Social Media, Apps und Privatheit

"Wir leben zunehmend in einer Kontrollgesellschaft"

12. April 2019
Redaktion Börsenblatt
Um durch diese Welt des digitalen Umbruchs navigieren zu können, brauchen wir Wertorientierungen, meint Oliver Zöllner. Die Frage ist: Was für ein Internet wollen wir? Entscheidungsoptionen reflektiert das Institut für Digitale Ethik an der Hochschule der Medien Stuttgart, das Zöllner gemeinsam mit Kollegen leitet. 

Viele Menschen finden es schön, ihr Leben mit Millionen anderer Menschen zu teilen. Und für viele Menschen ist nur noch Weniges privat. Wir tragen dank Smartphone, Facebook, WhatsApp und Instagram die Welt in unseren Taschen mit uns herum. Das ist bequem. Das vernetzt uns mit Mitmenschen, von denen manche ja auch weiter weg wohnen. Das macht uns unabhängig von Ort und Zeit. Das macht auch oft Spaß.

Social Media sind angetreten, unser Leben zu verbessern: leichter zu machen, schöner zu machen, bequemer zu machen. Um uns zu vernetzen, immer und überall. Das ist ihr Versprechen, ihre beinahe messianische Verheißung und ihr Geschäftsmodell. Gerade den letzteren Aspekt sollten wir nicht vergessen, denn: Wir haben das Gefühl, die Nutzung der Apps sei kostenlos. Doch in Wirklichkeit zahlen wir für die Dienste der Technologiekonzerne.

Die Daten, die wir erwünschtermaßen permanent produzieren, indem wir Texte und Bilder posten, miteinander chatten, Links teilen, Suchanfragen stellen usw., werden gespeichert und verwertet: im Kern für den Absatz von Werbung, die genau uns anspricht, also an unsere Interessen angepasst ist. So entstehen auf den Serverfarmen der Techfirmen gigantische Datensammlungen (Big Data), mit denen interessierte Stellen auch über die Social-Media-Unternehmen hinaus unser Tun und Handeln, unsere Vorlieben, Stimmungen, Meinungen und Aufenthaltsorte verfolgen können. Manchmal nennt sich dies Marketing, in anderen Kontexten heißt das Überwachung. Wir leben zunehmend in einer Kontrollgesellschaft.

Die Ausbeutung, Verarbeitung und der Verkauf von Datensätzen ist das Kerngeschäft der Techfirmen. Der Mensch und seine Verhaltensspuren sind hierbei das „Rohmaterial“, die User vergeben „Schürfrechte“ an die Datenkonzerne. Unsere Privatsphäre wird dabei ausgehöhlt, man könnte sagen: piratisiert, also von Freibeutern geentert und zunehmend geraubt. Ein wichtiger Unterschied zur echten Piraterie ist, dass die Datenausbeutung meistens mit unserem Einverständnis geschieht. Und sei es nur, dass wir die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht gelesen, aber dennoch per Knopfdruck bestätigt haben. Eine echte Wahl haben wir als User oft nicht: Entweder stimmen wir zu oder wir können den Dienst nicht nutzen. Autonomie sieht anders aus. Das Selbstbild des Menschen wandelt sich in der Digitalisierung.


Digitale Ethik, Werte und Haltung

Um durch diese Welt des digitalen Umbruchs navigieren zu können, brauchen wir Wertorientierungen. Man kann das etwas zeitgemäßer auch als Haltung bezeichnen. Ein Ansatz zum Nachdenken über unsere Haltungen und konkreten Handlungen im Onlinealltag stellt die Digitale Ethik dar. Sie will den Menschen nichts vorschreiben. Sie will vielmehr Menschen in den Stand versetzen, ihr individuelles Handeln (und auch ihr Unterlassen) zu hinterfragen. Ethik bedeutet, die Entscheidungsoptionen zu reflektieren, die autonome Menschen haben. Aber haben sie diese Optionen noch? Und sind sie in digitalen Umgebungen mit ihren zunehmend algorithmisch basierten Entscheidungen und auch angesichts eines großen sozialen Drucks zum Mitmachen wirklich autonom? Wir müssen hierüber eine gesellschaftliche Debatte führen, die die Fähigkeit des Menschen zum Nachdenken, zur Reflexion, in den Mittelpunkt stellt. Wir müssen uns fragen: Was für ein Internet wollen wir?