktober, mit der U4 bis zur Station Festhalle/Messe, ging vorbei am Kalauer der hiesigen Messegesellschaft, „Thank U4 connecting us with the world“, haha, zeigte an dem mit „Special Edition“ plakatierten Eingang mein Ticket vor und begab mich in die Festhalle. Die ist der einzige Ort da draußen, an dem trotz „Special Edition“ Messemenschen (freilich nicht Menschenmassen) einander physisch begegnen sollen.

Schon am Vorabend hatten sich unter der mächtigen Kuppel des Gebäudes, das unbestuhlt mehr als 13.000 Gästen Platz bietet, geschätzt 40 Leute für die Eröffnungszeremonie zusammengefunden. Special Raumgefühl. Ein Satz, der mehrfach fiel an dem Abend: „Habe selten so weit vorn gesessen.“ Man muss das Gute sehen, immer.

Journalisten beobachten Journalisten

Jetzt am Mittwoch, normalerweise der erste Fachbesuchertag, saß auf der weiten Bühne der Schriftsteller Andreas Steinhöfel und wurde zu seinem fünften Rico-Band „Rico, Oskar und das Mistverständnis“ befragt. Außerdem im Saal: drei mobile TV-Kameras nebst Kameraleuten und ein paar Journalisten. Vermutlich waren sie mit dem gleichen Ziel gekommen wie ich: sich anzuschauen, wer gekommen ist, um dann aufzuschreiben, dass Journalisten gekommen sind, um sich anzuschauen, wer gekommen ist… Etwas unergiebig. Aber diesem famosen Steinhöfel zuzuhören macht Freude, egal wo und mit wie vielen anderen.

Journalisten kamen mit dem Ziel, sich anzuschauen, wer gekommen ist, um dann aufzuschreiben, dass Journalisten gekommen sind, um sich anzuschauen, wer gekommen ist...

Auf dem Weg aufs Gelände konnte ich noch ein paar Mails lesen, darunter die eines Verlegers, der mir aus der Toskana schrieb, er sei gerade in einem Kloster und wolle jetzt in die dortige Kirche gehen, um bei prächtiger Akustik Trompete zu spielen. Fragen Sie sich auch, was in dieser Woche eigentlich die Verleger und Verlegerinnen machen? Hoffentlich haben nicht alle eine so gewinnbringende Entscheidung getroffen wie unser Blechbläser. Falls doch, werden künftige Buchmessen schwer an ihrer Attraktivität arbeiten müssen. Kein „Back to Normal“ jedenfalls. Das hatte während der Eröffnungsfeier schon Karin Schmidt-Friderichs, die Vorsteherin des Börsenvereins angekündigt.

Wie Pizza

Auf der Suche nach Restnormalität wurde ich dennoch fündig. Hinter der Festhalle gab es einen Caterer, der mir ein Paar Bratwürstchen mit Senf für drei Euro achtzig verkaufte. Und vorne auf dem Parkplatz standen die Ü-Wagen von WDR, HR und SWR in gewohnter Dichte. Logisch: Wenn keiner kommt, muss erst recht übertragen werden. Ein Satz, der in diesen Tagen ebenfalls oft zu hören ist, lautet: „Die Buchmesse kommt zu Ihnen nach Hause.“ Wie Pizza. Rundfunkanstalten machen sich als Lieferdienste verdient.

Im Netz ist derweil eine Menge los. Manche Formate, die die Frankfurter Buchmesse nun digital anbietet, erhalten größeren Zuspruch als in früheren, analogen Jahren. Die Fachprogramme zu aktuellen Themen im Publishing seien exzellent gebucht, berichtet eine Messe-Kollegin erfreut. Auch das Interesse der Publikumsmedien an der Buchmesse scheint ungebrochen, womöglich sogar verstärkt. Die Zeitungen heute stehen voll von Berichten, Interviews und Kommentaren zum Start der FBM20, dieser wahrlich speziellen Edition. Tenor allenthalben: Wir brauchen die echte Messe. Alle finden es traurig, dass sie diesmal in einer Surrogatvariante stattfinden muss. Von „Frankfurter Elegie“ ist die Rede, von einer menschenleeren, aber auch „symbolisch überdeterminierten“ Stadt (SZ), von einem tristen Ambiente.

Der beste Schutz vor akut aufsteigendem Trübsinn ist es wahrscheinlich, nicht zu lange auf dem Messegelände zu verweilen. Unterwegs zurück zur U-Bahn, fällt mein Blick auf gut gefüllte Zeitschriftenständer am Ausgang der Festhalle. Dort liegt die Oktober-Nummer von brand eins aus. Ich frage am Empfangsdesk, ob man sich ein Heft mitnehmen dürfe. „Na klar, sehr gerne, es sind genügend da. Wir hatten mit mehr Leuten gerechnet.“ Zum ersten Mal lese ich bewusst den neuen Untertitel des Magazins: „Zeigen, was möglich ist.“ Wie gemacht für diese FBM20.