Die Digitalisierung hat das Publizieren, zumal das wissenschaftliche, in der letzten Dekade stark verändert. Die Komplexität des Geschäfts ist durch immer mehr Publikationsformen und eine zunehmende Anzahl von Vertriebskanälen deutlich gestiegen. Ein Blick in aktuelle Programme von Fachkonferenzen und einschlägige Diskussionen kündigt eine neue Welle der Veränderung an: Den Schritt von der Digitalisierung zur Digitalität, in der durch die native Erzeugung digitaler Produkte völlig neue Geschäftsmodelle möglich werden. Der Erwerb von essenziellen Inhalten, die Bibliotheken und Fachnutzer früher für eine mögliche Nutzung in der Zukunft auf Verdacht kaufen und auf Regalböden lagern mussten, weicht einem »just in time«-Ansatz. Die Folgen können gravierend sein und werden in Umrissen langsam erkennbar: Das Umsatzwachstum von Fach- und Wissenschaftsverlagen schwächt sich tendenziell ab, neue Vertriebsformen wie demand driven acquisition entfalten ihre volle Wirkung auf das Zahlenwerk der Unternehmen häufig erst nach einer Weile.
Integrität von Forschungsergebnissen: Wichtiger denn je
Mit der Durchsetzung digitaler Inhalte-Erzeugung vom Arbeitsprozess des Wissenschaftlers bzw. Autoren bis zur Nutzung durch den Kunden ergeben sich in fast allen Geschäftsmodellen völlig neue Herausforderungen. Eine zentrale wird häufig unter dem Schlagwort research integrity subsummiert. Wie kann in neuen Publikationsformen, so die derzeit heftig diskutierte Frage, eine wirkungsvolle Qualitätssicherung stattfinden?
Angesichts hoch spezialisiert arbeitender Forschergruppen rund um den Globus, die einander nur aus der Rezeption von Forschungsartikeln wissenschaftlicher Zeitschriften kennen, ist die Einhaltung der Spielregeln des Publizierens für den Forschungsprozess elementar. Die Rolle des Schiedsrichters, der deren Einhaltung garantieren kann, kommt bisher weitgehend Wissenschaftsverlagen zu. Sie organisieren – mit Hilfe von Fachleuten aus der Wissenschaft selbst – über das sogenannte peer review die Einhaltung von Standards. Dieses System ist und war nie perfekt, aber doch besser als alle bekannten Alternativen.
Herausforderungen des Publizierens von Daten
Mit dem Aufkommen des data publishing, in dem Wissenschaftler ihren Kollegen große Mengen von Rohdaten aus dem Forschungsprozess zur weiteren Nutzung zur Verfügung stellen, ergibt sich eine neue Problemstellung um die Qualitätssicherung dieser Daten. Wie können Wissenschaftler vermeintlich korrekt erhobenen Daten vertrauen, und wie sollen Verlage deren Validität auch nur in Ansätzen überprüfen können?
Ein Blick in andere Branchen bietet Lösungen an, und so wird im Forschungsbetrieb verstärkt über den Einsatz von blockchain-Technologie nachgedacht. Das Konzept, den meisten vermutlich am ehesten durch verwandte bitcoin-Angebote bekannt, ist mittlerweile als Standardsoftware verfügbar. Dabei werden Daten, also beispielsweise Forschungsdaten, durch kryptologische Verfahren gesichert, die Kommunikation zwischen Nutzern gesichert und protokolliert. Jede Mutation von Daten von ihrer Entstehung über Veränderungen an Datensätzen wird so aufgezeichnet und dem Nutzer mitgeteilt.
Blockchain in der Praxis
Stellen wir uns einen konkreten Fall vor: Eine japanische Forscherin erhebt große Mengen von Daten zur Meeresströmung im Pazifik. Diese Daten haben hohe Relevanz für Forscher in San Francisco wie auf den Philippinen. Die Wissenschaftlerin publiziert ihre Arbeit nicht nur in Form eines Artikels in einer renommierten Zeitschrift, sondern stellt zugleich die Daten ihrer Forschung in einem Repositorium zur Verfügung. Kollegen aus völlig anderen Instituten nutzen diese Daten für Vergleiche mit ihren eigenen Messungen und ergänzen die vorhandenen Daten mit ihren eigenen, was die Aussagekraft der Daten verbessert. Ohne, dass die Akteure in unserem Beispiel sich persönlich kennen und vertrauen, arbeiten sie bei der Lösung einer wissenschaftlichen Fragestellung zusammen.
Das Rückgrat ihrer Kooperation ist die Technologie, die die von ihnen erhobenen Daten gegen Manipulation durch Dritte sichert – oder diese zumindest nachvollziehbar macht.
Alles Theorie? Mitnichten. An verschiedenen Orten formieren sich Gruppen, die sich mit konkreten Anwendungsfällen von blockchain in der Wissenschaftskommunikation beschäftigt. ITler und Fachwissenschaftler kommen dabei zusammen und diskutieren, wie im globalen Forschungsbetreib, in dem längst nicht mehr jeder jeden kennt, persönliches Vertrauen in den Kollegen oder die Qualitätssicherung von Verlagen mithilfe von Technologie ersetzt werden kann.
Konsequenzen für Verlage
Wissenschaftsverlage sind in der Digitalisierung um ein Gutteil ihrer Kompetenzen beschnitten worden. Die Demokratisierung vertrieblicher Prozesse durch das Internet hat Verlagen eines der zentralen Argumente gegenüber Wissenschaftlern genommen. Was blieb, war die Funktion der Qualitätssicherung, verbunden mit starken Zeitschriftenmarken. Niemand stand wie Verlagspublikationen mit ihren renommierten Herausgeber-Gremien für Qualität, der Wissenschaftler fast blind vertrauten.
Blockchain-Anwendungen haben das Potenzial, den middleman Verlag noch weiter aus der wissenschaftlichen Kommunikation herauszudrängen. Verlage tun gut daran, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Umgekehrt können sie ihre Bedeutung stärken, wenn sie sich die neuen Möglichkeiten zu eigen machen. Statt Negation und Ablehnung ist eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit dem Thema nötig, und das möglichst bald.