»Das Unmögliche möglich machen« – das war das Motto einer Tagung für unabhängige Verlage, zu der die Kunststiftung NRW Anfang Februar nach Düsseldorf eingeladen hatte, um herauszufinden, wie es um das Publizieren im digitalen Zeitalter bestellt ist und an welcher Stelle Verlage Unterstützung brauchen. In vier Arbeitsgruppen haben sich 63 Verlage den Fragen unserer Zeit gestellt und Lösungsansätze erarbeitet, deren Ergebnisse in der »Düsseldorfer Erklärung« zusammengefasst sind. Der Autor durfte gemeinsam mit Nikola Richter von mikrotext den Workshop »Globalisierung und Digitalisierung« moderieren sowie eingangs ein kleines Impulsreferat zum Verlegen im digitalen Zeitalter halten, das Sie im Folgenden hier »abgedruckt« sehen:
Das Unmögliche möglich machen – Vom verlegen im digitalen ZeitalterWir sind heute hier, um über unser verlegerisches Selbstverständnis zu sprechen. Und über den Strukturwandel, dem sich unsere Branche durch die Digitalisierung unterworfen sieht.
Der letzte Strukturwandel – die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg – hat sowohl unsere Branche als auch unsere heutige Gesellschaftsordnung überhaupt erst möglich gemacht. Der jetzige Strukturwandel – die Digitalisierung – scheint nicht zuletzt angesichts der globalen Entwicklungen sowohl unsere Branche als auch unsere demokratische Gesellschaftsordnung in Frage zu stellen.
Um diesen Wandel verstehen und idealerweise sogar selbst gestalten zu können, müssen wir zunächst unsere Rolle in der Gesellschaft verstehen. Und um unsere Rolle zu verstehen, müssen wir die Rolle der Literatur und ihre Bedeutung für die Gesellschaft verstehen. In diesem Zusammenhang ist das Entscheidende gerade nicht die Literatur als Kunstform, sondern Literatur in ihrem weitesten Sinne – Literatur als Kommunikationsmittel.
Warum ist Literatur überhaupt wichtig?Weil Literatur weit mehr ist als nur »das gute Buch« bzw. Literatur als Kunstform. Literatur ist ein Werkzeug des Menschen, sich über (Schrift-) Sprache ein Bild von der Welt zu machen und sich miteinander zu verständigen. Literatur – im weitesten Sinne – ist die Grundvoraussetzung für jegliche Form unseres modernen Zusammenlebens als arbeitsteilige Gesellschaft.
Am Anfang steht immer das Wort. Unsere gesamte Vorstellungswelt besteht aus Sprache. Die Sprache formt unsere Wirklichkeit. Wir lernen und wachsen im Austausch mit anderen. Der individuelle Kontext gibt unseren Worten Bedeutung und Relevanz.
Literatur kommt in der Entwicklung einer offenen Wissens- und Informationsgesellschaft eine wesentliche Rolle zu: Tag für Tag sind wir darauf angewiesen, dass Kommunikation funktioniert. Dass wir die Informationen bekommen, die wir für unsere Entscheidungen brauchen. Im Alltag, im Beruf, in der Politik.
Wir sind darauf angewiesen, dass wir Lösungen für unsere Probleme und Fragen finden. Damit wir uns eine Meinung darüber bilden können, wohin es
mit uns selbst, unserem Land und unserer Gesellschaft hingehen soll.
Doch woher sollen wir wissen, was gut für uns ist? Was wir brauchen? Was sich ändern muss? Was wir denken oder wen wir wählen sollen, wenn wir uns nicht mit anderen über diese Themen austauschen und darüber lesen können?
Dazu müssen wir uns darauf verlassen können, dass die anderen, unsere Gesprächs- bzw. Kommunikationspartner, in unserem Interesse handeln und uns nicht nur für ihre eigenen Zwecke einspannen wollen.
Doch woher sollen wir das wissen? Auf wen können wir uns verlassen? Früher hat uns die Kirche gesagt, was wir glauben, was wir tun und was wir lassen sollen. Die Kirche hat die Richtung vorgegeben und die öffentliche Meinung beherrscht. Lesen und Schreiben waren dem Adel und dem Klerus vorbehalten.
Dann kamen Gutenberg, Luther und die Aufklärung. Immer mehr Menschen bekamen Zugang zu Bildung, lernten lesen und schreiben und hatten so die Möglichkeit, die Dinge zu hinterfragen, sich selbst ein Bild zu machen. Ich möchte hier kurz einen Beitrag von Ulrike Rückert zitieren, der kürzlich auf der Website des Deutschlandfunks publiziert worden ist:
Gutenbergs Erfindung verbreitete sich in rasantem Tempo. Um 1500 gab es Druckereien von Stockholm bis Neapel, und der Jurist und Dichter Sebastian Brant frohlockte »daß man Bücher nunmehr leicht und in Fülle erhält. Früher Besitz der Reichen, kaum Königen einstmals erhältlich, sieht man im kleinsten Haus Bücher zur heutigen Zeit.«mRückert folgert: Die Reformation wäre kaum so erfolgreich gewesen, hätten die Reformatoren ihre Schriften nicht so leicht verbreiten können. Die Aufklärung, die moderne Wissenschaft, eine öffentliche Meinungsbildung wären ohne den Buchdruck nicht möglich gewesen.
Und dann zitiert sie Mark Twain, der schon vor über hundert Jahren auf die dunklen Seiten der Massenkommunikation hinwies: »Gutenbergs Errungenschaft schuf eine neue und wundervolle Welt und zur gleichen Zeit eine neue Hölle. Sie gab der Wahrheit Flügel und der Unwahrheit ein doppeltes Flügelpaar. Sie wurde der Begründer und Beschützer menschlicher Freiheit, und doch ermöglichte sie Despotismus, wo er zuvor nicht möglich war.«
Prophetische Worte. Mark Twain, 1910 gestorben, konnte noch nichts von den Schrecken zweier Weltkriege ahnen oder den Propagandafeldzügen des 21. Jahrhunderts, die beide erst möglich gemacht hatten. Und kommen Ihnen die Worte Mark Twains nicht gleichzeitig auch verdächtig vertraut vor? Sie treffen nämlich 1:1 auch auf die heutige Situation zu.
Informationszeitalter oder Desinformationszeitalter?Aktuell erleben wir mit dem Übergang vom Industrie- ins Informationszeitalter eine noch viel umfassendere Umwälzung als die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg. Jeder kann heute mit nur wenigen Klicks selbst publizieren. An Stelle des Buchdrucks und der freien Presse bedienen wir uns digitaler Plattformen. Der öffentliche Diskurs hat sich verlagert – von der Agora des griechischen Stadtstaates über die Printmedien des Industriezeitalters hinein ins Netz.
Internetplattformen sind heute die zentrale Vermittlungsinstanz für Inhalte. Sie entscheiden darüber, was wir zu sehen bekommen und was nicht. Sie entscheiden darüber, was Aufmerksamkeit verdient und was nicht.
Das Internet, von Tim Berners-Lee ursprünglich als ein öffentlicher Raum für den freien Fluss von Informationen von Peer zu Peer gedacht, hat sich in einen kommerziellen Raum verwandelt. Das Netz ist keine Agora mehr, sondern eine Shopping Mall, in der das Hausrecht des Betreibers gilt.
Und wer geglaubt hatte, dass es mit dem Wegfall der klassischen Filter der Medienlandschaft nun keine Filter mehr gebe und sich die Information frei Bahn brechen könne, liegt leider falsch. Wir haben lediglich eine Instanz durch eine andere ersetzt, die nach völlig anderen Regeln spielt und nur eines zum Ziel hat: Nicht den Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit, sondern den maximalen Profit.
Die Kommerzialisierung des öffentlichen BewusstseinsVerglichen mit dem, was gerade gesamtgesellschaftlich auf uns zurollt, erscheinen die Probleme unabhängiger Verlage geradezu als lächerlich klein. Die klassischen Medien werden durch Internetkonzerne entthront und verlieren ihren Einfluss auf den öffentlichen Diskurs. Bücher sind – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht mehr anschlussfähig. Sie existieren selbst in ihrer digitalen Form als isolierte Text-Container in einem Paralleluniversum neben dem Netz.
Wir sehen uns einem knallharten Verdrängungswettbewerb um die Aufmerksamkeit »unserer« Leser ausgesetzt. Und wir haben aktuell nicht die Mittel in der Hand, diesen Kampf zu gewinnen. Denn wir nehmen noch nicht einmal an diesem Kampf teil, sondern stehen draußen vor dem Stadion. Die Arenen, in denen dieser Kampf tobt, gehören nämlich anderen.
Wir können uns zwar hier und da ein kleines Werbebanner am Spielfeldrand leisten, mit dem Spiel selbst haben wir aber nichts zu tun. Wie Klaus Raab kürzlich in der TAZ schrieb geht es »darum, wer ins Gesellschaftsgespräch eingreifen kann. Die Kommunikationsmittel sind in dieser Logik die Produktionsmittel von heute.«
Welche Inhalte in diesen Stadien Aufmerksamkeit bekommen, entscheiden die Werbebudgets der Anzeigenkunden, die sich ihre Zielgruppen kaufen wie unsereins Joghurt im Supermarkt. Damit werden wir, wie Jaron Lanier es so schön auf den Punkt gebracht hat, letztendlich selbst zum Produkt. Ich wiederhole: Wir sind nicht die Kunden der Internetkonzerne, sondern deren Produkt. Die wahren Kunden sind die Werbetreibenden, die von den Internetkonzernen mit möglichst relevanten Zielgruppen für ihre Werbebotschaften versorgt werden.
Es geht letztendlich darum, wie wir als Gesellschaft funktionieren. Es geht um Informationsmonopole, Aufmerksamkeitssteuerung und um Deutungshoheit. Es geht um die Verteidigung unserer demokratischen Grundwerte, die ihrerseits einer aufgeklärten, kritischen Öffentlichkeit sowie einer unabhängigen Meinungsbildung jenseits rein ökonomischer Kalküle bedürfen.
Denn was passiert, wenn man diese wichtige gesellschaftliche Funktion – der Öffentlichkeit eine Plattform für den Meinungsaustausch zur Verfügung zu stellen – allein auf Profitmaximierung auszurichtet, konnten wir in jüngster Vergangenheit recht eindrucksvoll an Beispielen wie dem BREXIT oder an der Situation in den USA sehen.
Was also tun?Es tut mir sehr leid, wenn ich Sie mit meinem Impulsvortrag vielleicht enttäusche. Denn ehrlich gesagt haben wir aus meiner Sicht gerade ganz andere Probleme als die Situation der unabhängigen Verlage im Literaturmarkt. Uns droht gerade ein Systemversagen. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene.
Wir verlieren die Zugänge zu unseren Zielgruppen und den Anschluss an die Bevölkerung. Denn egal wie das Verhältnis von digitalen und gedruckten Inhalten in Zukunft auch aussehen wird: Unsere Leser bewegen sich nicht mehr durch Innenstädte, sondern durchs Netz. Ihr Hauptnavigationsinstrument ist das SmartPhone – und der Wettbewerb darum, was auf diesen Displays zu sehen ist, ist brutal.
Für uns als Buchbranche sieht die Situation aus wie folgt: Wir befinden uns mitten zwischen Skylla und Charybdis – auf der einen Seite haben wir Soziale Netzwerke, die die Aufmerksamkeit monopolisieren und für Werbezwecke kapitalisieren, und auf der anderen Seite haben wir große Handelsmonopole, die gerade dabei sind, vitale Ökosysteme durch Monokulturen zu ersetzen.
Insofern ist es meiner Ansicht nach nicht damit getan, sich allein um die Inhalte und die schöne Form zu kümmern. Gerade geht es nicht um die Kunst, sondern ums nackte Überleben.
Wir brauchen eine gemeinsame technische Infrastruktur, auf der wir uns bewegen und über die wir unser Publikum auch in Zukunft noch erreichen. Das können wir nicht Dritten überlassen – schon gar keinen durch Venture Capital getrieben Konzernen aus dem Silicon Valley. Vor allem aber müssen wir eine solche Plattform an etwas Anderem ausrichten als bloßem Gewinnstreben.
Das Buch ist sowohl ein Wirtschafts- als auch ein Kulturgut. Wir müssen der kulturellen Seite wieder Geltung verschaffen, damit Literatur ihre gesellschaftliche Aufgabe erfüllen kann – als Plattform für den öffentlichen Austausch von Gedanken.
Öffentlichkeit herstellenVerlegen ist immer noch ein künstlerisches Projekt, nur dass sich die Mittel des Verlegens in den letzten Jahrzehnten dramatisch geändert haben. Es geht nicht mehr darum, einzelne Bücher zu gestalten, sondern Geschäftsprozesse, Software-Architekturen, Benutzeroberflächen und zwischenmenschliche Interaktionen. Es geht im Grunde um Kommunikationsdesign. Das ist ein hochkreativer, künstlerischer Akt in bester verlegerischer Tradition. Denn das, was wir letztlich herstellen, ist Öffentlichkeit.
Insofern habe ich meinen eigenen Verlag, als dessen Verleger ich heute hier stehe, aktuell auch in einen Dornröschenschlaf versetzt, um mich zunächst darum zu kümmern, dass der Verlag in Zukunft überhaupt noch eine Grundlage hat. An Stelle des Verlags kümmere ich mich um ein gemeinnützig getragenes, web-basiertes Projekt, das eine Brücke zwischen der analogen und der digitalen Welt schlagen möchte. Das größenwahnsinnige Ziel dieses Projekts ist, eine Agora für das digitale Zeitalter zu schaffen – in einer Mischung als Sozialem Netzwerk, Lese-Software und Shop.
Das Unmögliche möglich machenNoch ist diese Plattform nicht mehr als eine kleine grüne Wiese. Aber es ist unsere eigene kleine Wiese. Und mit jedem Schmetterling und jeder Blume, die dazu kommt, wächst etwas Neues – und vielleicht wird aus unserer kleinen Spielwiese ja eines schönen Tages ein veritabler Regenwald. Ein Regenwald, der auch einen Amazonas zu bändigen weiß.