38 Minuten dauerte die zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten "Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz – UrhWissG)", bevor die rund 40 anwesenden der insgesamt 631 Bundestagsabgeordneten die Hände hoben. Bundesjustizminister Heiko Maas sprach vom "Abschluss eines Großprojekts": "Wir schaffen jetzt einen gesetzlichen Basiszugang, damit Schulen und Bibliotheken nicht mehr um Erlaubnis fragen müssen" für den Zugang zu den Daten. Es gebe nun mehr Rechtssicherheit: "Es ist klar, was erlaubt ist und was nicht. Damit schaffen wir eine praxistaugliche Regelung." Die Vorstellung, dass ein Lehrer sich erst über etwaige Lizenzverträge mit Verlagen informieren müssen, sei realitätsfern. Trotzdem, meinte Maas, werde der größte Teil jener Wissensvermittlung weiter auf Lizenzbasis stattfinden. Er sei sicher, dass die Wissenschaftsverlage auch in Zukunft mit dem Gesetz bestehen würden. "Spätestens 2023 prüfen wir aber, ob sich dieses Recht und der Systemwandel bewährt haben und ob Verlage in Not geraten und sie auf besondere Hilfe angewiesen sind."
Unsicherheit für das Wintersemester
Der Fraktion Die Linke ging der Gesetzesentwurf nicht weit genug. Sie hält eine allgemeine Öffnungsklausel für wichtig und fordert die langfristige Weiterentwicklung des Gesetzes zu einer allgemeinen Wissenschaftsschranke. Petra Sitte beklagte, es gebe keine echte Urheberrechtsdebatte im Bundestag und griff „eine Lobby der Verlage“ an: "Wir haben in den letzten Wochen von Seiten der Wissenschafts- und Zeitungsverlage eine Kampagne sondersgleichen erlebt." Sitte verstieg sich mit Hinweis auf die Frankfurter Allgemeine Zeitung sogar zu dem Befund einer "völlig absurden Desinformationskampagne". Die Abgeordneten seien, was die Regelung für Zeitungen anlangt, vor der Verlagslobby eingeknickt. Sitte prognostizierte, dass der Bundestag in fünf Jahren wieder debattieren werde und fragte, was im kommenden Wintersemester passiere: Die alten rechtlichen Regelungen liefen im Oktober 2017 aus, "das neue Gesetz tritt aber erst im März 2018 in Kraft."
"Es geht nicht um Bildung zum Nulltarif"
Viele Forschungseinrichtungen, Bibliotheken und Schulen hätten auf diesen Tag heute gewartet, sagte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka. "Wir gehen auf Dinge ein, die vorher noch nie berücksichtigt worden sind, weil die digitale Entwicklung damals noch gar nicht so weit war." Auch sie ging auf die Debatte ein: „Wir haben die Bedenken der Verlage sehr ernst genommen und geprüft“ und hob hervor: "Es geht nicht um Bildung zum Nulltarif!" Denn die Nutzung werde angemessen vergütet. Was online bei den Verlagen leistbar sei, das regele nicht das Gesetz. "Ich bin der Meinung, dass es keine Auswirkungen auf die Verlage haben wird", meinte Wanka und versuchte zu beruhigen, dass man ja die Praxis nach vier Jahren überprüfen werde, um 2023 neue Schlüsse zu ziehen. Das Gesetz ist auf fünf Jahre befristet. Die wachsende Digitalisierung sah Wanka nicht nur als "eine Herausforderung für die Verlage, sondern auch für die Hochschulen".
Grüne kritisieren Rechtsunsicherheit
"Was lange währte, wurde leider nicht gut genug", resumierte Kai Gehring für Bündnis90/Grüne, die sich der Stimme enthielten. Zwar sei "der Schrankenentwurf besser als keiner." CDU/CSU-Bundestagsfraktionsvorsitzender Volker Kauder habe jedoch „die Verlage und den Börsenverein bedienen“ wollen, "ihm ist die Beschränkung auf die Wissenschaftsverlage zu verdanken". Die Koalition beuge sich Lobbyinteressen. Als "Kardinalfehler" betrachtete Gehring die Befristung auf fünf Jahre: "Das bedeutet Rechtsunsicherheit."
Ausgleich der Interessen nicht gelungen
Stefan Heck (CDU/CSU) konnte als einziger Redner der Debatte "die Euphorie über das Gesetz nicht so teilen. Uns war wichtig, dass der Ausgleich der Interessen stattfindet – diesen Weg haben wir ein Stück weit heute verlassen." Denn es gehe um die Eigentumsfreiheit im Grundgesetz, "da ist für uns als Gesetzgeber besondere Vorsicht geboten". Beim Abschluss des Koalitionsvertrags sei nicht absehbar gewesen, welche Gerichtsurteile es geben würde, das habe die Debatte erschwert. "Dass vertragliche Vereinbarungen Vorrang haben, dieser Grundsatz ist nun verlassen worden – schade, dass es uns nicht gelungen ist, diesen Grundsatz im Gesetz zu realisieren und die Einzelabrechnungen zu realisieren. Wir müssen es in den nächsten Jahren schaffen, eine rechtssichere Online-Lizenzierungsplattform zu realisieren.“
"Geistiges Eigentum muss geachtet werden"
SPD-Bildungspolitikerin Marianne Schieder hob die Vereinfachungen hervor, die das Gesetz in der Praxis nach sich ziehe: "dass die Lehrer wissen, was sie dürfen und was sie nicht dürfen". Es sei im letzten Herbst dramatisch gewesen, dass die digitalen Semesterapparate kurz davor standen, abgeschaltet werden zu müssen. Schieder erinnerte an die vielen Versuche, einer legalen Nutzung durch Piraterie zu entgehen, bei der die Rechte der Urheber von vorneherein missachtet würden; das könne nicht sein. "Jetzt ist endlich die Grundlage für eine legale Nutzung geschaffen, jetzt wissen alle, wie geistiges Eigentum geschützt und geachtet werden muss!"
Weiterentwicklung digitaler Konzepte
Michael Kretschmer als Bildungspolitiker von der CDU/CSU sah das Gesetz als "wirklich fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Verleger und Autoren und der Nutzer." Die Anwendung des Gesetzes ermögliche eine unkomplizierte Nutzung – Einzelvergütungen seien zu komplex und zu bürokratisch, "da stehen Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis". Jetzt komme es darauf an, ob und wie Verlage ihre digitale Konzepte weiterentwickeln: "Man kann nur hoffen, dass die Verlagsbranche sich zusammensetzt." Anders als sein Fraktionskollege Heck, hatte Kretschmer angesichts der nun weiter eingeschränkten Eigentumsrechte von Urhebern offenbar kein Störgefühl.
Was die neuen Regelungen umfassen und worauf sich Verlage einstellen müssen - das hat der Börsenverein in einer Übersicht zusammengetragen:
http://www.boersenblatt.net/artikel-urheberrechts-wissensgesellschaftsgesetz.1346009.html