Digitaler Paradigmenwechsel

Sprechende Benutzeroberflächen

19. Juni 2016
Redaktion Börsenblatt

Seit geraumer Zeit deutet sich ein Paradigmenwechsel in der digitalen Kommunikation und Nutzung an – vom Klick zur mündlichen Abfrage, von der App zur Plattform. Was steckt dahinter?

Das dänische Startup Doliio hat kürzlich eine App angekündigt, der man seine eigenen Social-Media-Aktivitäten anvertrauen kann. Die Software soll Freunden zum Geburtstag gratulieren, Like-Buttons vergeben, Kontakte pflegen und sogar Meetings vereinbaren können. Das klingt ziemlich gruselig, denn was sind Freundschaften wert, deren Pflege man einem Computerprogramm überlässt? Und wohin steuern die sozialen Netzwerke, wenn diese App Erfolg haben sollte? Reden auf Facebook, Twitter & Co. dann in Zukunft nur noch Algorithmen miteinander? So wie es aussieht, wollen die Initiatoren von Doliio genau diese Fragen gesellschaftlich diskutiert sehen, denn die App ist ein hochprofessionell gemachter Fake, wie SPIEGELonline und andere Medien inzwischen herausgefunden haben.

Kein Grund zur Beruhigung

Das Gegenteil von einem Fake ist die Chat-App Allo, die Google vor ein paar Wochen angekündigt hat und deren Launch nun offenbar bevorsteht. Die »Smart-Reply«-Funktion des neuen Google-Dienstes ist in der Lage, in einem Chat-Gespräch unterschiedliche Antwortmöglichkeiten im eigenen Schreibduktus vorzuschlagen. Dies soll auch bei der Kommentierung empfangener Bilder möglich sein, deren Inhalt Allo »verstehen« kann. »Was für eine süße Katze« könnte also die Antwort auf ein empfangenes Katzenfoto lauten. Die intelligente Software Allo soll selbstverständlich ständig dazulernen und nicht vom Anwender zu unterscheiden sein. Womit wir schon fast bei Doliio angelangt wären.

Von der App zur Plattform

Google ist natürlich nicht allein auf dem Weg, durch sogenannte Chatbots die digitale Kommunikation und Nutzung zu verändern. Facebook, Microsoft und viele andere bieten vergleichbare Services bereits an. Die Werkzeuge dazu stellen sie sogar allen Entwicklern zur Verfügung. Dies in der Hoffnung, Chatbots von Dritten werden helfen, die Position der eigenen Plattform auszubauen. Denn darum geht es im Kern. Es werden immer weniger Apps heruntergeladen. Die Nutzer haben keine Lust mehr, für jeden Dienst eine App zu installieren, ein Nutzerkonto anzulegen, Passworte zu vergeben usw. usw. Facebook, Google & Co. bauen deshalb ihre Angebote perspektivisch dergestalt aus, dass man ihre Plattformen nicht mehr verlassen muss, wenn man eine Information oder Dienstleistung abrufen möchte. Und digitale Spracherkennung gilt als Schlüsseltechnologie für dieses Vorhaben. »Conversationel User Interfaces«, sprechende Benutzeroberflächen wie Apples Siri und andere, sollen uns das Klicken auf Links und Schaltflächen ersparen und uns im Gesprächsmodus zu unseren jeweiligen Zielen leiten. Derzeit führt das mitunter zwar noch zu kuriosen Missverständnissen, doch der rasante Fortschritt auf allen technologischen Gebieten lässt vermuten, dass auch hier bald extrem präzise Funktionen zur Verfügung stehen werden. Wie sich das auf unser Verhalten im öffentlichen Raum auswirken wird, wenn alle nicht nur auf ihr Smartphone schauen, sondern Google Maps nach dem Weg zum nächsten Restaurant fragen, mag man sich gar nicht vorstellen.