Der nette Mann fürs Fiese
Cartoonist OL hatte 2009 in jedem Börsenblatt das „Finale“ bespielt. Aus diesem Anlass hatte unsere Autorin Cornelia Doerries den Cartoonisten in Berlin besucht. Ein Porträt (leicht aktualisiert).
Cartoonist OL hatte 2009 in jedem Börsenblatt das „Finale“ bespielt. Aus diesem Anlass hatte unsere Autorin Cornelia Doerries den Cartoonisten in Berlin besucht. Ein Porträt (leicht aktualisiert).
Nett ist im Zusammenhang mit Kunstschaffenden möglicherweise ein gemeiner Begriff, doch wenn man den Berliner Cartoonisten OL als Mensch beschreiben soll, mit dem man gerade Kaffee getrunken und geplaudert hat, muss man sagen: Ja, OL ist nett. Sehr nett sogar. Erwähnenswert ist dieser Umstand nur, weil nicht mal der oberflächlichste Betrachter der gezeichneten und gemalten Werke von OL auf die Idee käme, sie mit einem beiläufigen »nett« abzutun.
OL’s Cartoons und Bildergeschichten sind fies und manchmal eklig, dazu makaber, asozial und mitleidlos, und wenn man darüber laut lachen muss, was meistens der Fall ist, weiß man nicht immer, warum. Nein, OL’s Werk ist nichts für die wissenden Schmunzler mit einer Vorliebe für politisches Kabarett und den kultivierten Herrenwitz.
Umso größer dann die Überraschung, auf einen sympathischen, juvenil-entspannten Mann zu treffen, der äußerlich und habituell nur schwer mit dem fettwänstigen, versoffenen Personal seiner gezeichneten Witze in Verbindung zu bringen ist – und auch keine bemühten Witze reißt oder den zeitdiagnostischen Zyniker gibt.
OL, der natürlich gar nicht OL heißt, sondern einen ganz bürgerlichen, hier nicht weiter erwähnenswerten Namen trägt, dieser 1965 in Berlin geborene OL fiel schon früh mit seinen gezeichneten Reflexionen über den Zustand der Welt auf, genauer gesagt im Jahr 1988. Nur, dass er damals noch kein Geld oder Karikaturistenpreise dafür bekam, sondern Besuch von der DDR-Staatssicherheit.
Er wohnte zu dieser Zeit in einem halb verfallenen Mietshaus im Ost-Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, arbeitete tagsüber in einer Druckerei, feierte gern und hatte eine illegale Ausstellung. Diese flog mit oder wegen ihrer despektierlichen, politisch heiklen Karikaturen leider auf, OL drohten nach Auskunft des um Rat befragten Anwalts Lothar de Maizière nun mindestens ein paar Jahre DDR-Gefängnis – zusammen mit der Aussicht auf den anstehenden Wehrdienst bei der NVA. Grund genug, nach einem knappen Jahr in Angst und nach der kompletten Vernichtung seines zeichnerischen Frühwerks als Letzter seiner Freunde den Zug nach Ungarn zu besteigen. Von dort flüchtete er über die löchrige Grenze in den Westen und fand bei einer Tante in München Unterschlupf.
Den Mauerfall ein paar Wochen später erlebte er als Packer im Gemüsehof. OL hat dann zwar versucht, seiner ordentlichen Berufsausbildung als Drucker noch ein bisschen weiterführende Schule und akademische Kunstunterweisung folgen zu lassen, aber eigentlich wollte er immer nur zeichnen. Und das hat er dann auch gemacht. 1990 schickte er aus einem Italienurlaub ein paar Blätter mit seinen damals noch sehr dünnen Männchen zum Satiremagazin »Kowalski« nach Hamburg, wo man begeistert war und nach mehr fragte.
Und seitdem lebt OL vom Zeichnen für verschiedene Zeitungen und Magazine. Die zeichnerische Evolution hat seine anfangs ausgesprochen anorektischen Strichmännchen in eine bunte Population dicker und dünner Trinker, Mütter, Proleten und Wurstbudenkunden verwandelt.
Er zeichnete für »Kowalski«, »Zitty« (inzwischen eingestellt), »Tagesspiegel«, »Die Zeit«, »Berliner Zeitung«, »Jungle World« und n-tv. Die Mütter vom Kollwitzplatz und Cosmoprolet sind seine bekanntesten Figuren.